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Klettern im Jura – wo einst Brontosaurier hausten

Bernard van Dierendonck, Donnerstag, 17. Oktober 2024

Der Jubiläumsausflug in den Jura verbindet Klettern mit Kultur: Im Backcountry der Gastgeberfiliale Basel stecken die Bohrhaken dort, wo einst Brontosaurier hausten.

Am Einstieg der Arête des Sommêtres rät Bergführer Jonas Allemann, die Kletterschuhe im Rucksack zu lassen. Stattdessen sollten wir mit Turnschuhen klettern. Mit Turnschuhen z’Berg? Wenn das mal keine kritischen Leserbriefe der Bächli-Kundschaft hagelt! Studiert man aber die Routenbeschreibung, dann macht Jonas’ Ratschlag durchaus Sinn: Wer möchte schon 1200 Meter in engen Kletterfinken über einen Grat kraxeln, der nur hie und da mit kurzen Kletterstellen im Grad 2c bis 3b aufwartet? Da sind Blasen und Druckstellen an den Füssen vorprogrammiert. Leichte Turn- oder Zustiegsschuhe werden diesem Gelände eher gerecht.

Wie bei den anderen Jubiläumstouren, sind auch an diesem vierten und letzten Ausflug des Jubeljahres Mitarbeitende des Bächli-Kaders mit von der Partie. Es knüpfen sich Lorenzo Gottardi, Leiter der Filiale Lausanne, und sein Mitarbeiter Yannick Wieser ins Seil ein. Michael Bachofner, Leiter der Filialen Basel und Aarau, sowie Aline Vogt, Standortleiterin der Filiale Aarau, bilden die zweite Seilschaft.

Für Aline wird diese Tour eine Premiere sein – bisher war die ehemals engagierte Fussballerin in den Bergen nur wandernd, auf Skitouren oder mit dem Snowboard unterwegs. Ihre Klettererfahrungen sammelte sie hauptsächlich in der Boulderhalle. Dem Bergführer vertraut sie an, dass sie eigentlich Höhenangst habe. Doch sie möchte sich dieser Herausforderung stellen und sagt: «Ich bin ein Adrenalinfreak, ich liebe den Nervenkitzel.»

Alines Höhenangsttherapie 

Bereits auf den ersten Metern testen wir die Schuhwahl: Nach ein paar einfachen Metern geht es um die Ecke in eine steile Verschneidung im Schwierigkeitsgrad 3b. Dank Stemm- und Spreiztechnik steigen wir auch in Turnschuhen locker an den grossen Griffen und Tritten darüber hinweg. Anschliessend werden die Seile verkürzt, und es geht abwechslungsreich über Türmchen, Felsrippen und Zacken voran. Hätte es keine Vegetation, dann wäre die Kletterei ähnlich wie auf einer Hochtour. Die meiste Zeit wird gleichzeitig geklettert. Zur Sicherung führen wir das Seil um Zacken und Bäumchen herum. Nur die wirklichen Kletterstellen sichern wir an Fixpunkten. Der lange, von Westen nach Osten verlaufende Zackengrat ragt an einigen exponierten Stellen 50, fast 100 Meter über den Wald hinaus und bildet hinter dem Dorf Noirmont den Abschluss der lieblichen Franches-Montagnes. Gelegentlich halten wir inne, trinken einen Schluck aus der Wasserflasche, knabbern vom Picknick und geniessen den Tiefblick hinunter zum Grenzflüsschen Doubs.

Aline erprobt den Vorstieg an der Arête des Sommêtres.

Der Mehrseillängen-Novizin Aline scheint die Ausgesetztheit überhaupt nichts auszumachen. Im Gegenteil, bald steigt sie auch einige Kletterstellen vor, ohne mit der Wimper zu zucken. Wie sie auf dem Gipfel nach der rund vier Stunden langen Kletterei verrät, habe sie zuvor eine etwas spezielle Höhenangsttherapie absolviert: «Ich war Skydiven. Dort lehrten sie, wie man sich voll und ganz auf den Ablauf konzentrieren muss.» Aufs Klettern übertragen, habe sie sich ganz auf die nächsten Tritte, Griffe und die Seilhandhabung fokussiert. So sei für sie die Tiefe kein Thema mehr gewesen.

Diese Jubiläumstour war als Kletter-Roadtrip angedacht. Drei Tage lang wären wir von einem Mehrseillängenspot zum nächsten gezogen und hätten unterwegs spontan entschieden, wo wir unsere Zelte aufschlagen würden. Doch wie so oft sind die Agenden der Bächli-Kaderleute übervoll. Gemeinsam drei Tage zu verbringen, ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit. So hat die Gruppe auf dem Zeltplatz in Rebeuvelier das Basislager aufgeschlagen. Das kleine Bauerndorf liegt fast eine Autostunde von unserem langen Klettergrat entfernt. Für andere Kletterperlen ist dieser Ort aber bestens gelegen. 

Kletterstellen an der Arête des Sommêtres, bevor es am kurzen Seil weitergeht.

Arête Spéciale mit knackiger Schlüsselstelle 

So zum Beispiel für die Arête Spéciale, einem Klassiker in der schmalen Klus nördlich des Städtchens Moutier, den wir uns am ersten Tag vornehmen. Die Tour ist nach Westen ausgerichtet und sollte sich hoffentlich trotz der prognostizierten spätsommerlichen 33 Grad nicht so schnell aufheizen. An diesem ersten Jubiläums-Klettertag ist ausschliesslich die Bächli Filiale von Lausanne vertreten. Lorenzo und Yannick sind beide versierte Kletterer, und das ist auch gut so, denn die Arête Spéciale führt in sieben Seillängen über eine wenige Meter breite, oft ziemlich steile Kalkrippe. 

