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Im Diamantenfieber: 3 Tipps für's Freeriden im Wallis

Christian Penning, Dienstag, 10. Oktober 2023

Wenige Lifte, aber viel Freetouring-Gelände – das grosse Glück liegt oft im Kleinen. Im Wallis gibt es jede Menge kleiner Powder-Perlen zu entdecken. Wir haben einen Wochenend-Roadtrip nach St-Luc/Chandolin, Les Marécottes und ins Lötschental gemacht und stellen dir drei Perlen mit praktischen Infos und Freeride-Tipps vor.

Die Jagd nach den weissen Diamanten – klingt wie ein Thriller. «Und irgendwie ist es das auch», überlegt Jürg, als wir bei der Anreise mit dem Zug durch den Lötschbergtunnel rattern. «Kaum hat es geschneit, beginnt der grosse Powder-Rausch. Wer zu spät kommt, geht leer aus. Zumindest dort, wo alle suchen.» Deshalb haben wir uns für dieses Wochenende ein Alternativprogramm überlegt. Die letzten kurvigen Kilometer durch die Galerien und Tunnels von Goppenstein hinauf nach Wiler im Lötschental machen Hoffnung. Zumindest jetzt, am späten Freitagabend, ist die Bergstrasse verwaist. 

1. Lötschental: sechs Lifte und fett Schnee 

Das Lötschental ist eine Sackgasse – eine der schönsten in den Alpen. «Die Verlängerung am Talschluss führt schnurstracks hinauf zu den Viertausendern Aletschhorn, Finsteraarhorn, Mönch und Jungfrau», erklärt Skilehrer Beat Dietrich bei einem kurzen Panoramastopp nach den ersten Schwüngen am nächsten Morgen. Unten überm Rhônetal hängt noch der Nebel. Aber hier oben herrscht bestes Skiwetter – wäre da nicht die unangenehm kräftige und kalte Bise. Stürmische Windböen lassen am Hockengrat Finger und Nasenspitze einfrieren. Den Neuschnee der vergangenen Woche hat der Wind in ruppigen Plattenpulver verwandelt. «Nicht unbedingt typisch für hier», meint Beat, «aber wir werden ein paar gute Hänge finden.» 

An Freeride-Varianten herrscht im Lötschental kein Mangel.

Kaum einer kennt das Gebiet so gut wie er. Beat zählt zu den Ski-Urgesteinen im Lötschental. 20 Jahre lang war er Skischulleiter. Als Experte der Lawinensprengkommission kennt er sich auch abseits der Pisten bestens aus. «Die Auswahl an Lines ist schier grenzenlos», erzählt Beat. Dabei klingen die nackten Zahlen des Skigebiets eher bescheiden: 55 Kilometer Pisten, sechs Lifte – das war’s. Doch nach Osten, hinüber zum Petersgrat, und nach Westen in Richtung Lötschenpass erstreckt sich auf etwa zehn Kilometern Breite ein Freeride-Paradies, das seinen Namen wirklich verdient. Weite, offene Hänge – teils ohne, teils mit kurzen Aufstiegen erreichbar. Dazwischen Felsgrate, Rinnen, Kuppen, Mulden. Die sonnengegerbten Holzhütten der Hockenalp und Lauchernalp wirken wie die Kulisse eines Heidifilms. Kein Hype, kein Bling-Bling wie in Verbier oder Zermatt. Im Lötschental geht’s bodenständig zu. 

Dazu gehören auch die «Tschägättä». Von Anfang Februar bis zum Fasnachtsdienstag ziehen sie durchs Tal. Wilde Kreaturen, die sich mit Schaffellen und selbst geschnitzten, furchteinflössend bemalten Holzmasken in Dämonen verwandeln. Das Schnitzen der fantasievollen Holzlarven aus Arvenholz hat im Tal eine lange Tradition. «Zur Zeit der Tschägättä stehen die Chancen auf Pulver meist gut», meint Beat bei einer der nächsten Auffahrten mit der Hockenhorn-Gondel. «Wir bekommen dann in der Regel immer viel Schnee.» Kein Wunder, das Lötschental liegt direkt am Nord-Süd-Kamm zwischen Berner Oberland und Wallis. Die grössten Schneemengen kommen bei Tiefs aus Südwest, West oder Nordwest. «Und im Frühjahr haben wir dank der vielen Südhänge sensationellen Firn.» 

Bergidylle: Sonnengegerbte Kapelle und Alphütten auf der Hockenalp – vor der grandiosen Kulisse des Bietschhorns im Lötschental.

