Offene Stellen

Newsletter

DE | FR | IT
  1. Erlebnis
  2.  > 
  3. Blog

Was bringen 5 Minuten? Interview mit Nicolas Hojac

Andreas Haslauer, Mittwoch, 21. März 2018

Bächli-Alpinist Nicolas Hojac ist erst 25 Jahre alt, gehört aber mittlerweile zum kleinen Kreis der Schweizer Top-Alpinisten. Mit seinem Mentor und Freund Ueli Steck durchstieg er die Eigernordwand in Rekordzeit. Nach dem Tod des Freundes hinterfragte auch Hojac seine Einstellung zu Rekord und Risiko. Seine Erkenntnis: In ihm brennt weiter die Leidenschaft für grosse Ziele – aber nicht um jeden Preis. Ein Interview.

Sie sind erst 25 Jahre alt, gelten aber heute schon als ein sehr erfolgreicher Alpinist. In welche Fussstapfen möchten Sie treten? Wollen Sie ein Gipfelsammler wie Reinhold Messner, ein Adrenalin-Junkie wie Alex Honnold oder ein Gletscherfloh wie Kilian Jornet werden? 

Ich möchte einfach bei dem, was ich in den Berge so mache, Spass haben. Eine Schublade, in der man mich reinstecken könnte, gibt es nicht. Zum Glück. Und das ist gut so. Spass haben steht wirklich über allem. Wirklich über allem. Glücklich sein, schöne Momente dort oben zu erleben, über den Dingen zu stehen. Das ist es, was mich zufriedenstellt.

Und was passiert, wenn Sie mal ein paar Tage nicht in den Bergen sein können?

Der österreichische Liedermacher Hubert von Goisern hat das mal ganz treffend formuliert, finde ich. Er hat gesagt, dass er flache Landschaften als «bedrohlich» empfindet. Der Sänger sucht deshalb für seine Texte die Stille der Berge. Ohne sie wird er depressiv. Mir geht es ganz genauso. Ich mag überhaupt keine touristisch überfüllten Routen und Wanderwege. Die Ruhe, das Einsame, die Abgeschiedenheit. Das mag ich hingegen sehr.

Für den Extremsportler Axel Naglich bedeuten Berge Abenteuer und Freiheit. Fernab der Zivilisation würden andere, ursprünglichere Dinge als im Tal zählen, wo die Dinge heutzutage sehr komplex seien.

Die einfachen Dinge stehen für ein unbeschwertes Leben, nicht die komplexen und schwierigen. Ich sage Ihnen auch warum: Egal, ob ich den «Pargätzi-Pfeiler» am Scheideggwetterhorn hier in meiner Heimat hochkraxele, die Erstbesteigung des «Deadmen Peak» in China mache oder ob ich mit meiner Freundin Tanja auf den Gantrisch gehe: Wenn ich vom Berg runterkomme, fühle ich mich immer besser, als ich hochgegangen bin. Das ist so. Immer.

Was haben Sie 2018 genau vor?

Gerade drehen wir einen Eiskletter-Film für die European Outdoor Film Tour (EOFT). Im Wesentlichen – und das ist mein Plan für die Zukunft – will ich jedes Jahr ein oder zwei grosse Expeditionen in Pakistan oder Nepal unternehmen und technisch schwierige Wände wie die Nordostwand des K7 oder die Nordwand des Xuelian West hochgehen. Sie ziehen mich magisch an, sie will ich erklimmen. Ich habe aber keine Bucket List mit 100 Gipfeln oder so, auf die ich unbedingt hoch muss. Das nicht. Dennoch habe ich für 2018 ein grosses Ziel.

Und das wäre?

Am 19. Juni 2017 stieg ich ja bereits über die Gipfel von Jungfrau, Mönch und Eiger. Diese Trilogie schaffte ich in der Rekordzeit 11 Stunden und 43 Minuten. Nun will ich die Sache in diesem Frühjahr noch einmal steigern. Ich will auf jeden Gipfel hoch und mit dem Gleitschirm hinunter. Also Eiger hoch, mit dem Gleitschirm runter. Mönch hoch, mit dem Gleitschirm runtersegeln. Jungfrau hoch und runter. Unter dem Strich: drei Nordwände, drei Flüge, ein Ziel.

Das klingt sehr ambitioniert. Wie lange würde ein normaler Bergsteiger für so ein Unterfangen benötigen?

Oh, das weiss ich nicht. Bestimmt aber fünf, sechs Tage.

Und Sie?

Ich denke mal unter 20 Stunden werde ich schon schaffen.

Welcher von den dreien ist am schwierigsten?

Kein Berg, keine Wand und keine Passage sind mit einer anderen vergleichbar. Jeder Berg ist einzigartig.

