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«Das Allerwichtigste ist, dass eine Route funktioniert»

Fabian Reichle, Mittwoch, 30. März 2022

Kevin Huser ist ehemaliger Profikletterer und Boulderhallenbesitzer. Seine Werkzeuge sind Kletterschuhe, Chalkbag – und Schraubenzieher. Teil seines Jobs ist es, Plastikgriffe und –tritte an die Wände zu schrauben. Wir haben mit ihm über schöne Routen, dynamische Boulder und das Nachahmen von Felsklettereien in der Halle gesprochen.

Bevor du Mitinhaber des Bouba - Boulder Baden wurdest, warst du Co-Routenbauchef in der Kletterhalle Gaswerk. Wie kamst du zu diesem Job?

Ich brauchte Geld und wollte arbeiten. Nach meinem Militärdienst legte ich ein Zwischenjahr ein, durch meine Vergangenheit als Profikletterer war es naheliegend, in diesem Bereich etwas zu suchen. So kam ich erst nach Winterthur in die Kletterhalle 6a Plus. Als ich dort anfing, merkte ich schnell, dass der Job speziell war. Es war das erste Mal in meiner Berufskarriere, dass mir die Arbeit nicht verleidete. Ich fand einen Job, der mir Erfüllung gab. 

Was hat dich denn am Routenbau motiviert?

Die grösste Motivation war – und ist – wenn Besucher an meine geschraubten Routen kamen und Freude daran hatten. Oder auch nicht. Auf jeden Fall ist mit ihnen emotional immer etwas geschehen. Das hat in mir etwas Sinnstiftendes ausgelöst. Zugegeben, ich hatte Bedenken, dass mir die Decke auf den Kopf fällt, wenn ich bis zu 14 Stunden in einer Kletterhalle bin. Das ist zum Glück nie passiert.

Du hast mittlerweile viel Erfahrung gesammelt. Wann ist für dich eine Kletterroute gelungen?

Das Allerwichtigste für mich ist, dass eine Route funktioniert. Dass es eine logische Lösung in dem Schwierigkeitsgrad gibt, in dem sie gebaut wurde. Was jedoch nicht bedeutet, dass es nur eine einzige Lösung geben darf.

Was verstehst du unter einer funktionierenden Kletterroute?

Das lässt sich am einfachsten anhand einer Route erklären, die nicht funktioniert. Nehmen wir einen Dyno, der zwar offensichtlich, jedoch so weit ist, dass er für grossgewachsene Menschen gerade noch knapp machbar ist, dann wird er für kleinere Personen unmöglich sein. Die Kletterroute wird dadurch unlösbar. Schlussendlich braucht es für eine gute Kletterroute viele Überlegungen, denn eine schlechte wird meistens durch zwei, drei Züge kaputtgemacht.


Du schraubst selbst Probleme in deiner Boulderhalle. Wie gehst du dabei vor?

Zuerst hau ich einfach mal alle Boulder an die Wand, ohne irgendetwas zu testen. Dann ziehe ich meine Kletterschuhe an und probiere alles durch. Nun kommt die Feinarbeit. Bei fast jedem Boulder müssen Tritte verschoben und Griffe ausgewechselt oder gedreht werden. In den meisten Fällen komme ich so zum Ziel.

Und wenn du am Ziel bist, geht es zum nächsten Problem?

Nein. Nachdem ich mit meinem Test durch bin, kommt eine zweite Person hinzu und testet ebenfalls. Sie versucht dabei, die Grundidee meines Boulders zu verstehen und diese so umzusetzen, dass sie sauber funktioniert. Im Endeffekt muss ich offen dafür sein, von dieser Grundidee abweichen zu können. Letztendlich steht die Kundschaft im Vordergrund und nicht das Ego des Routenbauers.

Von der Grundidee abweichen. Kannst du das erklären?

Wenn ich sehe, dass ein Boulder von mir viel einfacher als vorgesehen gelöst werden kann, schraube ich ihn um – aus dem Grund, weil er im Prinzip falsch ist. Wenn Leute aber Lösungen finden, die ähnlich schwer sind als das, was ich mir überlegt habe, dann geht das in Ordnung. Solange natürlich die Bewegungen schön sind.

Andere Lösungen respektive eine für dich völlig neuen Beta deines eigenen Boulderproblems: Gibt dir das Impulse für neue Projekte?

Auf jeden Fall. Ich finde es super, anderen zuzuschauen. Man lernt sehr viel durch direktes Feedback zu dem, was man selbst geschraubt hat.

Du hast die Bewertungen erwähnt. Wie kommen diese zustande?

Das ist immer eine Mischung aus mehreren Meinungen. Es kommt dabei auch immer sehr auf Körpergrösse, Kraft- oder Technikorientiertheit und so weiter an. Wir versuchen dann jeweils die Mitte dieser Meinungen als Grad anzuschreiben.

Vom Schrauben von Sportkletterrouten zu Bouldern. Wo liegt der Unterschied?

Boulder schrauben ist im Prinzip etwas einfacher, weil weniger Züge nötig sind. Auf der anderen Seite sind gerade bei modernen Problemen enorm viele Bewegungsabläufe möglich. Man muss daher darauf achten, dass der angepeilte Schwierigkeitsgrad Sinn ergibt.