Doch das ist noch längst nicht alles. Ist die weisse Unterlage bis ins Tal mächtig genug, sind die Abfahrten richtig lang. Der letzte Run führt mit einem kurzen Zwischenanstieg am Grat entlang zur Lötschenpasshütte. Nach einer kräftigen Portion Rösti zur Stärkung ziehen Beat, Lisa und Jürg ihre Schwünge über weite Flanken und ein paar steile Rinnen hinab zur Kummenalp und weiter nach Ferden. Insgesamt fast 2000 Höhenmeter. Lisa strahlt: «Wenn das mal kein Diamant ist!» 

Praktische Infos:

  • Anreise mit dem ÖV: Per Bahn oder Bus nach Goppenstein. Ab hier regelmässige Busverbindungen ins Lötschental. 
  • Anreise per Auto: Ebenfalls nach Goppenstein (von Norden: Autoverlad Lötschbergtunnel; von Süden: Genfer See A9 Richtung Visp, bis Ausfahrt Steg) und weiter ins Lötschental. 
  • Unterkünfte: Vielfältig, z.B. das Hotel Breithorn, Die Lötschentaler oder das Hotel Edelweiss
  • Essen: Berghaus Lauchernalp im Skigebiet
  • Bergführer: Lutz Fleck, Tel. +41 78 629 4733, summitspirit.com; Benedikt Jaggy, Tel. +41 79 774 8320
  • Lokale Tourismusorganisation: loetschental.ch

Freeride-Tipps:

Lauchernalp/Elwertätsch: Diese Freeride-Route gehört nicht zuletzt wegen dem einfachen Aufstieg zu den absoluten Klassikern im Lötschental. Über mangelnde Abfahrtsalternativen kann man sich im weitläufigen Gebiet zwischen dem Hockenhorn und dem Birghorn nicht beklagen. Vor der einzigartigen Kulisse des Bietschhorn und den hohen Gipfeln im Süden führt zum Beispiel die Abfahrt durch das malerische Tellin hinunter in den Talboden bei Blatten. Mit dem Postauto geht es zurück nach Wiler zur Seilbahnstation. Wählt man eine Variante im kupierten Gelände westlich vom Tennbachhorn vorbei am Spalihorn, lässt sich die Lauchernalp direkt erreichen. Höhendifferenz: Aufstieg 500 m, Abfahrt 2000 hm 

Lauchernalp/Hockenhorn: Startpunkt ist am Hockenhorngrat (3111 m). Neben der relativ direkten Variante über die Hockenalp zur Lauchernalp warten weiter östlich zahlreiche Freeride-Möglichkeiten: Eine kurze Traverse Richtung Sackhorn, und schon liegen einem traumhafte Hänge zu Füssen. Auch hier gibt es Varianten bis hinunter ins Tal nach Wiler. Höhendifferenz: Aufstieg 30 m, Abfahrt 1750 hm 


2. Kleiner Hochkaräter im Val d’Anniviers 

«Respekt!» Selbst als ehemaliger Rider der Freeride World Tour ist Jürg am nächsten Tag ziemlich von den Socken. Oberhalb von St-Luc im Val d’Anniviers südlich des Rhônetals tut sich ein weites, kupiertes Gelände auf. Die Pisten wirken inmitten dieses vielseitigen mit Felsblöcken, Graten und Wechten garnierten Terrains wie Verbindungswege von einem Top-Spot zum nächsten. Kein Wunder, dass die Freeride World Tour hier schon seit 20 Jahren jeden Winter einen Qualifier-Event veranstaltet. Auch hier hat die Bise der vergangenen Tage zugeschlagen. Janik Jägers Miene wirkt dennoch auffallend optimistisch. «Kommt mal mit …!», schlägt unser Bergführer oben am Pas de Boeuf vor. Über eine Felsrippe geht es in eine kurze, steile Rinne, und – schwupps! – ist der schneidend kalte Wind verschwunden. Augenblicklich ändert sich auch die Schneekonsistenz. Pulver statt Winddeckel. Lisas Augen leuchten noch mehr als am Tag zuvor. Und schon zieht sie in weiten Schwüngen ihre Signatur in die unverspurten Hänge unterhalb der knapp 3000 Meter hohen Meidspitze.

Abheben mit Traumblick: Zwischen Rhonetal und den Walliser Viertausendern locken die Hänge von St-Luc und Chandolin.

«Wow, gleich nochmal!», ruft Jürg, unten am Lift angekommen. Es ist nicht allein das traumhafte Gelände. Auch das Panorama von St-Luc und Chandolin kann locker mit den Top-Spots Zinal und Grimentz am Ende des Val d’Anniviers mithalten: Crans Montana und die Berner Alpen im Norden, die Viertausender Bishorn, Weisshorn und Zinalrothorn im Süden. Für den nächsten Run hat Janik eine neue Idee. «Dort drüben geht es ins Turtmanntal», deutet er nach rechts. «Eine einsame Tourenabfahrt. Oft noch ohne Spuren.» Doch die Route ist zu aufwendig für heute. Sie führt 1600 Höhenmeter runter nach Oberems. Samt Bustransfer zurück nach St-Luc würde das mehr als einen halben Tag beanspruchen. 

