Sie sind erst 25 Jahre alt, gelten
aber heute schon als ein sehr erfolgreicher
Alpinist. In welche Fussstapfen
möchten Sie treten? Wollen
Sie ein Gipfelsammler wie Reinhold
Messner, ein Adrenalin-Junkie wie
Alex Honnold oder ein Gletscherfloh
wie Kilian Jornet werden?
Ich möchte einfach bei dem, was ich
in den Berge so mache, Spass haben.
Eine Schublade, in der man mich
reinstecken könnte, gibt es nicht.
Zum Glück. Und das ist gut so. Spass
haben steht wirklich über allem.
Wirklich über allem. Glücklich sein,
schöne Momente dort oben zu erleben,
über den Dingen zu stehen.
Das ist es, was mich zufriedenstellt.
Und was passiert, wenn Sie mal
ein paar Tage nicht in den Bergen
sein können?
Der österreichische Liedermacher
Hubert von Goisern hat das mal ganz
treffend formuliert, finde ich. Er hat gesagt, dass er flache Landschaften
als «bedrohlich» empfindet. Der
Sänger sucht deshalb für seine Texte
die Stille der Berge. Ohne sie wird er
depressiv. Mir geht es ganz genauso.
Ich mag überhaupt keine touristisch
überfüllten Routen und Wanderwege.
Die Ruhe, das Einsame, die Abgeschiedenheit.
Das mag ich hingegen sehr.
Für den Extremsportler Axel Naglich
bedeuten Berge Abenteuer und Freiheit.
Fernab der Zivilisation würden
andere, ursprünglichere Dinge als im
Tal zählen, wo die Dinge heutzutage
sehr komplex seien.
Die einfachen Dinge stehen für ein
unbeschwertes Leben, nicht die
komplexen und schwierigen. Ich sage
Ihnen auch warum: Egal, ob ich den
«Pargätzi-Pfeiler» am Scheideggwetterhorn
hier in meiner Heimat
hochkraxele, die Erstbesteigung des
«Deadmen Peak» in China mache
oder ob ich mit meiner Freundin Tanja auf den Gantrisch gehe: Wenn
ich vom Berg runterkomme, fühle ich
mich immer besser, als ich hochgegangen
bin. Das ist so. Immer.
Was haben Sie 2018 genau vor?
Gerade drehen wir einen Eiskletter-Film für die European Outdoor Film
Tour (EOFT). Im Wesentlichen – und
das ist mein Plan für die Zukunft –
will ich jedes Jahr ein oder zwei
grosse Expeditionen in Pakistan oder
Nepal unternehmen und technisch
schwierige Wände wie die Nordostwand
des K7 oder die Nordwand des
Xuelian West hochgehen. Sie ziehen
mich magisch an, sie will ich erklimmen.
Ich habe aber keine Bucket
List mit 100 Gipfeln oder so, auf die
ich unbedingt hoch muss. Das nicht.
Dennoch habe ich für 2018 ein
grosses Ziel.
Und das wäre?
Am 19. Juni 2017 stieg ich ja bereits
über die Gipfel von Jungfrau, Mönch
und Eiger. Diese Trilogie schaffte ich
in der Rekordzeit 11 Stunden und 43
Minuten. Nun will ich die Sache in
diesem Frühjahr noch einmal steigern.
Ich will auf jeden Gipfel hoch
und mit dem Gleitschirm hinunter.
Also Eiger hoch, mit dem Gleitschirm
runter. Mönch hoch, mit dem Gleitschirm
runtersegeln. Jungfrau hoch
und runter. Unter dem Strich: drei
Nordwände, drei Flüge, ein Ziel.
Das klingt sehr ambitioniert. Wie lange
würde ein normaler Bergsteiger
für so ein Unterfangen benötigen?
Oh, das weiss ich nicht. Bestimmt
aber fünf, sechs Tage.
Und Sie?
Ich denke mal unter 20 Stunden
werde ich schon schaffen.
Welcher von den dreien ist am
schwierigsten?
Kein Berg, keine Wand und keine Passage sind mit einer anderen vergleichbar.
Jeder Berg ist einzigartig.
Und einzigartig gefährlich. Wenn
Sie an der Eigernordwand auch nur
einmal ausrutschen, ist es vorbei.
Deswegen versuche ich ja stets, nie
so lange oben zu bleiben. Schnell
rauf und schnell runter. Das mindert
die Gefahr.
Das sagen Sie. Hans Kammerlander,
erst 61 Jahre alt, sagt, ihm seien
nur Daniel Wellig, Konrad Auer und
Reinhold Messner geblieben. Alle
anderen seiner Bergkameraden
leben nicht mehr.
Bei uns gibt es wirklich, wie er sagt,
keine Fangnetze wie bei Skirennen,
keine Reifenstapel wie in der Formel
1. Das ist mir alles bewusst. Ich selbst
habe ja schon zwei enge Freunde verloren.