Und einzigartig gefährlich. Wenn Sie an der Eigernordwand auch nur einmal ausrutschen, ist es vorbei.

Deswegen versuche ich ja stets, nie so lange oben zu bleiben. Schnell rauf und schnell runter. Das mindert die Gefahr.

Das sagen Sie. Hans Kammerlander, erst 61 Jahre alt, sagt, ihm seien nur Daniel Wellig, Konrad Auer und Reinhold Messner geblieben. Alle anderen seiner Bergkameraden leben nicht mehr.

Bei uns gibt es wirklich, wie er sagt, keine Fangnetze wie bei Skirennen, keine Reifenstapel wie in der Formel 1. Das ist mir alles bewusst. Ich selbst habe ja schon zwei enge Freunde verloren. Einen aus Holland, einen hier aus Bern. Bei mir muss deswegen ja alles schnell gehen. Je kürzer ich dort oben bin, desto geringer ist die Gefahr, dort oben umzukommen. Wenn ich also in der Früh die Nordwand besteige, dann bin ich nachmittags zum Zvieri wieder zu Hause.

Das ändert nichts an der Tatsache, dass Sie tot sind, wenn Sie runterfallen …

… nicht aber, wenn ich gesichert bin. Bei der Speed-Begehung mit Ueli Steck waren wir beide mit einem 30 Meter langen Seil verbunden.

Sie waren aber nicht immer eingehakt.

Nur auf den Schneepassagen und einfachen Strecken nicht. Ansonsten schon. Wenn der «Vorsteiger», in dem Fall war es Ueli, gefallen wäre, wäre nichts passiert. Zumindest nicht tödlich. Eine Garantie gibt es dort oben sowieso nicht. Es kann ja immer noch sein, dass der Haken rausbricht, wenn gleichzeitig zwei Leute in die Tiefe stürzen. Deswegen mache ich so etwas ja nicht jeden Tag. Das wäre für meine Psyche zu viel.

Zu Ihrem Seilpartner brauchen Sie aber ein Gottvertrauen.

Ueli und ich kannten uns ja auch schon jahrelang. Wir haben zusammen trainiert, waren sehr gut befreundet. Aus diesem Grund gibt es ja nur einen weiteren Menschen auf dieser Welt, dem ich mein Leben in so einer Wand anvertrauen würde. Und das ist Jonas Schild. Reinhold Messner hat es in einem Interview ja mal richtig gesagt: «Wir gehen dorthin, wo man umkommen könnte, um nicht umzukommen.» Wenn ich beim Bergsteigen nicht umkommen könnte, wäre es nur ein Sport, ein Spiel. Und genau das ist es nicht.

Viele halten Sie trotzdem für verrückt.

Das kann ich verstehen, wenn man die Bilder sieht. Das soll nicht arrogant klingen, aber wenn ich die Nordwand hochsteige, werden meine bergsteigerischen Fähigkeiten gar nicht so stark gefordert. Für die Wand muss ich nicht mal 50 Prozent meines Könnens abrufen. Das heisst aber nicht, dass ich mit einem Ruhepuls von 48 da hochsteige.

Was haben Sie denn für einen Puls bei der Durchsteigung?

Mein Puls war bei der Rekordbesteigung deutlich höher als der von Ueli. Das lag daran, dass ich als zweiter Mann immer zu ihm aufschliessen musste. Er konnte sein Tempo gehen, ich musste die Lücke stets schliessen, damit das Seil immer unter Spannung stand. Ueli kam auf einen Maximalpuls von 160, ich hatte 185. Gestresst oder unwohl habe ich mich nie gefühlt, nicht eine Sekunde.

Was hatten Sie an Verpflegung dabei?

Einen halben Liter Wasser und einen Power-Riegel.

Sie studieren Maschinenbau, wohnen noch zu Hause. Was sagen Sie beim Frühstück Ihrer Mutter? «Du, Mami, ich gehe nach dem Frühstück mal schnell durch die Nordwand».

Ich kann Ihnen sagen: Wir hatten da schon ein paar Diskussionen zu Hause. Zuerst wollte meine Mutter das ja alles nicht, partout nicht. Dann musste ich so ein bisschen schummeln. Eines Tages habe ich zu ihr gesagt: «Du, wir gehen mal nur so zum Einstieg des Eigers, schauen uns da mal so ein bisschen um.» Sie wusste ganz genau, dass wir in die Wand einsteigen werden. Deswegen ist sie auch heilfroh, dass nur einer von uns klettert. Mein Bruder ist Koch im Hotel Giardino Mountain in St. Moritz und hat zum Bergsteigen gar keine Zeit.

