13 Jahre ist es nun her, dass Greenpeace
mit seiner «Detox»-Kampagne Alarm
schlug. Nach dem Auftakt im Jahr 2011,
der sich vor allem gegen den Einsatz
gefährlicher Chemikalien in der Modeindustrie
richtete, nahm man 2015 auch die
Bergsport- und Outdoor-Industrie in den
Fokus – speziell die imprägnierten Wetterschutzjacken.
Rückblickend ist es wohl keine
Übertreibung, dass in dieser Bewegung
eine, wenn nicht die entscheidende Keimzelle
des Nachhaltigkeits-Trends liegt, der
heute die gesamte Branche erfasst hat.
Aber der Reihe nach: Als problematisch
enttarnte man die Imprägnierungen
von Hardshelljacken, also jene Mittel, die den
gewünschten Abperleffekt auf den Jacken
erzeugten. Das Problem: In den Imprägnierungen
steckten PFAS, also per- und polyfluorierte
Alkylsubstanzen. So nennt die Fachwelt
jene Stoffgruppe, die im Volksmund
häufiger «PFC» (polyfluorierte Chemikalien)
genannt werden. Grob gesagt sind das Kohlenstoffmoleküle
mit Fluoranteil, denen man
im Alltag auf Schritt und Tritt begegnet: in der
Beschichtung von To-go-Kaffeebechern, in
der Bratpfanne mit Anti-Haft-Beschichtung,
im Kettenöl fürs Velo, in schmutzresistenten
Teppichen – oder eben in wasserabweisenden
Imprägnierungen von Jacken, Seilen
und Schuhen.
Trockene Füsse dank Imprägnierung – doch die Natur kann PFC nicht abbauen.
Problematisch ist an diesen
PFC vor allem, dass sie besonders persistent
sind, sich in der Natur also nicht abbauen,
denn Verbindungen von Kohlenstoff und
Fluor können nur mit sehr hohem Energieaufwand
(z. B. Temperaturen von 1300 °C)
wieder getrennt werden. Ob in menschlichem
Blut oder in der Antarktis: Überall auf
der Welt wurden und werden PFC nachgewiesen.
Und was sich nicht abbaut, reichert
sich an – bis hin zu Konzentrationen,
die für die Umwelt schädlich sind. Immer
mehr Studien legen heute offen, dass PFC
sich negativ auf das menschliche Immunsystem
auswirken (etwa den Cholesterinspiegel),
Schilddrüsenerkrankungen befördern
und krebserregend wirken.
Inzwischen ist ein als «PFC-frei» beworbenes
Bergsport-Produkt nicht nur
ein Verkaufsargument für eine immer sensiblere
und umweltbewusstere Kundschaft.
PFC-freie Produkte werden in absehbarer
Zukunft auch gesetzlich nötig sein: Seit
2020 sind die besonders langkettigen PFOA
in der Europäischen Union verboten, zumindest
dann, wenn sie in Europa erzeugt
werden. Die Übergangsfristen (etwa für den
medizinischen Gebrauch von PFC, z. B. in
Herzklappen) sind indes noch lang und die
Ausnahmen, etwa für kurzkettige PFC, zahlreich.
Fakten geschaffen hat beispielsweise
bereits der Wintersport: Fluorierte Skiwachse
sind bei Wettkämpfen der FIS oder auch
beim Biathlon (IBU-Verband) verboten.
Warum Gore eine neue
Membran braucht
Aber auch in der Outdoorbranche haben die
meisten Hersteller bereits grosse Anstrengungen
unternommen, um die so nützlichen,
aber eben auch schädlichen PFC aus dem
Herstellungsprozess zu verbannen. Dieser
Prozess ist nach wie vor im Gange. So setzten
einige Anbieter von Imprägnierungen
früh auf PFC-freie Mittel – unter der Zuhilfenahme
von Silikonen, Polyurethanen oder
Paraffinen, um die positiven Eigenschaften
von PFC nachzuahmen. Andere dagegen
fahren zweigleisig und bieten neben einer
PFC-freien Variante auch heute noch die bewährten
und effektiven Mittel mit Fluor an.
Weil PFC-freie Imprägnierungen
mehr und mehr zum
Standard werden, ist die richtige
Pflege einer Hardshelljacke
– Wäsche und Erneuerung
der Imprägnierung – noch
wichtiger geworden.
Doch das Problem der PFC betrifft nicht
nur Imprägnierungen. Auch wenn es
inzwischen eine Vielzahl anderer Hersteller
von Funktionstextilien gibt: Das
Unternehmen Gore Fabrics und besonders
ihre Gore-Tex-Laminate sind nahezu
ein Deonym für Wetterschutzjacken.
Soll heissen: Ihr Markenname steht so
selbstverständlich für eine Produktkategorie
wie ein Tempo-Taschentuch, ein
Jeep oder ein Föhn. Eigentlich, so könnte
man meinen, müsste Gore das PFC-Problem
nicht gross kümmern, denn für die
Imprägnierung einer Jacke ist der Hersteller
des Laminats ja nicht zuständig.
