Rückblick in die Achtzigerjahre: Der Deutsche Wolfgang Güllich projektiert im Frankenjura die erste 9a der Welt. Ein senkrechter Start, dann ein massiver Sprung hinein in das riesige Dach, kraftraubende Züge an Ein- und Zweifingerlöchern. Güllich wird die Route später «Action Directe» taufen, nach einer französischen Terrorgruppe, der Name nimmt Bezug auf die extreme Belastung der Finger.
Die Route verlangt spezialisiertes Training für die Finger- und Oberarmmuskulatur. Nur: Kletterhallen gab es damals nicht, schon gar nicht flächendeckend. Güllich erfand also anno 1988 das Campusboard, in dem er dünne Holzleisten an leicht überhängende Holzplatten schraubte. Der Beginn einer Revolution im Klettersport: Drei Jahre später knackt er die «Action Directe» und damit den elften Grad – und heute gehört das Campusboard (und seine Nachfolger wie Moon- und Kilterboards) zur Standardausstattung einer jeden Kletterhalle.
Diesen Fortschritt können auch Hobbysportler und -sportlerinnen zu Hause für sich nutzen, wie Yannick Nicolas Gloggner, Abteilungsleiter Hartwaren in der Bächli-Filiale in Pfäffikon, eindrücklich beweist. Der 26-Jährige klettert seit sechs Jahren und hat sich auf das Bouldern am Fels spezialisiert. Seine Leidenschaft für den Sport verbindet er bei Bächli als Kletterexperte mit seinem Job. «Ich mache gerade alles dafür, um über den achten Grad hinauszuklettern», sagt Gloggner. Er hat dafür eine Trainingsroutine entwickelt, bei der sich intensive Klettereinheiten und Pausentage mit aktiver Regeneration abwechseln. Wenn er nicht klettert, geht Gloggner zum Beispiel Wandern, auch um dem berühmten Kletterphänomen der «chicken legs» vorzubeugen, also dünnen, wenig muskulösen Hühnerbeinen, die in der Szene recht häufig zu finden sind. Viele Kletterer vernachlässigen diesen Teil des Körpers, weil sie Gewicht sparen wollen.
Eine Trainingssession beginnt Gloggner mit einem Aufwärmtraining. Das beugt Verletzungen vor und verhindert auch einen «flash pump», also ein schnelles Dichtmachen der Unterarmmuskulatur direkt zu Trainingsbeginn. Nicht aufgewärmte Muskulatur arbeitet ineffizienter, der Stoffwechsel ist langsamer. Dadurch häuft sich leichter Laktat im Muskel an. Das Aufwärmtraining sollte etwa 20 Minuten lang sein und einerseits das Herz-Kreislauf-System aktivieren (z. B. mit Seilspringen oder Hampelmännern), aber auch gezielt Muskeln und Gelenke auf die bevorstehende Belastung vorbereiten. Besonders Übungen für die Arm- und Schultermuskulatur sowie für Rumpf und Finger sollten Teil des Aufwärmprogramms sein. Denn der moderne Routenbau mit vielen dynamischen Elementen fordert die Schultermuskulatur stark. Die gezielte Schulung von Stabilität und Koordination unterstützt das Vorbeugen von Verletzungen bei schnellen, dynamischen Zügen.
Gezieltes Training, gezielte Pausen
Zu diesem Zweck hat Bächli Bergsport zum Beispiel das Theraband im Sortiment – ein bewährtes und effizientes Hilfsmittel zum Aufwärmen der Schultern. Modernere Gadgets, wie der Forearm Trainer von Black Diamond, der Armpocket von Fingerpocket oder der Power Ball, steigern die Durchblutung der Finger und Unterarmmuskulatur und beugen so Verletzungen vor. Apropos Finger: Bächli Bergsport bietet für das gezielte Training der Fingerkraft gleich drei verschiedene Produkte an – Grip Master, Pro Hands und Vari Grip Sport – bei denen man sich beim Aufwärmen nicht schon vorausgaben sollte.
Nach einer kurzen Pause kann das Klettertraining starten, wobei man die Schwierigkeitsgrade und die Intensität an der Wand langsam steigert. Am Ende einer Session klettert man sich dann in leichteren Routen langsam aus. Damit läutet man die Regenerationsphase ein, die man mit Dehnübungen aktiv unterstützt. Bächli-Experte Gloggner etwa macht morgens und abends einen leichten Spagat. So hält er seine Muskeln und Sehnen flexibel. Viele Profis kombinieren ihre Trainingsroutine auch mit Yoga und Meditation, was gleichzeitig auch der Konzentrationsfähigkeit nützt. Ein wichtiger Aspekt eines ganzheitlichen Trainings ist ausserdem das Antagonistentraining: Gezieltes Stärken der Gegenspielermuskulatur gleicht muskuläre Dysbalancen aus. Hierfür eignen sich abermals die Therabänder besonders gut, die in verschiedenen Stärken, Breiten und Längen erhältlich sind.