Wann haben Sie die Liebe zu den Bergen entdeckt?

Mit 13. Ich war ein paar Wochen lang in den Ferien in La Fouly im Walliser Val Ferret, um Französisch zu lernen. Nachmittags haben wir dort immer Fussball gespielt oder waren mit dem Mountainbike unterwegs. Dann haben wir eines Tages eine Zweitagestour gemacht. Seitdem bin ich regelrecht von den Bergen infiziert, seitdem kann ich nicht mehr ohne sie.

Mit «Beta Rocker», «Elementarteilchen » (je M8, WI6) und «Flying Circus» (M10) konnte Hojac drei Schweizer Mixed-Hämmer in exzellentem Stil (onsight bzw. flash) klettern.

Zum 14. Geburtstag wollen Jugendliche eine Playstation oder ein neues Bike. Sie haben sich einen Viertausender gewünscht.

Meine Eltern erfüllten mir den Wunsch und ich durfte zusammen mit einem Bergführer auf das Lagginhorn in den Walliser Alpen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich mich das machte. Und so ging es dann weiter. Mit 18 Jahren stieg ich das erste Mal durch die Eigernordwand, dann folgten Matterhorn und Grandes Jorasses Nordwand und und und.

Wie oft sind Sie mittlerweile durch die Eigernordwand gestiegen?

Boah, keine Ahnung. Vielleicht zwölf oder 13 Mal. Ich weiss es nicht.

Ihr Motto lautet: «Nur ein alter Alpinist ist auch ein guter Alpinist.» Ueli Steck, Ihr langjähriger Seilpartner, hat das nicht geschafft. Mit gerade einmal 40 Jahren verunglückte er vor einem Jahr bei einer Trainingstour vom Lager II des Mount Everest auf den Nuptse tödlich.

Ich verstehe das Unglück bis heute nicht. Immer wieder will ich mein Telefon in die Hand nehmen und ihn anrufen. Daran hat sich seit dem 30. April 2017 nichts geändert. Immer und immer wieder will ich ihm eine WhatsApp schreiben. Wahrscheinlich habe ich seinen Tod bis heute noch nicht richtig verarbeitet.

Haben Sie Ihre Speed-Begehungen nach dem Tod Stecks überhaupt mal hinterfragt?

Warum mache ich das? Macht das wirklich Sinn? Wem hilft das, wenn ich fünf Minuten schneller als jemand anderes dort oben auf einem Gipfel stehe? Diese Fragen habe ich mir nach Uelis Tod des Öfteren gestellt. Heute nicht mehr. Ich weiss, wofür ich seit dem 14. Lebensjahr brenne. Ich brenne für das Bergsteigen. Das ist ja nicht nur ein Hobby von mir, das ist mein Leben.

Was war Ueli Steck für Sie?

Einer meiner besten Freunde und ein absolutes Vorbild. Wie für viele andere auch. 2004 kletterte er den Excalibur-Pfeiler an den Wendenstöcken ohne Seil hoch. Das war absolut einzigartig, das hat noch niemand gemacht. Ueli war ein Pionier. 

War Bergsteigen bis dahin eine schwerfällige Sache mit viel logistischem Aufwand, so bekam es durch Ueli Steck ein neues Gesicht, schrieb der Journalist Dominik Osswald. Bergsteigen funktioniere auch leicht und schnell, das Material auf ein Minimum reduziert.

Genau das habe ich von ihm gelernt, sich wie eine Gams in den Bergen zu bewegen. Kein Mensch ist mit Steigeisen die Berge hochgerannt – bis Ueli kam. Er hatte ja keine Zeit. Ich weiss noch ganz genau, als wir unseren Rekord bei der Eigernordwand aufstellten. Er sagte zu mir davor: «Nicolas, wir dürfen heute keine Zeit lassen, ich habe um 18 Uhr in Münsingen einen Termin.» Er meinte es wirklich ernst.

Bleibt nur noch eine Frage: Wann egalisieren Sie den Free-Solo-Rekord von Ueli Steck am Eiger?

Alleine da hoch zu steigen ist schon etwas ganz anderes. Wenn ich weiss, dass mir niemand da oben helfen kann, dann ist das schon eine unfassbar starke psychische Belastung.

Wann sind Sie so weit?

Ich weiss es nicht. Das Einzige, was ich weiss, ist, dass ich noch mehr Risiko als Ueli eingehen müsste, um den Rekord zu brechen. Momentan ist mir das Risiko aber einfach zu hoch. Warum also? Es kann also gut sein, dass ich die Form, die Ueli hatte, vielleicht niemals erreichen werde. Und dann macht es keinen Sinn.

An was hapert es noch?