Bei
Gore-Tex reicht das Problem dagegen tiefer,
denn auch die Membran, die im Laminat
zwischen Oberstoff und Innenfutter steckt
und die eigentliche «Funktion» einer Funktionsjacke
ausmacht, besteht bzw. bestand
bei Gore-Tex seit jeher aus perfluorierten
Stoffen. 1969 entdeckte Robert W. Gore
die Eigenschaften von ePTFE, also expandiertem
Polytetrafluorethylen. Ganz vereinfacht
gesagt ist ePTFE eine hauchdünne
Folie, die so gereckt (expandiert) wird, dass
sie mikroskopisch kleine Poren bekommt –
rund 1,4 Milliarden pro Quadratzentimeter.
Diese Poren sind so gross, dass gasförmiger
Wasserdampf passieren kann, flüssige
Wassermoleküle aber nicht. Eigentlich genial.
Das Problem: PTFE, besser bekannt
unter dem Handelsnamen Teflon, gehört
zur Gruppe der perfluorierten Chemikalien.
Auch unter dem wachsenden öffentlichen
Druck erklärte Gore Fabrics Anfang
2017, bis 2023 die gesamte Produktion PFC-frei
zu machen, heute geht man eher von
2025 aus. Ein gewaltiger Schritt. Denn nicht
nur war Gores bewährte ePTFE-Membran
seit Jahrzehnten erfolgreich im Einsatz,
auch Dutzende Hersteller, von Arc’teryx
über Patagonia bis Norrona, setzten Gore-Tex-Laminate ein. Das Vertrauen in die
Gore-Tex-Produkte war (und ist) so gross,
dass eine Abkehr vom bewährten ePTFE
nur dann gelingen konnte, wenn ein gleichwertiges
Ersatzprodukt gefunden wurde –
und genau daran scheiterte es lange, denn
die Eigenschaften von PFC waren für die
Anforderungen «wasserdicht» und «wasserdampfdurchlässig» schlichtweg zu gut,
um sie mit umweltverträglichen Mitteln
nachzuahmen. So sieht es auch Joachim
Stark, der seit mehreren Jahrzehnten Marketingarbeit
für Gore-Tex-Produkte leistet:
«Die bisherige Generation an Laminaten
hat die Standards gesetzt, an denen sich
künftige Produkte messen lassen müssen.»
Der Dampf muss durch
In jeder Hardshell- oder Wetterschutzjacke steckt eine wasserdichte,
aber dampfdurchlässige Membran. Geschützt wird die
Membran in der Regel von einem auflaminierten Oberstoff. Damit
Regen besonders gut von ihm abperlt, wird er imprägniert. Sowohl
in Membranen als auch in Imprägnierungen kamen
lange Zeit, bis heute, PFC zum Einsatz.
An dieser Stelle ein kurzer Exkurs in Sachen
Abperleffekt: Dieser hat nichts mit der
Wasserdichtigkeit einer Jacke zu tun. Auch
wenn sich eine Imprägnierung abgenutzt hat
und der Abperleffekt nachlässt, sind Wetterschutzjacken
mit Membran von aussen
wasserdicht. Entscheidend ist der Abperleffekt
vielmehr für die zweite Anforderung, die
Funktionsjacken erfüllen müssen: der Wasserdampfdurchlass.
Saugt sich der Oberstoff
einer Jacke mangels Abperleffekt voll, fühlt
sich die Jacke von innen irgendwann nass
an. Bei diesem «Wetting-out-Effekt» dringt
aber kein Regen nach innen, sondern es ist
der körpereigene Wasserdampf, der im Inneren
der Jacke kondensiert, weil er nicht
mehr durch die Membran passieren kann.
Schon bevor man bei Gore Fabrics 2011
die Suche nach einem gleichwertigen,
PFC-freien ePTFE-Ersatz begann, machten
einige Unternehmen mit Alternativen von
sich reden. Etabliert hat sich dabei etwa die
1999 entwickelte Membran eVent, die auch
unter dem Namen DryQ vertrieben wird und besonders wasserdampfdurchlässig,
allerdings auch nicht vollständig winddicht
ist. Gleiches gilt für die NeoShell-Membran
von Polartec, die auf elektrogesponnenen
Submikronfasern basiert. Weit verbreitet
sind inzwischen auch die Dermizax-Membranen
des japanischen Herstellers Toray,
die etwa in Ortovox-Jacken stecken, oder
die OutDry-Laminate, die ohne Imprägnierung
auskommen. The North Face forschte
mit grossem Budget an seiner «Futurelight»-Membran, und auch der seit jeher
auf PFC-freie Laminate setzende Hersteller
Sympatex bekam wieder etwas Aufwind.