Einen aus Holland, einen hier
aus Bern. Bei mir muss deswegen ja
alles schnell gehen. Je kürzer ich dort
oben bin, desto geringer ist die Gefahr,
dort oben umzukommen. Wenn ich
also in der Früh die Nordwand besteige, dann bin ich nachmittags zum
Zvieri wieder zu Hause.
Das ändert nichts an der Tatsache, dass
Sie tot sind, wenn Sie runterfallen …
… nicht aber, wenn ich gesichert bin.
Bei der Speed-Begehung mit Ueli
Steck waren wir beide mit einem 30
Meter langen Seil verbunden.
Sie waren aber nicht immer eingehakt.
Nur auf den Schneepassagen und
einfachen Strecken nicht. Ansonsten
schon. Wenn der «Vorsteiger», in dem Fall war es Ueli, gefallen wäre, wäre
nichts passiert. Zumindest nicht tödlich.
Eine Garantie gibt es dort oben
sowieso nicht. Es kann ja immer noch
sein, dass der Haken rausbricht,
wenn gleichzeitig zwei Leute in die
Tiefe stürzen. Deswegen mache
ich so etwas ja nicht jeden Tag. Das
wäre für meine Psyche zu viel.
Zu Ihrem Seilpartner brauchen Sie
aber ein Gottvertrauen.
Ueli und ich kannten uns ja auch schon
jahrelang. Wir haben zusammen
trainiert, waren sehr gut befreundet.
Aus diesem Grund gibt es ja nur
einen weiteren Menschen auf dieser
Welt, dem ich mein Leben in so einer
Wand anvertrauen würde. Und das ist
Jonas Schild. Reinhold Messner hat
es in einem Interview ja mal richtig
gesagt: «Wir gehen dorthin, wo man
umkommen könnte, um nicht umzukommen.» Wenn ich beim Bergsteigen
nicht umkommen könnte, wäre
es nur ein Sport, ein Spiel. Und genau
das ist es nicht.
Viele halten Sie trotzdem für verrückt.
Das kann ich verstehen, wenn man
die Bilder sieht. Das soll nicht
arrogant klingen, aber wenn ich die
Nordwand hochsteige, werden meine
bergsteigerischen Fähigkeiten gar
nicht so stark gefordert. Für die
Wand muss ich nicht mal 50 Prozent
meines Könnens abrufen. Das heisst
aber nicht, dass ich mit einem Ruhepuls
von 48 da hochsteige.
Was haben Sie denn für einen Puls
bei der Durchsteigung?
Mein Puls war bei der Rekordbesteigung
deutlich höher als der von Ueli.
Das lag daran, dass ich als zweiter
Mann immer zu ihm aufschliessen
musste. Er konnte sein Tempo gehen,
ich musste die Lücke stets schliessen,
damit das Seil immer unter
Spannung stand. Ueli kam auf einen
Maximalpuls von 160, ich hatte 185. Gestresst oder unwohl habe ich mich
nie gefühlt, nicht eine Sekunde.
Was hatten Sie an Verpflegung dabei?
Einen halben Liter Wasser und einen
Power-Riegel.
Sie studieren Maschinenbau, wohnen
noch zu Hause. Was sagen Sie beim
Frühstück Ihrer Mutter? «Du, Mami,
ich gehe nach dem Frühstück mal
schnell durch die Nordwand».
Ich kann Ihnen sagen: Wir hatten
da schon ein paar Diskussionen zu
Hause. Zuerst wollte meine Mutter
das ja alles nicht, partout nicht. Dann
musste ich so ein bisschen schummeln.
Eines Tages habe ich zu ihr
gesagt: «Du, wir gehen mal nur so
zum Einstieg des Eigers, schauen
uns da mal so ein bisschen um.» Sie
wusste ganz genau, dass wir in die
Wand einsteigen werden. Deswegen
ist sie auch heilfroh, dass nur einer
von uns klettert. Mein Bruder ist
Koch im Hotel Giardino Mountain in
St. Moritz und hat zum Bergsteigen
gar keine Zeit.
Wann haben Sie die Liebe zu den
Bergen entdeckt?
Mit 13. Ich war ein paar Wochen lang
in den Ferien in La Fouly im Walliser
Val Ferret, um Französisch zu lernen.
Nachmittags haben wir dort immer
Fussball gespielt oder waren mit dem
Mountainbike unterwegs. Dann haben
wir eines Tages eine Zweitagestour
gemacht. Seitdem bin ich regelrecht
von den Bergen infiziert, seitdem kann
ich nicht mehr ohne sie.
Mit «Beta Rocker», «Elementarteilchen
» (je M8, WI6) und «Flying Circus»
(M10) konnte Hojac drei Schweizer
Mixed-Hämmer in exzellentem Stil
(onsight bzw. flash) klettern.
Zum 14. Geburtstag wollen Jugendliche
eine Playstation oder ein neues
Bike. Sie haben sich einen Viertausender
gewünscht.