Stattdessen zieht Janik seine Schwünge nordseitig in den Kessel Richtung Illsee. «Mit Tourenbindung und Fellen eröffnet das Gelände östlich der Grate zwischen Bella Tola und Illhorn tolle Freetouring-Varianten», erklärt Janik, als er die Felle anlegt, um über den Pas de l’Illsee zurück ins Skigebiet von Chandolin aufzusteigen. Die Wintersonne nähert sich schon dem Horizont, als Lisa und Jürg mit Janik zu ihrem letzten Run oberhalb des Illhorn-Schlepplifts zum Gipfel des Illhorns aufsteigen. Durch das steile Nordwest-Couloir fällt der Blick über 2200 Höhenmeter hinunter ins Rhônetal. Von hier wirken selbst die Hochhäuser wie Spielzeug. Eine Abfahrt, die den Rohdiamanten St-Luc und Chandolin den Feinschliff gibt. 

Praktische Infos:

  • Anreise mit dem ÖV: Mit dem Zug nach Sierre, von dort mit dem Postauto nach St-Luc oder Chandolin. 
  • Anreise mit dem Auto: Fribourg - Vevey auf die A9 nach Sierre (Alternative: Bahnverlad Lötschbergtunnel Kandersteg-Goppenstein – Rhônetal A9 bis Sierre), dann weiter Richtung Val d'Anniviers.
  • Unterkünfte: Diverse, z.B. in St. Luc: Wellness Hostel Grand Hotel du Cervin
  • Essen: z.B. in St. Luc das Chez Ida im Hotel Bella Tola
  • Bergführer: St. Luc: Janik Jäger, +41 79 363 1802, bergundtal.ch
  • Lokale Tourismusorganisation: valdanniviers.ch

Freeride-Tipp:

St-Luc und Chandolin bieten je nach Schneeverhältnissen viele leicht zugängliche Freeride-Möglichkeiten oberhalb der Baumgrenze. Bei schlechter Sicht sind auch einige Waldabfahrten nach Chandolin und St-Luc möglich (Achtung: Wildschutzzonen beachten). Der Klassiker sind die nordseitigen Couloirs am Bergrücken Les Ombrintzes (Zugang über den Lift Col de Ombrintzes). Hier finden seit Jahren die Qualifier-Contests der Freeride World Tour statt. Viel Potenzial hat auch das weitläufige Gelände an der Bella Tola und an der Meidspitz. Unbedingt einpacken sollte man auch die Tourenausrüstung. Dann erschliessen sich in den Kesseln östlich von Rothorn, Schwarzhorn und Illhorn viele Varianten, die deutlich weniger befahren werden als die Routen auf der Skigebietseite. Die Aufstiege über den Pas de l’Illsee halten sich mit rund 200 Höhenmetern in Grenzen. Mehr als einen halben Tag Zeit sollte man für die Variante von der Bella Tola ins Turtmanntal nach Oberems einplanen. Rückfahrt mit dem Postauto. Ein Klassiker für Freunde steiler Couloirs ist das Illhorn-Couloir mit Blick ins Rhônetal.

 

3. Der versteckte Schatz – Les Marécottes 

Hoher Besuch erwartet uns am Finaltag unseres Wallis-Trips. Kein Geringerer als Freeride-Profi Jérémie Heitz sitzt Lisa und Jürg in der Gondel hinauf in das kleine Skigebiet oberhalb von Martigny gegenüber. «Ich bin hier aufgewachsen», erzählt Jérémie, der mit seinem Steilwand-Projekt «La Liste» das alpinistische Freeriden auf ein neues Level katapultiert hat. Für den 34-Jährigen ist Les Marécottes so etwas wie sein Wohnzimmer. Hier hat er Skifahren gelernt. Hier eiferte er schon als 16-jähriges Milchgesicht den Freeride-Legenden Loris und Nicolas Falquet nach. «Mit seinen Spines und Graten hat Les Marécottes alles, was auch die weltbesten Freeride-Spots ausmacht», sagt Jérémie. «Nur eben eine Nummer kleiner.» 

Traumpanorama: Aufstieg zum Col de la Golette oberhalb von Les Marécottes.

