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Aconcagua 360° - Einmal Rundherum mit Gipfelglück

Kobler & Partner, Donnerstag, 27. September 2018

Bächli-Partnerbergschule Kobler & Partner waren im Februar in Argentinien, um den Aconcagua zu besteigen. Das Ziel war die Überschreitung des höchsten Gipfels Südamerikas, um in einer Rundtour wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren.

Es ist ein wunderschöner Spätsommertag im beginnenden Februar und ein stürmischer Wind weht uns durch das Valle Vacas entgegen.

Isabelle, Fabian und ich stehen am Eingang des Tales, dem Punta de Vacas, welches in der westlichen argentinischen Provinz Mendoza nahe der chilenischen Grenze in den Anden liegt. Es ist Ausgangspunkt für die Besteigung des 6962 m hohen Aconcagua. Unsere Idee ist es den Berg zu überschreiten und dann via Gipfel durch das westlich gelegene Tal, dem Valle Horcones wieder an unseren Ausgangspunkt am Eingang, wo wir gerade unseren letzten Formalitäten mit den Ranger des Nationalperkes erledigen, zu gelangen. Eine interessante Geschichte und eine 360° Rundtour mit hoffentlichem Gipfelglück am höchsten Berg Südamerikas.

Der Weg führt immer dem wild daher fliessenden Fluss entlang tiefer hinein in die Anden zum ersten Etappenziel und Camp mit dem Namen „Pampa de Leñas“ (Holz Steppe). Tatsächlich brennt bereits ein Holzfeuer und die entstehende Glut liegt unter einem tiefliegenden Grill, auf welchem ein Asado (Grillmahlzeit) mit Bife de Chorizo, Lomo und Chorizos schmorrt. Unser Asador (Grillmeister) ist auch einer unserer Arrieros, der unser Material mit seinen Maultieren ins Basislager auf 4200m transportiert. Er ist bereits seit einiger Zeit vor dem Grill, raucht eine Zigarette nach der anderen, und der Rauch seiner Zigarette und des Feuers weht ihm direkt ins Gesicht.

Das Asado mundet uns nach dem mehrstündigen Trekking ausgezeichnet und zergeht förmlich auf der Zunge - Argentiniens Fleisch- Ess- Kultur hat uns. Der nächste Tag bringt uns in das nun breiter werdende Vacas-Tal. Der Wind lässt nach, dafür setzt sich eine stechende Hitze ins Tal. In der Mittagspause verstecken und verdrücken wir uns wie elende Würmer hinter und unter grossen Felsbrocken auf der Suche nach Schatten. Kurze Abwechslung beschert uns auf dem Weg in die Tiefen der Anden ein Guanaco, welches sich einsam einen steilen Abhang hinaufarbeitet, ansonsten aber weniger an uns interessiert ist, als wir an ihm. Beim Zurückschauen sehen wir eine Staubwolke aufsteigen und es stellt sich heraus, dass sie von unseren Lasttieren aufgewirbelt wird. Die Maultiere und die Arrieros auf dem Rücken ihrer Pferde überqueren den Fluss und entfernen sich schnell wieder. Wir sind wieder alleine mit der Hitze und der Weite des Tales, bis links ein Einschnitt eines Tales das erste Mal die Sicht auf den Aconcagua frei gibt. Gewaltig ist die Dimension dieses Berges. Wie ein riesiger vergletscherter Monolith ragt er mehr als tausend Meter über die umliegenden Berge und auch aus der Distanz fühlen wir uns wie Ameisen, die sich langsam aber stetig diesem riesigen Projekt nähern.

Dann kommt der abendliche Bergwind und mit ihm erreichen wir unser zweites Lager Casa de Piedra, auf 3200m auf dem rechten Ufer eines breit mäandrierenden Fluss gelegen. Wir stellen die Zelte auf und geniessen den Nachmittag während die Schatten länger werden. Auch heute steigt wieder ein vielversprechender Grill Rauch hinter dem grossen Stein auf, welche dem Ort den Namen gibt, und heute haben wir ein köstliches und zart gebratenes Pollo zwischen den Fingern. Als ich mich kurz an das Feuer mit den Arrieros setze und einige Fragen stelle, kommen karge Antworten zurück, Stück für Stück, immer unterbrochen vom Knistern des Feuers. Eine Kalebasse mit Mate - Tee dreht die Runde, es wird nachdenklich an der Bombilla gezogen und zwischendurch erhebt sich Sebastian, der Methusalem unter den Gauchos, um nach den Mulas zu sehen. Der schlurfende Gang mit seinen gewaltigen O-Beinen zeigt welche Wegstrecke er in seinem Leben auf dem Rücken seines Pferdes zurück gelegt hat. Klischees sind nie ganz falsch sagt man, sie sind aber auch nie ganz richtig, weiss man.