Sympatex-Membranen sind porenlos, können
also anders als die winzigen Poren von
ePTFE und Co. nicht durch Salze, Fette o. Ä.
verstopfen und so den Wasserdampfdurchlass
mindern. Auch in puncto Elastizität und
Wiederverwertbarkeit bzw. Sortenreinheit
von Laminaten sind in der Zwischenzeit beträchtliche
Fortschritte erzielt worden.
Zur Ispo 2022 war es dann so weit:
Unter dem Stichwort ePE – das «TF» für
Tetrafluor ist verschwunden – präsentierte
Gore Fabrics sein neues Laminat. Dabei
sind laut Gore «Membran, Laminate und
DWR-Behandlungen PFC-frei». Das Prinzip
ist gleich geblieben: Expandiertes Polyethylen
ist von aussen wasserdicht und soll
mittels kleinster Poren von innen Wasserdampf
entweichen lassen. Klar, dass die
neue ePE-Membran ein «Meilenstein auf
der jahrzehntelangen Innovationsreise des
Unternehmens» (Gore über Gore) ist. Was
die Funktionalität der ePE-Membran angeht,
lehnte man sich indes weniger weit
aus dem Fenster: «Die neuen Gore-Tex-Produkte
mit der neuen Membran bieten bewährte
Leistung und Haltbarkeit», zitierte
ein Advertorial im Umfeld der Ispo 2022
Lara Wittmann, Strategic Marketing Gore
Consumer Fabrics.
Damit auch umweltverträgliche
Imprägniermittel
den gewünschten Abperleffekt
erzeugen (und damit den
Dampfdurchlass verbessern),
müssen diese regelmässig
aufgetragen werden.
Was kann die neue Membran?
Wie gut also sind die neuen Laminate? Können
sie mit den alten fluorierten Laminaten
mithalten? Was auffällt: Die früher übliche
Angabe eines Wasserdampfdurchgangswertes,
etwa als MVTR- oder RET-Wert,
sucht man bei den neuen Gore-Tex ePE-Jacken
noch vergeblich. «Wir haben faktisch
kaum Infos zu den neuen ePE-Laminaten
bekommen», konstatiert auch Bächli-Textileinkäufer
Marcus Liss. Solche Werte besagten,
wie gut Schweiss und Feuchtigkeit aus dem Inneren der Jacke vom Körper
weg passieren können.
Ein MVTR-Wert von
mehr als 40'000 g/m2/24h gilt als herausragend,
unterhalb von 10'000 g/m2/24h
gilt eine Jacke als nicht mehr «atmungsaktiv». Nebenbei gesagt ist die oft zitierte
Atmungsaktivität ein irreführender Begriff,
denn «aktiv» atmen kann kein Laminat der
Welt. Beim RET-Wert gilt alles unter 6 als
extrem dampfdurchlässig, alles über 20 als
nicht mehr atmungsaktiv. Zum Vergleich:
In den Regularien des berühmten Trailrunning-Events UTMB wird etwa eine Wetterschutzjacke
mit einem RET-Wert unter
13 empfohlen.
Auf Basis seiner Erfahrungen neigt
Bächli-Experte Liss dazu, die Erwartungshaltungen
an Gores neue ePE-Membran
etwas zu dämpfen: «Aufgrund der niedrigeren
Atmungsaktivität wurden die bisher
auf dem Markt befindlichen ePE-Laminate
mehrheitlich für Produkte in den weniger
anaeroben Bereichen Wandern und Skisport
eingesetzt», so Liss. Oder anders
gesagt: Während man bei der Wetterfestigkeit,
also den wasser- und winddichten
Eigenschaften der neuen Gore-Membran
blind vertrauen darf, wird man den Wasserdampfdurchlass
bei intensiver Gangart
oder ungünstigen Aussenbedingungen
wohl auch künftig ans Limit bringen.
Auch
bei Gore selbst ist zwischen den Marketingzeilen
herauszulesen, dass noch Arbeit
zu tun ist: «Die Reise geht weiter»,
kommuniziert Gore Fabrics, die ePE-Membran
werde in den nächsten Jahren «in
einer viel breiteren Palette von Laminaten
und für erweiterte Endanwendungen»
eingesetzt. Klar, denn auch die ePTFE-Laminate
in Schuhen, Handschuhen usw.
muss ja durch ePE ersetzt werden.
Und
Joachim Stark rät vorsorglich gleich noch,
die im Umlauf befindlichen Jacken mit
ePTFE-Membran nicht zu verteufeln, sondern
weiter zu nutzen: «Produkte mit der
bisherigen Technologie auf ePTFE-Basis
werden nicht schlechter, nur weil sich bei
den neuen die Materialität geändert hat.»
Nicht zuletzt steht aber auch der Konsument
in der Pflicht: Er sollte sich die Frage
stellen, ob es wirklich das allerhöchste
Mass an Dampfdurchlass braucht. Und
sich bewusst sein, dass am Ende immer
die Physik gegen die Chemie gewinnt:
Auch mit der besten Hardshell aller Zeiten
schwitzt man nicht weniger, als ohne.
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