Bewegung an der frischen Luft ist ausdrücklich erlaubt. Ein Glück. Denn Corona hält uns ansonsten leider gut in Schach. Dabei denke ich mir; Bewegung an der frischen Luft sollte nicht nur erlaubt sein, nein es sollte geradezu gefördert werden. Denn wer rastet, rostet. Und nicht nur Gelenke, Muskeln und unsere Kondition rosten in bewegungsarmen Zeiten. Nein, auch die natürlich beste Abwehr gegen den Virus fährt gemeinsam mit ihnen runter – unser Immunsystem. Deswegen: Raus aus den Federn und ab an die frische Luft.
Von diesem Gedanken getrieben planen meine Freundin und ich eine kleine Aufwärm-Skitour im gemütlich schönen Diemtigtal – denn wo könnte die Luft frischer und der Platz für Bewegung weiträumiger sein als in den Alpen? Jedenfalls nicht in der dicht gedrängten Stadt während des Weihnachts-Wahnsinns.
Das Diemtigtal bietet allerlei schöne Touren mit nicht allzu hoher Schwierigkeit und entsprechend niedriger Lawinengefahr. Und das ist bei unserer Planung von grosser Wichtigkeit, hat es doch soviel geschneit wie in kaum einem Dezember der letzten zehn Jahre. Die Zentralschweiz und Graubünden haben bis zu der fünffachen Menge an Schnee abbekommen wie in den Jahren zuvor.
Trotz allem hat das Diemtigtal nicht ganz so viel Schnee abbekommen. Aber immer noch genug für den Turnen. Mit seinen knapp 2080 m und den herrlich offenen Südhängen wollte ich schon seit dem ersten Anblick vor einigen Jahren unbedingt mal auf diesen Berg touren.
Und so machen wir uns am dritten Advent auf den Weg in den Menniggrund, um uns von dort aus mit den Brettern unter den Füssen eine extra grosse Portion Bewegung an der frischen Luft zu gönnen.
Vom Parkplatz an der Strasse, nachdem wir unten im Tal ein Ticket für 5 Franken gelöst hatten, ging es direkt los. Wir sind zwar nicht die Einzigen, die etwas für ihr Immunsystem tun, aber immerhin können wir genug Abstand halten. Und so geht es Schritt für Schritt den Hang hinauf. Die Spuren sind teilweise nicht optimal angelegt und hier und da verlassen wir die vorgegebene Linie, um mit ein paar Schritten und einer Spitzkehre mehr, dafür aber weniger Mühen und einem besseren Gefühl ebendort hinzugelangen, wo auch schon unsere Vorreiter – also eben Vortourengänger – hin wollten: Nämlich bergauf, dem weiten offenen Blick, dem Gipfel entgegen.
Leider ist es sehr wolkenverhangen und wie wir so durchs dichte Nebelmeer irren, wissen wir manchmal gar nicht so recht, wie und wo es weiter geht. Die Spuren und die Skitourenkarte geben uns zwar einen Weg beziehungsweise eine ungefähre Position vor, aber dennoch ist es mühsam, durch den schweren, teils nassen Schnee weiter bergauf zu kommen. Es ist ziemlich warm und die Luftfeuchtigkeit ist extrem. Schemenhaft erkennen wir erste Abfahrer durch die dichten Wolken. Unsere Motivation bekommt dadurch noch einen weiteren Dämpfer, denn Abfahrtsgenuss sieht anders aus.
Doch trotz dieser ungeahnt schlechten Bedingungen setzen wir unseren Weg weiter fort. Wir haben noch immer ein wenig Schwung aus der Vorfreude übrig, haben noch Bewegungsdrang, rufen uns mantraartig "Bewegung an der frischen Luft tut gut" in Erinnerung und stellen uns vor, dass wir durch die erdrückenden Wolken über das Nebelmeer hinaussteigen und weit durch die klare Luft in die Ferne blicken werden, um dort kühle, frisch-saubere Luft tief in unsere Lungen bis in unser Herz einatmen zu können.
Und so geht es langsam aber stetig an die letzten von insgesamt knapp 850 Höhenmetern. Und tatsächlich, der Schnee wird zunächst trockener, dann immer pulvriger. Die Wolken geben Raum für ein schüchternes Blau, das schon kurze Zeit später allgegenwärtig die Sicht auf all die schönen Gipfel um uns herum frei gibt. Im Osten, wo Eiger, Mönch und Jungfrau über der nahezu perfekt gleichmässigen Niesenkette thronen. Im Norden schaffen es nur Stockhorn und Gantrisch, sich einen Platz an der Sonne zu erhaschen. Im Westen die spitzen Zacken der Gastlosen und Richtung Süden der für mich perfekte Toblerone-Berg – der Altels. Endlich sehen wir wieder klar. Wir sehen strahlende Gesichter, die sich für die Abfahrt parat machen, sehen nächste Ziele und lassen den undurchsichtigen Nebel unter uns. Fühlen uns bewegt von der Bewegung und erfrischt von der Frische. Wir fühlen uns belohnt für die Strapazen des Aufstieges und bezahlt für das Durchhaltevermögen; auch dann weiter zu gehen, wenn man gar nicht sieht, wohin es eigentlich geht.
Und wir fühlen uns kalt. Denn hier oben weht ein eisiger Wind. Und so machen wir uns so schnell es geht fertig für die Abfahrt. Begleitet von der Sonne ziehen wir sanfte Schwünge durch die obersten Hänge. Quälen uns mit brennenden Oberschenkeln durch die schweren Schneemassen und fetzen unter fast schon frühlingshaften Bedingungen die letzten Meter in den Menniggrund. Es reicht sogar noch für eine kleine Rast auf einem Bänkchen in absoluter Windstille und Sonne im Gesicht. Die Flut des Nebelmeeres im Aufstieg ist nahezu vollständig weg und hat ein zauberhaftes Bild aus Wolkenfetzen und der zackigen Silhouette der Berge vor uns hinterlassen.
Und in dieser herrlichen Ruhe auf diesem Bänkchen hören wir auch die oft leisen, da meist sanften und gutmütigen Stimmen in uns – ja, Skitouren ist nicht nur einfach irgendein Sport, der sich diese Tage zum Trend entwickelt. Es ist viel mehr. Es ist eine Philosophie. Es lehrt uns den Umgang mit Situationen und Bedingungen, welche wir nicht beeinflussen können. Es lehrt uns, zu beobachten und eigene Schlüsse zu ziehen. Die vorgegebene Spur zu verlassen oder ihr zu folgen. So, wie es mal mehr oder mal weniger sinnvoll ist. Diemtigtal – wir kommen dich hoffentlich schon bald wieder besuchen.
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