Zeltdom, Sterneküche im Basislager und Akklimatisationsrunde

An die tausend Höhemeter müssen wir heute bei der letzten Etappe zum Basislager Plaza Argentinas zurücklegen. Zuerst geht es auf dem Rücken eines Pferdes mehr oder weniger fest im Sattel sitzend über den breiten und zum Teil reissenden Fluss zur anderen Seite, wo wir unter Begleitung von weiteren Guanacos unseren Weg weiter das enge Seitental, auf schmalen Pfaden unter die Füsse nehmen.

Steil steigen wir später die sonnenbeschienen Hänge immer in Richtung unseres Zieles, dem Basislager Plaza Argentina. Eine Flussüberquerung netzt uns die Füsse ordentlich, und in der Mittagspause döse ich vor mich hin. Das Rauschen des Flusses, die Wärme der Sonnenstrahlen und der laue Wind, der eine Brise von Schnee und Eis mit sich trägt, ist wie eine unsichtbare Macht, die Erinnerungen zum Strömen bringt. Plaza Argentina liegt auf 4200m und ist neben vielen grossen und kleinen Steinen eine kleine Zeltstadt, eingebettet in den Moränenwällen des auslaufenden Glaciar del Este. Wie ein Bergrefugium thront inmitten der Zeltdom der Bergagentur Aconcagua Vision, welche unsere Logistik am Berg organisiert. Nach dem Motto „let your self in - leave the rest to us“ werden wir von der Crew aufgenommen und kulinarisch auf Sterneniveau bewirtet. Kurz: Wir lassen es uns während zwei Ruhetagen richtig gut gehen. Unsere Tätigkeiten und Gedanken fokussieren uns auf die bevorstehenden Tage in den Hochlagern. Essen für die Hochlager aussortieren, Zelte, Kocher und persönliche Kleidung am Berg bestimmen und zwischendurch immer wieder einige Gedanken und einen Blick zum Gipfel, über welchen Wolken von einem starken Wind gezogen werden. Es sieht aus wie ein hastig hingeschmiertes Bild aus Aquarell. Das Lager 1 auf 5000m beschert uns einen Eindruck vom Bergsteigen, wie es auch sein kann. Das Aufstellen der Zelte geschieht bei orkanartigen Winden, der Abend bringt einen Schneesturm, in der Nacht löst sich weiter oben in den Felsen ein Steinschlag und ein halber Kubikmeterblock donnert in unser Esszelt. Derweil das ganze Lager aufschreckt und sich in Sicherheit bringen will, schlafe ich tief, das Grollen des Steinschlags in den Traum aufnehmend, weiter. In den frühen Morgenstunden werden wir dafür mit einer extrem klaren Sicht in die schier unendliche Milchstrasse und in den späten Morgenstunden mit einem tiefroten Sonnenaufgang entschädigt. Das nennt man ausgleichende Gerechtigkeit. Da haben wir nun den herbeigesehnten Kulturunterschied, das etwas andere Aufstehen als im Alltag. Nach dieser Eingewöhnungs- und Akklimatisationsrunde steigen wir vom Lager 1 ins Basislager ab.

High Noon Auf 6000m Höhe

Das Wetter stellt sich in diesen Mittelfeld - Februartagen gerade rechtzeitig auf gut. Die Schneefahnen am Gipfel werden kürzer, der Wind lässt nach und wir sind heiss auf den Gipfel. Es ist Zeit. Lager 1 zeigt sich bei unserer zweiten Übernachtung von seiner besten Seite, Lager 2 liegt auf 5500m und nennt sich Guanaco Camp. Guanacos sehen wir zwar keine hier oben, dafür treffen wir auf Retortenbergsteiger mit Höhenproblemen. Drei Wochen haben sie die Nacht in New York im Hypoxiezelt verbracht sind mit dem Helikopter ins Basislager geflogen, um dann in fünf Tagen auf den Gipfel des Aconcagua zu steigen. Da sind wir geradezu Retrobergsteiger mit einem Hauch Akklimatisations - Nostalgie. Am nächsten Tag finden wir beim Aufstieg den Zauberschritt, den Aufstiegsrhythmus, welcher uns wie ein unendliches Gewinde ins Camp 3, auch Colera Camp genannt, trägt. Das Lager ist schön eingebettet und umgeben von weissen Felsen die sich wie eine Burgmauer um das Camp auftürmen.