Neben reinen Klettereinheiten setzt Yannick Nicolas Gloggner – ganz in Tradition zu Güllich – auf das gezielte Training von Fingerkraft. Dafür ist aber nicht mehr zwingend der Gang ans Campusboard in der Halle nötig: Sogenannte Hangboards lassen sich mit wenigen Handgriffen in den eigenen vier Wänden montieren. Etwas Platz über dem Türrahmen genügt. Ein solcher «Trainingspartner» ist etwa das Hangboard von Beastmaker (1000 und 2000) aus Holz. «Ich verwende den 2000er, weil er kleinere Griffe hat und deswegen anspruchsvoller ist», sagt Gloggner. Daneben führt Bächli Hangboards der Hersteller Kästner‘s Söhne, Stubai und Metolius, die entweder aus Holzgriffen oder aus mit Sand beschichteten Griffen bestehen, ähnlich den Klettergriffen in der Halle. Selbst das digitale Zeitalter haben die Hangboards schon erreicht: Das Smart Hangboard von Climbro gibt mittels Sensoren Auskunft über den Status der Fingerkraft – direkt ans Smartphone. Welches Hangboard die persönlichen Vorlieben am ehesten trifft, testet man am besten in einer beliebigen Bächli Bergsport Filiale aus. Gloggner bevorzugt Boards aus Holz: «Wenn man schon zwei Stunden gut an Griffen gebouldert hat, bedeutet ein Hangboard mit Sandbeschichtung nur noch eine zusätzliche Belastung für die Haut», begründet Gloggner seine Vorliebe. Das Holz hingegen sei gut geschliffen und so schonender für die Fingerhaut.
Gloggner empfiehlt für das Training an den Leisten und Löchern des Boards entweder eine offene Handposition (Zeigefinger und kleiner Finger gestreckt, beide mittleren Finger in halbgekrümmter Position) oder eine Half-Crimp-Position (90-Grad-Gelenkstellung von Zeige-, Mittel- und Ringfinger sowie der Verlängerung des kleinen Fingers). Bei einer Full-Crimp-Fingerstellung, bei der sich Daumen und Zeigefinger am weitesten ausgestreckten Gelenkpunkt des Daumens treffen, sei die Belastung auf die Ringbänder hingegen zu hoch.
Gloggner führt sein Bouldertraining zu 50 Prozent in der Halle durch. «Ich habe aber auch Replikas meiner Felsprojekte in meine Wand zu Hause geschraubt und bouldere sie nach», sagt Gloggner. Eine Praxis, die auch Profis wie Adam Ondra und Mélissa Le Nevé so praktizieren. Ondra schraubte sich damals seine Route «Silence» in Flatanger, Norwegen, die erste und bisher einzige 9c der Welt, nach, um sie auch zu Hause trainieren zu können. Le Nevé übte auf diese Weise den Sprung in der Güllich-Route «Action Directe», die sie als erste Frau kletterte, und Tommy Caldwell studierte die Crux der «Dawn Wall» ebenfalls am heimischen Nachbau ein.
Starke Finger brauchen Pflege
Viel einfacher, als die Finger zu stärken, ist es, sie in der Klettersession trocken zu halten – dafür genügt ein Griff zum Magnesium. «Wir haben drei verschiedene Marken – Black Diamond, Mammut, Friction Lab – im Sortiment», sagt Gloggner. Liquid Chalk, also flüssiges Magnesium, kommt zum Einsatz, wenn es 25 Grad und mehr hat. Gloggner verwendet es auch, wenn er «anständig bouldern will», weil es die Hände zusätzlich gewollt austrocknet.
Neben dem Chalk-Bag (z. B. Mammut, Red Chili) gehört auch eine Griffbürste (z. B. Faza Brushes, Black Diamond) zur Grundausrüstung eines Kletterers, um Griffe und Tritte von Chalk-Resten zu befreien. Was einerseits schwitzige Hände beim Klettern verhindert, strapaziert sie aber auch sehr. Gründliches Händewaschen beseitigt alle Magnesium-Rückstände. Nach dem Training sowie an Ruhetagen helfen feuchtigkeitsspendende Cremes oder Öl der Haut beim Regenerieren, zum Beispiel von Climbskin oder Training. Feilen, wie der Sanding Block von Black Diamond oder die Skin File von Climbskin, dienen zur Entfernung von überschüssiger Hornhaut. Präventiv eingesetzt beugt Tape einem Einreissen der Haut vor oder stoppt es. Bei anspruchsvollen Fingerkraftrouten kann es zur Unterstützung des Ringbandes eingesetzt werden oder es wird zum Anlegen eines Buddy-Tapes genutzt, bei dem ein gesunder Finger seinen verletzten Nachbarn stützt.
Und wie kommt man nun mit all dem Wissen seinem Ziel näher, sich einen Grad auf der Kletterskala zu steigern? Sicher, mit Hangboards, Fingerkraftrainern & Co. war es noch nie so leicht wie heute, immer und überall zu trainieren – auch dann, wenn draussen Schnee und Minusgrade herrschen. Umso wichtiger ist es, dass das Training zielgerichtet erfolgt.
Beim Seilklettern hilft es, einen Grad über dem zu projektieren, den man erreichen will. Wer auf einem 6a-Niveau klettert und sich auf 6b steigern will, steigt in eine 6c ein. Das fordert die Muskeln, aber überfordert sie nicht. Der Reiz ist überschwellig und steigert die Kletterleistung. Beim Bouldern ist das anders, da sollte man keinen Grad überspringen, sondern ihn solide beherrschen, bevor man sich an den nächsten wagt. Das Zauberwort in der heutigen Trainingslehre lautet Abwechslung. Oder, wie Güllich es so schön gesagt hat: «Es ist schon richtig, dass beim Klettern an Einfingerlöchern der Finger extrem beansprucht wird. Allerdings werden die restlichen Finger vollkommen geschont.»
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