Gerade die kreativen Bewegungsabläufe in Bouldern sind voll im Trend. Was hältst du davon, dass Probleme immer dynamischer geschraubt werden?

Seit ein paar Jahren geht es in diese Richtung, definitiv. Für den Sport finde ich diese Entwicklung super. Dynamische Bewegungen können ausdauermässig länger ausprobiert werden als statische Kraftakte. Bei Problemen, die ich knallhart halten muss, bin ich nach wenigen Versuchen ausgepowert und mir schmerzen die Unterarme. Das ist vor allem für Anfängerinnen und Anfänger demotivierend. Moderne Boulder haben den Sport massentauglicher gemacht, die momentane Entwicklung ist demnach eine dankbare Sache. Früher war es meiner Meinung nach unmöglich, so viele Menschen zum Bouldern zu begeistern.

Entfernt sich dadurch das Bouldern und Klettern in der Halle nicht immer mehr vom Fels?

Ja schon, aber das ist doch eigentlich egal. Ich finde es schön, wenn es in unserer Sportart so viele verschiedene Möglichkeiten gibt. Drinnen und draussen muss nicht dasselbe sein. Früher wurde oft versucht, die Bewegungen von draussen in die Kletterhallen zu bringen – mit vielen Inserts und Griffen, die dem Fels ähneln. Heutzutage sind Griffe in der Halle ergonomischer und angenehmer. Das darf ruhig so sein. Dahingegen gibt durchaus noch immer Boulder und Kletterrouten in den Hallen, bei denen es nach wie vor ums kräftige Festhalten geht. Das zeigt sich auch an den Systemwänden wie beispielsweise dem Moon Board. So entsteht in den Hallen ein guter Mix für Leute, die noch nie am Fels waren und für solche, die auch draussen klettern. Und sowieso: Es kann nie ein Nachteil fürs Felsklettern sein, wenn man sich primär in einer Halle bewegt und dort ein gewisses Bewegungsspektrum erlernt.

Gesamtheitlich gesehen: Was zeichnet eine Halle im Hinblick auf die Routenvielfalt aus?

Es ist wichtig, dass es für alle Besucher etwas hat und verschiedene Stile abgedeckt werden. Ein gutes Angebot zeichnet sich durch die Diversität der geschraubten Routen und Probleme aus. Es braucht das Offensichtliche, wo der Schwierigkeitsgrad ausschliesslich über die Griffqualität definiert wird und im Gegensatz dazu muss es Routen geben, bei denen es mehr ums Tüfteln geht, die schöne Bewegungen beinhalten und komplex sind. Wenn man diese Mischung hinkriegt, können sich Kletterinnen und Kletterer austoben, indem sie im gleichen Schwierigkeitsgrad viel Abwechslungsreiches erleben.

Bei aller Kreativität, in vielen Hallen schrauben immer die gleichen Leute, wodurch sich irgendwann ein Muster zeigt. Das Routenangebot droht langweilig zu werden. Wie wirkst du dem entgegen?

Mich dünkt es wichtig, dass ein erweitertes Team von Schraubenden für den Routenbau zuständig ist. Wenn stets unterschiedliche Personen Routen kreieren, kriegt man automatisch mehr Vielfalt in die Halle. Wichtig ist einfach, dass dieses Team alle Schwierigkeitsgrade abdecken kann. Dieses Konzept setzen wir auch bei uns im Bouba um.

Gibt es Trends, die du als Routenbauer beobachtest?

Ich bin schon lange in Hallen unterwegs und es ist jenseits, was sich getan hat. Heutige Hallen haben nichts mehr mit dem zu tun, was vor zehn Jahren Trend war. Da gab es eine riesen Entwicklung. Da ist einerseits das Plastik-Material, das wesentlich leichter wurde. Es können Volumen und Griffe in Grössen an die Wände montiert werden, die früher des Gewichtes wegen undenkbar gewesen wären. Andererseits gibt es mittlerweile viel mehr Hersteller, da der Markt in den letzten Jahren förmlich explodiert ist. Es existieren dadurch unzählige kreative Formen von Tritten und Griffen.

Und wie sieht es mit den Hallen an und für sich aus?

Auch hier gibt es klare Trends. Tendenziell sind die Wände in Hallen weniger verwinkelt und grossflächiger. Es wird viel mehr mit Volumen gearbeitet, mit denen Knicke und Veränderungen in der Wandform vorgenommen werden. Früher waren diese Knicke bereits fix in den Wänden vorgegeben, was dazu verleitete, die immer wieder ähnlichen Kletterrouten und Boulder zu bauen. Das wird heutzutage alles umgangen.

Was rätst du jemandem, der selber einmal eine Route bauen möchte?

Simpel: Entweder auf eine ausgeschriebene Stelle bewerben oder schlicht und einfach bei der Lieblingshalle anklopfen.

Über Kevin Huser
Der Widener klettert seit 18 Jahren – früher sogar für die Nationalmannschaft im Sport- und Eisklettern. Auch beruflich lässt ihn der Sport nicht los: Während mehrere Jahre arbeitete er als Routenbauer.

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