Die Abendstimmung macht uns bewusst, dass der Aconcagua doch tausend Meter höher ist als alle umliegenden Berge. Die Sonne versinkt am Horizont unterhalb unserer auf Camp Colera liegenden Zelten und die Wolkendecke in allen Rottönen gefärbt, breitet sich aus wie ein Ozean auf 6000m Höhe. Wir sind sozusagen auf einem Balkon, einem „Balcon del Mundo“ . Sowas nennt man High Noon in dünner Luft.

Gipfelglück

Heute Abend ist früh Lichterlöschen und wir verkriechen uns schnell in den warmen Schlafsack. Ich höre noch einige Gesprächsfäden in anderen Zelten, welche sich in der Nacht verlieren, dann schlafe ich dem Gipfeltag entgegen. Der Kocher läuft um fünf Uhr morgens nur kurz, die Daunenjacke benötigen wir heute und die Steigeisen befestigen wir kurz vor dem Losgehen. Der ganze Aufstieg ist noch mit Schnee und Eis bedeckt. Im tanzenden Licht der Stirnlampen starten wir auf den Weg nach oben in die dunkle und windstille Nacht. Es herrscht beissende Kälte, deren wir erst auf der Höhe von 6400m bei der kleinen baufälligen Holzbiwakhütte Indepedencia gewahr werden. Unsere Atemluft hat sich als Eis an unseren Daunenkapuzen festgesetzt. Mit dem Tageslicht kommt die Sonne und mit ihr zumindest so etwas wie Wärme. Unbeirrt ziehen wir immer gleichen Schrittes auf einen breiten Grat und dort weiter über eine kurz scheinende, aber sich unendlich hinziehende Traverse aus Schnee und Eis.

Die Stunden vergehen, als würden sie sich verstecken und nicht mehr gefunden, und in Gedanken versunken erreichen wir nach der Traverse die Höhle am Beginn der letzten steileren Steigung, wo wir pausieren. Dann das Ende der Canaletta, dem breiten Couloir, welches uns aus dem Schutz des Berges wieder in die Windböen führt, und schliesslich die letzte Traverse zum Gipfel. 121 Jahre nach der Erstbegehung durch den Saas Fee Bergführer Matthias Zurbriggen, 10 Tage nach Start am Punta de Vacas und 8 1/2 Stunden nach Start im Lager 3, stehen wir am höchsten Punkt des Berges, und das mit einem gewaltigen Rundblick direkt in die Erdkrümmung. Der Wind hat auf dem Gipfel nachgelassen, die Kälte aber bleibt, und dennoch wärmen uns die Sonnenstrahlen. Wir geniessen das ganze Gipfel-Setting. Nun sind wir alle hier oben, an diesem einen höchsten Punkt und an diesem treffen sich nur für eine kurze Zeit eine Ladung Emotionen, ein Abfallen der Anstrengung und Erfüllung eines Traumes. Es herrscht eine aufgewühlte Stimmung hier oben, meine Beine sind bleischwer, mein Kopf aber fühlt heliumleicht an. Fast ein bisschen ein zerstäubter Zustand. Das lässt Raum für Gedanken. Trotz der ganzen Infrastruktur rund um und am Berg ist der Aconcagua seit seiner Erstbesteigung immer noch der gleiche Berg, er ist technisch leicht, man läuft nach oben. Aber man darf die Länge der Gipfeletappe, die Höhe des Berges und die Kälte, die bis tief in die Knochen eindringen und einem aushöhlen kann, nicht unterschätzen. Der Abstieg lässt die Müdigkeit nochmals richtig aufkommen. Wir steigen ab bis zum Zelt und zur Abendstimmung im Camp Colera. Etwas kochen, essen, trinken, carpe diem die letzten Stunden des 15. Februars verschwinden in der Dunkelheit. Zwei Tage später sind wir wieder am Ausgangspunkt unserer Reise, Punta de Vacas. Hinter uns liegt der lange Abstieg ins Basislager Plaza de Mulas, welches mir wie eine Art Wanderzirkus für Bergsteiger erscheint, dann Penitentes, wo wir eine Runde Quilmes gegen den Durst bestellen, und dann noch einige gegen die Hitze. Wieder zurück in Mendoza gehen wir wie auf Watte, bei der Menge an Sauerstoff auf 750m Höhe, lassen wir es uns so richtig gut gehen und tauchen ein in die Hitze dieser ungemein attraktiven Stadt. Einmal mehr wird mir klar, dass Argentinien viele Nischen für Höhenräusche und Abstürze hat und vorallem, dass es Nostalgie und eine nur ein bisschen nach Zukunft riechender Gegenwart verströmt.

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