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Die neusten wissenschaftlichen Kenntnisse zum Thema Fingerkraft

Simeon Brombach, Dienstag, 15. Oktober 2024

Fingerkraft am Griffbrett trainieren: Für Einsteiger:innen ein Tabu? Welche Methoden des Fingerkrafttrainings es gibt und welche neuen Erkenntnisse es hierzu für Einsteiger:innen gibt, erfährst du in diesem Beitrag.

In der Kletterwelt kursieren etliche Informationen über Fingerkraft, die besten Trainingsmethoden, die besten Trainingsgeräte und die besten Protokolle. Dabei hält sich ein Fakt sehr hartnäckig, nämlich, dass Anfänger:innen ein spezifisches Fingerkrafttraining am Griffbrett meiden sollten. Da der Klettersport als Profisport noch immer in den Kinderschuhen steckt, sind klare wissenschaftliche Studien dazu noch immer rar und meistens wurden dabei Profisportler:innen oder zumindest fortgeschrittene Kletter:innen beobachtet. In diesem Beitrag werde ich die Methoden des Fingerkrafttrainings differenzieren und die Erkenntnisse einer Fingerkraftstudie in Bezug auf Fingerkrafttraining bei Neueinsteiger:innen im Klettersport genauer vorstellen.

Essenziell können wir drei verschiedene Methoden unterscheiden, mit welchen du deine Finger stärken kannst:

1. Durch Klettern selbst: Ob Bouldern, Boardsessions, Seilklettern, Draussen oder Indoor 

2. Kletterspezifisches Fingerkrafttraining: Dies reicht von isometrischem Hangboardtraining bis zu Campus-Style Training 

3. Krafttraining: Herkömmliches Griffkrafttraining oder allgemein Training mit Hanteln oder „gegriffenen“ Gewichten 

Wichtig ist hier zu verstehen, dass sich jede Methode in ihrer Spezifität zum Klettern unterscheidet und eigene Vor- und Nachteile bringt. Die Vor- und Nachteile lassen sich unter Kontrolle summieren. Hierzu zählt die Mess- und Wiederholbarkeit der Belastung und die Kontrolle und Sicherheit der Ausführung des Trainings.

Klettern ist das spezifischste Training zur Verbesserung der Fingerkraft. Es ist jedoch sehr schwierig, die Belastung zu messen oder zu regulieren. Für dein Training sollte das Klettern der primäre Weg zum Aufbau deiner Fingerkraft sein. 

Campustraining: Ob an einem Campus-Board oder an der Kletterwand selbst ist ebenfalls hoch spezifisch aber wieder ist es sehr schwer, die Intensität genau zu messen. Da ein Campus-Style Training generell sehr intensiv ist, sollte es in deinem Training nur für kurze Trainingsperioden fix im Programm sein. 

Hangboard: Griffspezifisch, sehr gut mess- und kontrollierbar und für Einsteiger:innen bis Fortgeschrittene daher perfekt einstellbar. Das Hangboarden lässt uns nur die kletterspezifischen Bewegungen der Hand während eines Zuges vermissen. 

Lifting: Ebenfalls gut mess- und kontrollierbar, jedoch sehr isoliertes Training der Fingermuskulatur, was die Umsetzung des Trainings auf einen Klettergriff erschwert. Meistens wird diese Methode nur zum Aufwärmen oder zu Rehabilitationszwecken angewendet. 

Aus dieser kurzen und groben Kategorisierung können wir lernen, dass Klettern auf dem jeweiligen Niveau die wichtigste Komponente zur spezifischen Stärkung der Finger ist. Neueinsteiger:innen sowie Profis sollten sich aber der hohen Intensität und der geringen Kontrolle bewusst sein und die Dauer und Frequenz ihrer Trainingseinheiten im Blick behalten. Campus-Training ist und bleibt den fortgeschrittenen Kletterinnen und Kletterern vorbehalten und ist ein exzellenter Weg, die Geschwindigkeitsentwicklung beim Klettern zu verbessern. Halte auch bei diesem Training nach Ermüdungssignalen Ausschau und plane solche Einheiten nicht über mehrere Monate in deine Trainings ein. Das Hangboarden und Krafttraining sind für Neueinsteiger:innen am zugänglichsten, da die Belastung jedem Niveau angepasst werden kann. 

Je weiter Kletter:innen fortschreiten, desto unverzichtbarer wird besonders das Hangboard, ob zum Aufwärmen oder um phasenweise hochintensives Fingerkrafttraining durchzuführen. An diesem Punkt wird klar, dass es Schwachsinn wäre, Neueinsteiger:innen den Gebrauch eines Hangboards abzuraten. Eine neuere Studie (Hermans et al., 2022) konnte eindrücklich demonstrieren, dass Klettertraining mit zusätzlichem Hangboard-Training die Fingerkraft deutlich mehr steigern kann als ein normales Klettertraining. Trotzdem fehlen jegliche wissenschaftliche Untersuchungen zu Fingerkraftprotokollen für Neueinsteiger:innen im Klettersport.

Aus diesen Grundüberlegungen entstand die Idee für eine Studie, welche ein auf Neueinsteiger:innen angepasstes Training mit einem Hangboard-Training im Stile eines Krafttrainings im Bezug auf die Auswirkungen auf die maximale Fingerkraft vergleichen sollte. Klingt verwirrend? Ist es keinesfalls und die Resultate begeistern uns.

