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Kontrovers: Skitourenhelme

Nadine Regel, Mittwoch, 02. Februar 2022

Helm oder nicht Helm – ist das überhaupt noch die Frage? Leider ja. Im Gelände verzichten immer noch Menschen auf den Helm. Wir haben mit drei Fachpersonen gesprochen: Welche Wirkung erzielt der Helm im Gelände, warum ist der Helm auf Skitour noch nicht so akzeptiert wie auf der Piste und wo liegen die Grenzen des Helms?

«Wir empfehlen auf jeden Fall, einen Schneesport- oder Multisporthelm beim Skitourengehen und Splitboarden zu tragen. Dies vor allem bei der Abfahrt und im Gelände mit erhöhter Gefahr von Stein- oder Eisschlag. Von der Benützung eines Kletterhelms beim Skifahren raten wir jedoch ab. Es ist gut belegt, dass der Schneesporthelm 30 % der Kopfverletzungen beim Ski- und Snowboardfahren verhindern oder zumindest den Schweregrad der Verletzungen reduzieren kann. Der Helm hat da seine Grenzen, wo der Aufprall zu stark ist. Bei leichten und mittelschweren Kopfverletzungen und Gehirnerschütterungen leistet er aber einen guten Schutz.

Beim Skifahren auf der Piste ist die Helm-Quote bei über 90 %. Draussen im freien Gelände wissen wir nicht, wie viele Menschen einen Helm tragen. Aber es scheint so, dass die Zahl steigend ist. In Bergsteigerkreisen ist das Helmtragen noch nicht überall akzeptiert, selbst beim Klettern nicht. Der Helm wird zwar oftmals in gewissen Situationen getragen, aber es gibt keine generelle Akzeptanz. Wir versuchen deshalb immer wieder, das Thema bei Bergsportverbänden und -organisationen wie auch beim Sportförderprogramm Jugend und Sport einzubringen.

Beim Skitourengehen machen Kopfverletzungen rund 14 % aller Verletzungen aus. Bedeutender im Gelände sind die Verletzungen am Knie (30 %) sowie am Unterschenkel und Sprunggelenk (20 %). Pro Jahr verletzen sich in der Schweiz knapp 1000 Personen beim Skitourengehen, rund 20 Personen verlieren dabei ihr Leben, die Mehrheit davon bei Lawinenabgängen. Tendenziell nimmt die Zahl der Verletzten und der Getöteten beim Skitourengehen seit dem Jahr 2000 zu, was aber damit zu tun hat, dass auch immer mehr Menschen den Sport ausüben.»

Dr. Flavia Bürgi
Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU


«Ich war von 1995 bis 2004 selbst Profi-Skibergsteiger. In den 90ern war der Helm noch nicht verpflichtend. Das hat sich erst in den 2000ern entwickelt: Zuerst gab es eine Helmpflicht bei internationalen Wettkämpfen, dann kam der SAC hinzu und später die Patrouille de Glaciers (PDG). 2002 habe ich gemeinsam mit meinem Team bei der PDG den dritten Platz belegt – damals noch ohne Helm. Von 2005 bis 2012 habe ich als Disziplinenchef des SAC die Schweizer Nationalmannschaft im Skitourenrennen betreut. Heute arbeite ich als Bergführer und gebe Trainings in Vorbereitung auf die PDG.

Bei den jungen Athleten und Athletinnen sehe ich ein deutliches Umdenken. Von denen trainiert heute keiner mehr ohne Helm. Die sind schon von Anfang an mit Helm sozialisiert worden und kennen es nicht anders. Es gibt eigentlich auch keinen Grund, keinen Helm zu tragen, weil immer etwas passieren kann. Dazu fällt mir eine Anekdote ein: Ich war mit einem Gast bei einer Hochtour unterwegs. Das Gebiet kannte ich, der Fels war kompakt, das Steinschlagrisiko gering. Ich entschied, keinen Helm aufzusetzen. Nun gab es noch eine andere Seilschaft in der Wand. Der Rucksack des einen ging auf und der Inhalt fiel die Wand hinunter – zum Glück nicht auf uns.

Beim Hochlaufen oder auf dem Gletscher trage ich keinen Helm. Ich stelle es auch meinen Gästen frei, ob sie einen Helm tragen. Ich war auch mal Profi im Skilanglaufen. Da rast man teils mit 70 km/h die Loipen entlang. Der Helm ist dort (noch) kein Thema. Von der Industrie wünsche ich mir noch eine bessere Isolierung bzw. Passform für Mützen unter dem Helm. Da entscheiden sich viele doch für die Mütze und gegen den Helm. Ich habe auch schon Skiunfälle gesehen, wo der Helm demoliert war. Das macht einen nachdenklich.»

Rolf Zurbrügg
Berg- und Skiführer, Patrouille-de-Glaciers-Guide


«Die Einführung des Skihelms hat die Rate von Schädel-Hirn-Verletzungen auch beim Skitourengehen deutlich gesenkt. Bei uns in Innsbruck und Umgebung tragen eigentlich alle Alpinskifahrer und Skitourengeher statt der Mütze einen Skihelm. Diese Entwicklung geht schon über etwa zehn Jahre. Signalwirkung hatte sicher die Michael-Schumacher-Verletzung. Dadurch haben sich auch die Verletzungen verlagert: Hirnblutungen und Schädel-Hirn-Traumata sind deutlich weniger geworden, aber dafür sind die Gesichtsschädelverletzungen, also Verletzungen am Ober- und Unterkiefer und Jochbein, nach wie vor ein Thema. Um die zu verhindern, müsste man einen Vollvisierhelm tragen. 

Skitourenverletzungen gab es letztes Jahr aufgrund der Pandemie deutlich mehr, weil die Lifte lange zu hatten – 37 % mehr als noch 2019. Es waren sehr viele Leute im Gelände unterwegs, auch solche, die lange nicht mehr oder zuvor noch nie Skitouren gegangen sind. Der Altersdurchschnitt bei Skitourengehern war während der Pandemie auch deutlich höher. Ursächlich für Unfälle ist oft, dass sich die Leute in falscher Sicherheit wägen. Dann kommen so Aussagen wie: ‹Ich fahre schon seit zwanzig Jahren und mir ist nie etwas passiert.› Hinzu kommen schwierige Witterungsverhältnisse, Selbstüberschätzung und die mangelhafte körperliche Verfassung.

Während der Pandemie haben wir auch gemerkt, dass untrainierte Leute Skitouren gegangen sind. Wir hatten oft in der Frischverletzten-Ambulanz ältere Menschen liegen, die sagen: ‹Ich hätte es doch nicht machen sollen.› Mal sehen, wie es diesen Winter wird, aber die Lifte sollen ja wieder geöffnet haben. Mein Fazit: Jeder Mensch, der ohne Helm Skifahren geht, ist selbst schuld. Ich habe selbst zwei Kinder und wenn ich da keinen Helm trage, dann ist die Vorbildwirkung auch gleich weg.»

Universitäts-Prof. Dr. Rohit Arora
Innsbrucker Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie

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