Ich kenne die Route nicht so gut wie Ueli. Vielleicht kommt einmal der Tag, an dem ich sage: «So, heute ist es so weit, heute gehe ich so schnell durch die Wand, wie es noch nie zuvor jemand geschafft hat.» Aus heutiger Sicht erkenne ich aber den Nutzen für mich nicht. Zumindest noch nicht. Entweder, ich renne da hoch wie ein Bekloppter und bringe mich dadurch in Lebensgefahr – im schlimmsten Fall sogar um. Oder ich schaffe den Rekord und stehe in ein paar Tageszeitungen. Bringt mich beides nicht unbedingt weiter. Ich bin auf der Suche nach neuen Projekten und neuen Bergen, die ich für mich und niemand anderen bezwingen will. Genügend Zeit habe ich ja, bin ja erst 25. Und diese Zeit werde ich für meine Herzensangelegenheiten nutzen. Gibt es schönere Perspektiven? Ich glaube nicht …


Weitere Beiträge

Verletzungsprävention beim Klettern

Verletzungen gehören leider zum Sport dazu. Doch was sollte man tun, wenn es dazu kommt? Vor einigen Monaten habe ich mir beim Klettern die Schulter verletzt. Wie es dazu kam und und wie man das Verletzungsrisiko beim Klettern reduzieren kann, möchte ich in diesem Beitrag teilen.

Expert: Alles, was du über Kletterseile wissen solltest

Ohne Seil geht beim Klettern, aber auch auf vielen Berg- und Hochtouren, gar nichts. Ein Überblick über gängige Seiltypen, Auswahlkriterien und Produktionsmethoden.

Mehrseillängen klettern: Sechs praktische Tipps für dein erstes Mal

Mehrseillängen sind die Königsdisziplin des Kletterns. Technik, Material, Planung und vieles mehr müssen sitzen, um erfolgreich und genussvoll durch eine Wand zu kommen. Wir zeigen dir sechs Tipps, die dich inspirieren, selbst in die wundervolle Welt der Mehrseillängen-Routen einzutauchen.

Ein Traum wird wahr: Besteigung aller 82 Viertausender der Alpen zu Fuss und per Gleitschirm

Mit ihrem Projekt XPEAKS haben sich Bächli-Athlet Chrigel Maurer und Alpinist Peter von Känel einiges vorgenommen: Ihr Ziel war es, alle 82 4000er Berggipfel der Alpen gemeinsam zu besteigen und sich dabei ausschliesslich zu Fuss oder fliegend mit dem Gleitschirm zu bewegen. Mit GPS-Livetracking und Selfies auf allen Gipfeln haben die beiden ihr ambitioniertes und erfolgreiches Vorhaben dokumentiert.

Zehn Gipfel in 37 Stunden: Nicolas Hojac und Adrian Zurbrügg überqueren Berner Panorama in einem Push

Am 29. Juli brechen die Alpinisten Nicolas Hojac und Adrian Zurbrügg in den Berner Alpen ins Ungewisse auf. 37 Stunden und 5 Minuten später haben sie als erste Seilschaft nonstop die zehn Gipfel von Eiger, Mönch, Jungfrau, Rottalhorn, Louwihorn, Gletscherhorn, Äbni Flue, Mittaghorn, Grosshorn, Zuckerstock und Breithorn überquert. Ein hochalpiner Grenzgang der Superlative, auf dem 7000 Höhenmeter und 65 Kilometer nicht die einzigen Herausforderungen waren.

Klettertour ohne Anstehen: Sgemögna 2545 m – Nordwand 6a

Raus aus dem Stau und rein ins Abenteuer: Hoch über dem Val Redorta im Tessin wartet eine einsame Nordwand mit viel Potenzial für neue Routen. Wer den Trubel der bekannten Klettergebiete scheut und nach einer Herausforderung sucht, ist hier genau richtig.

Von K2, Breithorn und anderen Barrieren: Nicole Niquille im Interview

Nicole Niquille war die erste Bergführerin mit Schweizer Pass und an den höchsten Bergen der Welt aktiv. Seit einem Unfall vor genau 30 Jahren sitzt sie im Rollstuhl. Im Interview spricht sie über modernes Höhenbergsteigen, Barrierefreiheit am Berg und im Alltag – und warum das Breithorn für sie heute schöner ist als früher.

Die Eroberung der Bergliteratur

Kann ein Holländer das «Bergbuch der Bergbücher» schreiben? Ja, findet unser Bergbuch-Rezensent Markus Rottmann, der beim «Unendlichen Gipfel» auf jeder Seite nicken musste.

Kommentare

Zu diesem Beitrag sind noch keine Kommentare vorhanden.

Kommentar schreiben