Es war mal wieder soweit. Mein Bruder und ich verabredeten uns zum Klettern. Diesmal sogar mit zwei Tagen Zeit und einer offenen Rechnung: Die namenlose Kante am Bockmattli. Vor einiger Zeit waren wir schon einmal dort, nur hatte es die ganze Nacht durch wie aus Kübeln geregnet. In guter Hoffnung, dass der Fels wieder schnell trocknen würde und wir Petrus zum Trotz unser Vorhaben verwirklichen können, sind wir trotzdem aufgestigen, eingestiegen und – der Fels ist nicht getrocknet – wieder abgestiegen. Ende der Gechichte.
Diesmal sollte es anders werden. Das Wetter versprach eine gut vorhersage. Zwar mit Wärmegewittern am Abend, aber sonst trocken. So setzte sich allmählich folgende Idee in unseren beiden Köpfen fest: Eine kombinierte Kletter-Biwak-Rundtour; Start beim Parkplatz im Schwändital mit vollem Gepäck zum Brüggler, dort einklettern, dann weiter übers Scheidegg zum Bockmattli. Dort biwakieren und am nächsten Morgen die namenlose Kante bezwingen und mit allem Gepäck zurück über den Tierberg ins Schwändital. Soweit unsere Idee. Zwei Brüder, zwei Tage, zwei Touren.
Drückende Sonne, drückendes Gewicht
So schulterten wir am ersten Morgen unseren Rucksack. Vollbepackt mit allem was wir für unser Unternehmen brauchten. Exen, Essen, Seile, Schlafsack, Matte und Wasser. Viel Wasser. Denn es versprach heiss zu werden. 14 Kilo waren es letztendlich. Und so überkamen uns nach einer Stunde Zustieg im brütend heissem Schwändital und brennenden Oberschenkeln erste Zweifel über unser Vorhaben. Zu heiss, zu viel Gepäck, zu wenig Vorbereitung. Endlich am Einstieg angekommen waren wir bereits schon schlapp wie man sich sonst erst nach der Tour fühlt. Und nach zwei Seillängen in der Südwand hiess es zurück auf den Boden - abseilen.
Unsere Füsse taten weh, haben wir sie doch beide dieses Jahr zum ersten Mal in Kletterfinken gezwängt. Alles war vielleicht etwas überambitioniert, haben wir konstatiert. Dennoch wollten wir an unserem Vorhaben festhalten. Nach einer kleinen Pause und winterlicher Abkühlung auf einem Altschneefeld ging es weiter zur Scheidegg. Die Sonne brannte unerbittlich auf uns nieder und mein Kletterhelm wurde mein Sonnenschutz. Wir kamen nur langsam vorwärts in diesem Death Valley namens Schwändital.
Irgendwann kamen wir dann doch tatsächlich am Fusse des Bockmattli an. Laut Regenradar war es noch ein bisschen hin, bis die Gewitter kommen sollten und so nutzten wir die Zeit zum Essen, Ausruhen und einer Partie Backgammon. Wir richteten unser Biwak ein und machten uns bereit für ein, zwei Stunden Unwetter.
Himmel-Stroboskop
Doch dann kam ein Gewitter, das wir so in den Bergen selten erlebt haben. Blitz und Donner nonstop. Der Himmel war hell erleuchtet. Ein Blitz nach dem anderen. Wie auf einer Technoparty im Stroboskoplicht. 21, 22, 23. Dann kamen die Donner. So dicht hintereinander folgend, dass sich eine andauernde Donnerwalze über uns schob, welche in einer Endlosschlaufe abzulaufen schien. Wir fühlten uns, als wären wir in Mordor. Näher als einen Kilometer kamen die Blitze zum Glück nie an uns ran. Aber es war so heftig, dass zum Schlafen lange keine Ruhe blieb. Trotz allem hatten wir Glück. Das Auge des Unwetters war nicht direkt über uns. Und so schliefen wir dann doch irgendwann ein.
Doch nach den Strapazen der Nacht und den Anstrengungen am Vortag erschien uns die namenlose Kante – es war 6 Uhr morgens am zweiten Tag unserer Tour – wie der K2. Nahezu unbezwingbar. Und wenn wir eins gelernt haben, dann, dass man nichts erzwingen soll, was nicht bezwungen werden will. So entschlossen wir uns dazu, mit Leichtgepäck durch den Chälen aufs Bockmattli und von dort aus über den schmalen Grat auf den Tierberg zu steigen. Und das taten wir dann auch.
Eine Enttäuschung, die keine ist
Nicht ganz so wie geplant, aber doch lohnenswert. Wir genossen die Freiheit, dass wir uns ohne Seil nach Lust und Laune über Stock und Stein bewegen konnten - ohne 14 Kilo Gepäck auf der Gratscheide zwischen Schwändi- und Oberseetal. Meinen Bruder ereilte eine SMS ob es uns gut gehe, in Zürich sei beinahe die Welt untergegangen. Ja, da haben wir wohl echt Glück gehabt, dass das Gewitterspektakel woanders sogar noch heftiger war als bei uns.
Und so ging es dann beschwingt zurück zum Parkplatz. Wir wollten zu viel und erst als wir uns dazu entschlossen, es nicht zu wollen, wurde aus einem Plan ein Abenteuer mit vielen schönen Momenten; ungeplanten Momenten. Wie die Badewanne, welche da auf der Alm auf einmal vor uns stand: Raus aus den verschwitzen Klamotten und rein ins kühle Schmelzwasser. Die Kühe waren ganz schön verdutzt, aber das war uns in diesem Moment egal. Kein Fünf-Sterne-Spa der Welt hätte ich diesem Moment für mehr Erfrischung und Erholung vorgezogen als diese Badewanne voller Schmelzwasser.
Im Endeffekt hat nichts geklappt wie es sollte und trotzdem war alles genauso perfekt. Ein Paradox, welches nur in den Bergen vorzukommen scheint. Und die namenlose Kante? Ja, wir kommen wohl noch ein drittes Mal wieder. Dann jedoch besser vorbereitet.
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