Meine Eltern erfüllten mir den Wunsch
und ich durfte zusammen mit einem
Bergführer auf das Lagginhorn in den
Walliser Alpen. Ich kann Ihnen gar nicht
sagen, wie glücklich mich das machte. Und so ging es dann weiter. Mit 18
Jahren stieg ich das erste Mal durch
die Eigernordwand, dann folgten
Matterhorn und Grandes Jorasses
Nordwand und und und.
Wie oft sind Sie mittlerweile durch
die Eigernordwand gestiegen?
Boah, keine Ahnung. Vielleicht zwölf
oder 13 Mal. Ich weiss es nicht.
Ihr Motto lautet: «Nur ein alter Alpinist
ist auch ein guter Alpinist.» Ueli
Steck, Ihr langjähriger Seilpartner,
hat das nicht geschafft. Mit gerade
einmal 40 Jahren verunglückte er
vor einem Jahr bei einer Trainingstour
vom Lager II des Mount Everest
auf den Nuptse tödlich.
Ich verstehe das Unglück bis heute
nicht. Immer wieder will ich mein
Telefon in die Hand nehmen und ihn
anrufen. Daran hat sich seit dem 30.
April 2017 nichts geändert. Immer
und immer wieder will ich ihm eine WhatsApp schreiben. Wahrscheinlich
habe ich seinen Tod bis heute noch
nicht richtig verarbeitet.
Haben Sie Ihre Speed-Begehungen
nach dem Tod Stecks überhaupt mal
hinterfragt?
Warum mache ich das? Macht das
wirklich Sinn? Wem hilft das, wenn
ich fünf Minuten schneller als jemand
anderes dort oben auf einem Gipfel
stehe? Diese Fragen habe ich mir
nach Uelis Tod des Öfteren gestellt.
Heute nicht mehr. Ich weiss, wofür
ich seit dem 14. Lebensjahr brenne.
Ich brenne für das Bergsteigen. Das
ist ja nicht nur ein Hobby von mir,
das ist mein Leben.
Was war Ueli Steck für Sie?
Einer meiner besten Freunde und
ein absolutes Vorbild. Wie für viele
andere auch. 2004 kletterte er den
Excalibur-Pfeiler an den Wendenstöcken
ohne Seil hoch. Das war absolut
einzigartig, das hat noch niemand
gemacht. Ueli war ein Pionier.
War Bergsteigen bis dahin eine
schwerfällige Sache mit viel logistischem
Aufwand, so bekam es durch
Ueli Steck ein neues Gesicht, schrieb
der Journalist Dominik Osswald.
Bergsteigen funktioniere auch leicht
und schnell, das Material auf ein
Minimum reduziert.
Genau das habe ich von ihm gelernt,
sich wie eine Gams in den Bergen zu
bewegen. Kein Mensch ist mit Steigeisen
die Berge hochgerannt – bis
Ueli kam. Er hatte ja keine Zeit. Ich
weiss noch ganz genau, als wir unseren
Rekord bei der Eigernordwand
aufstellten. Er sagte zu mir davor:
«Nicolas, wir dürfen heute keine
Zeit lassen, ich habe um 18 Uhr in
Münsingen einen Termin.» Er meinte
es wirklich ernst.
Bleibt nur noch eine Frage: Wann
egalisieren Sie den Free-Solo-Rekord von Ueli Steck am Eiger?
Alleine da hoch zu steigen ist schon
etwas ganz anderes. Wenn ich weiss,
dass mir niemand da oben helfen kann,
dann ist das schon eine unfassbar
starke psychische Belastung.
Wann sind Sie so weit?
Ich weiss es nicht. Das Einzige, was
ich weiss, ist, dass ich noch mehr
Risiko als Ueli eingehen müsste, um
den Rekord zu brechen. Momentan ist
mir das Risiko aber einfach zu hoch.
Warum also? Es kann also gut sein,
dass ich die Form, die Ueli hatte, vielleicht
niemals erreichen werde. Und
dann macht es keinen Sinn.
An was hapert es noch?
Ich kenne die Route nicht so gut wie
Ueli. Vielleicht kommt einmal der
Tag, an dem ich sage: «So, heute ist
es so weit, heute gehe ich so schnell
durch die Wand, wie es noch nie
zuvor jemand geschafft hat.» Aus
heutiger Sicht erkenne ich aber den
Nutzen für mich nicht. Zumindest
noch nicht. Entweder, ich renne da
hoch wie ein Bekloppter und bringe
mich dadurch in Lebensgefahr – im
schlimmsten Fall sogar um. Oder ich
schaffe den Rekord und stehe in ein
paar Tageszeitungen. Bringt mich
beides nicht unbedingt weiter. Ich bin
auf der Suche nach neuen Projekten
und neuen Bergen, die ich für mich
und niemand anderen bezwingen will.
Genügend Zeit habe ich ja, bin ja erst
25. Und diese Zeit werde ich für meine Herzensangelegenheiten nutzen.
Gibt es schönere Perspektiven? Ich
glaube nicht …
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