Insgesamt konnten wir 80 Teilnehmende für diese Studie rekrutieren, welche wir zufällig in zwei Gruppen aufteilten. Die erste Gruppe trainierte die Finger mit Fingercurls (Fingercurl-Gruppe). Das Training wurde jeweils einarmig stehend ausgeführt und das Gewicht an ein Griffbrett angehängt. Links siehst du die Ausgangsposition der Finger und des Handgelenks auf einer 20mm tiefen Leiste und rechts die Körperposition. Die Finger wurden dann gebogen, bis das hintere und mittlere Fingergelenk einen 90°-Winkel erreichten und dann wieder in die Ausgangsstellung bewegt. Pro Hand wurden 3 Sätze zu je 12 Wiederholungen durchgeführt und das Trainingsgewicht Betrug 80% des Dreiwiederholungsmaximums derselben Übung.

Die zweite Gruppe führte ein isometrisches Fingertraining durch (Iso-Gruppe). Mit beiden Händen wurde an einer 20mm tiefe Leiste in der unten links abgebildeten halbaufgestellten Fingerposition für 7 Sekunden gehangen gefolgt von 3 Sekunden Pause. Dies wurde 6x wiederholt und davon wurden 3 Sätze durchgeführt. Das Trainingsgewicht konnte durch ein Seilzugsystem (unten rechts) oder durch direktes Anhängen von Gewicht am Klettergurt angepasst werden und wurde auf 60% der maximalen isometrischen Fingerkraft festgelegt.

Beide Gruppen trainierten während 8 Wochen zwei Mal pro Woche. Dabei war nicht nur das Fingerkrafttraining, sondern auch das Klettern klar vorgegeben. Nach den 8 Wochen Training wurden den Studienteilnehmer:innen 2 Wochen Pause verordnet. Um die Trainings zu vergleichen, wurde die maximale isometrische Fingerkraft vier Mal gemessen. Zuerst vor Beginn der Trainingsphase, in der Mitte des Trainings nach vier Wochen, am Ende des Trainings nach 8 Wochen und eine Abschlussmessung nach der Trainingspause.

Unten siehst du die mittleren Kraftverläufe der beiden Gruppen zu allen vier Messzeitpunkten inklusive des 95% Konfindenzintervalls (für die Statistiker:innen unter euch). Blau eingefärbt die der Fingercurl-Gruppe und rot die der Iso-Gruppe. Zuerst die der Männer, weiter unten die der Frauen. Jeweils links die Werte der linken Hand und rechts der Rechten. Auf der Y-Achse siehst du die gemessenen Kraftwerte in Newton, auf der X-Achse sind die vier Messzeitpunkte abgebildet. Ein konstantes Ergebnis dieser Studie waren die Veränderungen zwischen den letzten Messungen. Die mittleren Kraftanstiege der Fingercurl-Gruppe auf beiden Seiten waren grösser als die mittleren Kraftanstiege der Iso-Gruppe. Nochmals deutlicher zu sehen bei der mittleren Kraftkurve der Frauen: Die Kurve der Fingercurl-Gruppe ist zwischen der dritten und der vierten Messung deutlich steiler als die der Iso-Gruppe.

Die gezeigten Daten deuten darauf hin, dass ein achtwöchiges Fingerkraftprotokoll mit Fingercurls einen ähnlich positiven Effekt auf die Fingerkraft hat, wie ein achtwöchiges isometrisches Protokoll mit Repeater Hangs. Wenn man die Ausgangskraftmittelwerte genauer betrachtet, fällt auf, dass die zu Beginn schwächste Gruppe mit dem Training der Fingercurls die prozentual grösste Steigerung der Fingerkraft erzielen konnte und die zu Beginn schwächste Gruppe mit dem isometrischen Training die geringsten Fortschritte verzeichnen konnte. 

Daraus können wir schliessen, dass Fingercurls sich sehr gut für Neueinsteiger:innen im Klettersport eignen und eine adäquate Spezifität zum Klettern wie gewöhnliches Hangboarden mitbringen. Zudem konnte die Studie zeigen, dass ein an den Trainingsstand angepasstes Hangboard-Training auch bei Neueinsteiger:innen die Verletzungsgefahr nicht erhöht und einen positiven Effekt auf die Fingerkraft bringen kann.

Für dich als Kletterin oder Kletterer kannst du daraus folgendes für dein Training ableiten: 

- Eine Art Hangboard-Training, egal auf welchem Level ihr klettert, ist periodisch sehr sinnvoll.
- Falls du noch Mühe hast, an einer Leiste beidarmig zu hängen, stellen die Fingercurls eine gleichberechtigte Alternative zum klassischen Hangboard-Training dar.
- Für Fortgeschrittene bieten Fingercurls eine hervorragende Abwechslung, besonders wenn einzelne Finger als schwächer empfunden werden. 

Zuletzt gilt nochmals hervorzuheben, dass spezifisches Fingerkrafttraining im Klettersport keinesfalls nur für Fortgeschrittene gedacht ist. Mit der richtigen Intensität und Frequenz kann jede:r davon profitieren. Wenn du unsicher in der Anwendung bist, konsultiere am besten einen Physiotherapeuten. 


Über den Autor
Simeon Brombach ist Physiotherapeut, Athlet und Trainer im Regionalzentrum Sportklettern Nordwestschweiz. 


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