Bereits der Zustieg hat es in sich: Über einen extra angelegten Klettersteig direkt über dem Flüsschen Birs gelangt man zum Einstieg. Dieser Steig hätte den Zustieg wesentlich entschärft, erzählt Bergführer Jonas. Zuvor hastete man teilweise über das Eisenbahntrassee – das war nicht ganz ungefährlich und manch ein Lokomotivführer hätte beim Anblick der Kletterer den Schock seines Lebens bekommen. Ein schlimmer Zwischenfall habe sich zum Glück nie ereignet. 

Die 1945 erstbegangene Route kennt unser Bergführer wie seine Westentasche. Schon rund vierzig Mal hat er sie geklettert, einmal sogar in unter zehn Minuten! Dermassen eilig haben wir es heute zum Glück nicht. So motiviert sich Yannick für eine Bouldersession in der Einstiegsvariante im Grad 6b. Doch der Plan geht nicht auf. Für einen Kaltstart ist die Seillänge weniger geeignet. Offenbar haben das andere auch schon realisiert: Kaum jemand scheint sich an dieser Variante zu versuchen, die Griffe und Tritte verbergen sich hinter Spinnennetzen. Auch Yannick gibt nach einigen Kletterzügen auf und klettert wie wir auf der Originalroute im gemächlichen vierten Grad zum Stand. 

Von da an weiss die Kletterei sehr zu gefallen. Anfangs an Risschen und Rillen, später an Dellen und Auflegern kommen wir dank ausgefeilter Fusstechnik gut voran. Der Fels hat zwar seine ursprüngliche Rauheit eingebüsst, ist aber von bester, kompakter Qualität. Richtig knackig wird’s in der letzten Seillänge mit einer Stelle im Grad 5c+: Die Finger halten einen feinen Riss auf Gegenzug. Entschlossen werden die Kletterschuhe hoch auf Reibung gepresst, ein dynamischer Schnapper hin zu einer zum Glück sehr guten Schuppe – et voilà, die restlichen Meter im vierten Grad sind Formsache.

Lorenzo macht es sich im Fussabdruck eines Brontosaurus bequem. 

Dem Brontosaurus auf der Spur 

Bisher besuchten wir den Jura vor allem wegen den vielen schönen Klettergärten. Die Jubiläumstour zeigt uns, dass das Mittelgebirge zwischen Rhone und Rhein weitaus mehr zu bieten hat. Zurück im Basislager beim Schmökern im Kletterführer fallen uns die zahlreichen Mehrseillängenrouten auf. Da gibt es zum Beispiel den direkten Pfeiler in der Balsthaler Klus (8 Sl., 6b, A0), die gemütlichen Brüggligräte (6-8 Sl., 3-4a), den Südgrat an der Balmflue bei Solothurn – diese Route im Grad 5c+ gilt mit 14 Seillängen als längste im Jura – oder die mächtige Dalle de St-Imier mit abwechslungsreichen Routen zwischen 5b und 6c.  

Welches Mehrseillängenziel kommt für unseren dritten Tag infrage? Während Michael Bachofner – er war in einem früheren Leben Sternekoch – einen exzellenten Nudel-Gemüse-Feta-Eintopf zubereitet, checken wir den Wetterbericht. Er verheisst leider wenig Gutes: Nur einen halben Tag haben wir noch zur Verfügung, dann wird eine Regenfront die Heisswetterlage beenden. Eine Prognose, die die Auswahl beträchtlich einschränkt. Wir entscheiden uns für ein kurzes Ziel quasi um die Ecke. 

In derselben Klus von Moutier gibt es die bis zu drei Seillängen hohe Einstiegsplatte der Arête du Raimeux. Eine geneigte Wand, die weitaus mehr zu bieten hat als gut abgesicherte Plattenkletterei. Denn da, wo nun Bohrhaken stecken, stapften vor 150 Millionen Jahren riesige Saurier entlang den Ufern des Tethys-Ozeans. Bis heute sind die Fussabdrücke der dreissig Tonnen schweren und zwanzig Meter langen Brontosaurier in der Kalkplatte mal deutlich als runde Wannen, mal schemenhaft als seichte Wellen im Fels zu erkennen. Forscherteams zählen hier einige Hundert Abdrücke. Einzelne haben einen Durchmesser von über einem Meter. Dieser Ort muss bestimmt ein beliebter Futterplatz für die riesigen Pflanzenfresser gewesen sein.

1200 Meter klettern und immer noch fit wie ein Turnschuh – so ist es, das Bächlikader.

Für die Abschlusstour tauscht Aline ihre Turnschuhe gegen richtige Kletterfinken ein. Sie will auf den Plattenrouten mit Schwierigkeiten bis 5a ihre gerade erworbenen Mehrseillängenkenntnisse perfektionieren. Die anderen routinierten Kletterer der Jubiläumsgruppe bleiben den Zustiegsschuhen treu und betrachten den Kletterausflug als Sightseeingtour – denn hey, wer hat schon mal in den Fussstapfen eines Sauriers geklettert?   


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