Was er damit meint, wird bei der Auffahrt mit dem Sessellift «Le Vélard» deutlich. Eine Rinne neben der anderen zieht von den Felsen der Frête du Parc und vom Gipfel Le Tsarve in den weiten Bergkessel herab. Jürgs und Lisas Augen werden grösser und grösser. Die Frage ist längst nicht mehr, ob dies ein grandioser Finaltag wird. Es geht nur noch um eines: Welche der unzähligen Möglichkeiten zuerst? «Easy», meint Jérémie. «Wir lassen’s locker angehen.» Auch wenn Sonne und Wind in den letzten Tagen ihre Spuren hinterlassen haben, findet Jérémie unterhalb der Le-Tsarve- Gipfel noch ein paar feine Pulverhänge. «Das Gebiet bietet eine beeindruckende Vielfalt an natürlichen Zutaten für kreative Lines», erzählt Jérémie während eines kurzen Zwischenanstiegs. «Verschneite Felsblöcke als Kicker, Powderturns in lichten Waldpassagen oder atemberaubende Rinnen wie an dem Le Luisin – nichts ist unmöglich.» 

Das volle Potenzial von Les Marécottes wird deutlich, als Jérémie die Felle auspackt. Erst in weiten Schleifen, dann in engen Spitzkehren, schliesslich steil mit Ski auf dem Buckel, geht es hinauf zum Col de la Golette. Im weiten Kessel zwischen dem 3220 Meter hohen Tour Saliere, den spitzen «Zähnen» der Dents du Midi und dem Lac de Salanfe tut sich, einem Amphitheater gleich, eine neue Welt auf. Einsam. Ohne Lifte. Und ebenfalls wieder unglaublich vielseitig. Mit weiten, sanften Hängen. Mit rassigen Rinnen und wilden Couloirs. Der Tag ist viel zu kurz, um auch nur einen Bruchteil der Möglichkeiten zu realisieren. 

Gute Chancen auf Powder bieten im Hochwinter nicht nur die grossen Walliser Skiresorts.

Die letzte Abfahrt führt an der Staumauer des Lac de Salanfe vorbei nach Les Granges, in den Nachbarort von Les Marécottes. «Welch ein Tag!», schwärmt Jürg. «Für ein Skigebiet mit nur drei Liften gar nicht schlecht, oder?», meint Jérémie augenzwinkernd. Sein letztes grosses Projekt hat ihn zusammen mit Samuel Anthamatten in den Himalaya geführt. Ist es da im «Wohnzimmer» nicht etwas fade? «Es mag hier alles kleiner sein», überlegt Jérémie. «Aber langweilig? Nein, langweilig wird es mir hier wohl nie werden. Wenn ich zu Hause bin, bin ich im Winter fast jeden Tag hier oben.»

Praktische Infos:

  • Anreise mit dem ÖV: Per Zug mit dem Mont-Blanc-Express direkt nachLes Marécottes. Oder mit dem Skibus von Martigny. 
  • Anreise mit dem Auto: Autobahn A9 bis Martigny, dann Richtung Salvan/Les Marécottes.
  • Unterkunft: Diverse, z.B. das Hotel 1000 étoiles
  • Essen: z.B. im Restaurant Le Clair de Lune
  • Bergführer: No Limits Experience, Tel. +41 27 395 45 55
  • Lokale Tourismusorganisation: valleedutrient.ch

Freeride-Tipps 

Die gängigen Freeride-Varianten sind vom Sessellift «Le Vélard» gut einsehbar. Der Lift erschliesst zwischen der Mittelstation La Creusaz und der Vélard-Bergstation knapp 500 Höhenmeter hochkarätiges Freeride-Gelände mit weiten Hängen, engen Couloirs und Felsen zum Springen. Könner wagen sich in die Couloirs des Felsriegels Frête du Parc. Auf der Südseite der Frête du Parc öffnet sich am Fusse des Hausbergs Le Luisin nochmal ein weites Becken mit ähnlich vielseitigem Gelände wie in den Hängen rund um das Skigebiet. Auch in Les Marécottes sollte man die Tourenausrüstung unbedingt mit dabeihaben. Sichere Verhältnisse vorausgesetzt, lohnt sich der kraftraubende Aufstieg durch die steile Rinne zum Col de la Golette. Jenseits der Scharte erschliessen sich schier endlose Freeride-Varianten und Tourenmöglichkeiten. Ein Klassiker ist die Abfahrt zum Lac de Salanfe mit anschliessender Rückfahrt unterhalb der Staumauer des Sees nach Les Diés und Les Granges (per Bus oder Taxi zurück nach Les Marécottes). Als grosse Tagestour ist sogar ein Abstecher zu den legendären Felsspitzen der Dents du Midi möglich. Deutlich kürzer, aber bei sicheren Verhältnissen lohnend, ist der nordseitige Aufstieg auf den Le Luisin (ab Col de la Golette gut 300 Höhenmeter).  

Weitere Literatur:

  • Die schönsten Freeride-Touren in den Schweizer Alpen, Jürg Buschor, Simon Starkl, AT Verlag
  • Freeride Map Lötschental und Freeride Map Anniviers: Link

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