Die Wettkampfkletterin Katherine Choong nimmt neue Herausforderungen in Angriff. Ganz konkret: Mehrseillängen. Ihr ambitionierter Fokus lag auf der im achten Grad angesiedelten Route «Ultime Démence» in der französischen Verdonschlucht. Wie sie gegenüber ihren gewohnten Routen umdenken musste, wo die Krux lag und ob der Durchstieg tatsächlich klappte, erzählt Katherine in ihrem Kletterbericht.
Aufgrund der Situation um COVID-19 sind alle Weltcup Events diesen Sommer abgesagt worden. So konnte ich mich zum ersten Mal in meinen 15 Jahren beim Schweizer Nationalteam, wieder ganz auf den Fels konzentrieren. Nach einigen sehr schwierigen Routen, die ich in den letzten Jahren geklettert bin, wollte ich etwas entdecken, das mich auf andere Art und Weise herausfordert - ich hatte Lust etwas Neues zu lernen. Letztes Jahr habe ich begonnen, vermehrt Mehrseillängen zu klettern. Die Herausforderung dabei ist für mich viel komplexer. Ich musste lernen, meine Kraft auf die gesamte Länge der Route einzuteilen, mit dem Seil umzugehen und natürlich mit der Angst vor der Leere klarzukommen, was auch viel Energie braucht. Aber gerade das ist es, was mich an dieser neuen Herausforderung besonders interessiert, ebenso wie der Teamgeist in der Seilschaft und das Teilen von Emotionen mit dem Partner, welche ich viel stärker wahrnehme als beim Sportklettern.
Da die Einschränkungen um Corona es uns nicht erlauben, auf die andere Seite der Welt zu reisen, beschloss ich Projekte in der Schweiz und in Frankreich für mich zu entdecken. So sind wir im Verdon gelandet.
Ultime Démence
Ich habe diese Route auf Empfehlung meiner Freundin Nina Caprez, die eine grosse Inspirationsquelle in Sachen Mehrseillängen ist, gewählt. Es handelt sich um eine nicht zu lange Route mit 6 Seillängen (7c+, 7c, 8a, 8a, 7c, 7c; 150 Meter) an super Fels mit sehr variierendem Stil; mit Sinter, einer Verschneidung, Platten und Leisten die im Allgemeinen gut überhängend ist. Auf dem Papier nichts übermässig Schwieriges, aber eine grosse Herausforderung für mich. Der erste Versuch war - sagen wir mal - kompliziert. Die Seillängen kamen uns sehr schwierig vor und wir kamen von der Route ab. In Kürze: Wir haben keinen Express hinterlassen, weil wir dachten, dass ein Durchstieg in so kurzer Zeit unmöglich sein würde. Aber am selben Abend zog es mich schon wieder zurück. Tag für Tag wurden wir effizienter und die Angst verflog langsam. Ich spürte, dass sich mein Körper an diese ungewöhnlichen Bedingungen anpasste und der Durchstiegsmodus wurde hochgefahren. Es gab jedoch noch zwei Seillängen, die ich nicht bewältigen konnte. Was umso schlimmer war, da meine Fotografenfreundin Julia Cassou extra den Weg auf sich genommen hatte und ihr Aufenthalt in Frankreich fast vorbei war. So beschloss ich, den Durchstieg trotz der Feuchtigkeit und der überwältigenden Hitze zu versuchen. Die erste Länge, die für mich immer noch ein Problem darstellte, war entscheidend für den Kopf. In einem Kampf gelang es mir jedoch, sie zu punkten und so war der Durchstiegsmodus eindeutig angeworfen. Alles lief gut bis zur berühmten Verschneidung 8a (L4), in der ich grosse Mühe hatte mehr als nur ein paar Züge aneinander zu reihen. Doch der Wille zu kämpfen war wirklich stark, ich passierte die Krux, um jede Bewegung ringend, kam im letzten Teil bei einem der letzten Züge völlig aufgelöst an, verlor die Übersicht und fand mich ein paar Sekunden später am Ende meines Seils hängend wieder. Der Versuch kostete mich so viel Energie, dass es völlig unmöglich erschien, für einen weiteren zurückzugehen. Aber ermutigt durch Julia und Jim ging ich wieder zum vorherigen Stand hinunter, um meinen Kopf wiederzufinden und eine kleine Pause zu machen. Diesmal hatte ich keine Wahl, mein Kopf musste meine Arme übernehmen, die mich anflehten, aufzugeben. "A muerte Kathy!", sagte Julia. Der Druck der letzten Chance war auf meiner Seite.
Diesmal erschienen mir die Züge einfacher, ich führte die Choreografie meiner Bewegungen mit Präzision aus und bewegte mich Zug für Zug nach oben. Meine Konzentration war auf ihrem Höhepunkt angelangt, ich spürte jeden gesetzten Fuss, jeden Finger. Nichts störte mich mehr. Die Ermutigungen von Julia, Jim und sogar die der Kletterer unten in der Schlucht trieben mich noch mehr an. Ich kletterte an der Stelle vorbei, an der ich zuvor gestürzt war, meine Finger öffneten sich unter dem Gewicht der Müdigkeit, aber ohne zu zögern bewegte ich mich vorwärts und widerstand der Versuchung, loszulassen. Dann erreichte ich das Ende der Seillänge und hängte am Stand ein. Ich teilte einen Moment purer Freude mit Julia, die an ihrem Statikseil am Ende der Route auf mich wartete. Jim gesellte sich zu uns, und wir vollendeten die letzten beiden Seillängen, um den sonnenbeschienenen Gipfel zu erreichen.
Ich möchte mich noch einmal bei Julia und Jim für die Hilfe bedanken, die sie mir beim Durchstieg der Route gewährt haben, sowie bei meinen Partnern für ihre Unterstützung bei meinen Projekten.
Fotos © Julia Cassou
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