Hat das Wort Strahlen mit dem Funkeln der Kristalle oder mit dem Strahlen des glücklichen Finders zu tun?
Wenn ich einen besonderen Stein finde, zum Beispiel einen Kristall mit rötlich schimmerndem Rosafluorit, bekomme ich Gänsehaut. Zeige ich dieses Prachtstück anschliessend zu Hause, dann strahle ich tatsächlich. Doch der Ursprung des Wortes stammt vermutlich aus der Zentralschweiz und leitet sich vom Wort «Strahl» für Kristall ab.
Wann löst ein solcher Stein bei dir Glücksgefühle aus?
Wichtig sind die Ästhetik und die Qualität. Besteht er aus einem einzelnen, schlanken Zacken oder hat er gar mehrere davon, ist er unbeschädigt und klar. Haben sich dann noch Mineralien wie Rosafluorit, Hämatit oder Eisenrosen auf die Oberfläche kristallisiert, dann ist das unfassbar schön. Speziell sind auch sogenannte Gwindel. Das sind aufeinander liegende und in der Längsachse leicht verdrehte Quarze.
Grimselgebiet: Daniel Schmid
auf der Suche nach einer
neuen Kluft.
Suchst du die Kristalle für den Verkauf?
Die schönsten Stücke würde ich wohl niemals verkaufen! Denn Strahlen ist mein Hobby und der Verkauf steht nicht im Vordergrund. Ich besuche momentan keine Mineralienbörsen, aber biete auf meiner Website oder im Kristallzimmer bei meinen Eltern in Vals (GR) einzelne Stücke und Steine als Halskettenanhänger an. Viel wichtiger ist mir meine Kristall- und Mineraliensammlung. In der Werkstatt im Keller putze ich die Kristalle abwechselnd mit Hochdruck und Wasser, bis der letzte Krümel Erde weg ist. Danach bekommen sie ihren Platz in der grossen Vitrine in Vals oder bei mir in Wimmis (BE).
Dieses Hobby ist alles andere als Funsport?
Das Strahlen bereitet mir natürlich viel Freude, aber Funsport stelle ich mir ganz anders vor. Es ist ein hartes Hobby und wer dabei erfolgreich sein will, benötigt Ausdauer und Hartnäckigkeit. Wenn ich in einer Kluft liege, total durchnässt und dreckig, mir vielleicht sogar noch die Finger aufschlage und zittere vor Kälte – das ist intensives Leben! Ist der Rucksack mit Kristallen gefüllt, dann spielt das Gewicht keine Rolle. Wenn ich in Vals vor meinem Vater die Schätze auspacke, seine Augen zu leuchten beginnen, dann sind das fantastische Momente.
Dein Vater spielt eine wichtige Rolle?
Ja, er hat mich immer zum Strahlen mitgenommen und mir gezeigt, wie der Fels «tickt», wie eine Quarzader zum Felsen verlaufen muss, damit man mit etwas Glück am Ende der Ader auf eine Höhle, eine sogenannte Kluft stösst. Leider kann er heute altersbedingt nicht mehr mitkommen. Von ihm habe ich die Tradition übernommen, jeweils den ersten Kristall der Saison als Glücksbringer in den Hosensack zu stecken. Und wenn ich vor einer neuen Fundstelle in einem schattigen, dem Steinschlag ausgesetzten Nordhang stehe, dann denke ich oft an seinen Rat, keinesfalls mein Leben für einen Stein zu riskieren.
Die Grundausrüstung
zum Strahlen wiegt etwa
12 Kilogramm.
Und befolgst du diesen Rat?
Meistens – einige meiner Klüfte wären ihm zu gefährlich. Als Bergführer bewege ich mich öfters in solchem Gelände, bin dadurch versierter und denke, das Risiko besser einschätzen zu können. Bevor ich mich in ein neues Gebiet begebe, suche ich dieses mit dem Feldstecher nach Einschlagstellen von Steinschlag ab. «Lebt» ein Berghang noch, dann verzichte ich. Wenn die Felsen im Steilgelände hingegen mit alten Flechten überwachsen sind, dann ist das ein Hinweis, dass sich dort länger nichts mehr bewegt hat.
Und welchen Einfluss hat die Klimaerwärmung?
Nun, da wir deutlich in einer Klimakrise stecken und die Gletscher erschreckend schnell abschmelzen, kommen immer neue Klüfte zum Vorschein. In diesen Gebieten herrscht unter den Strahlerinnen und Strahlern Goldgräberstimmung. Sie reservieren ihre Klüfte, in dem sie ihre Initialen und das Funddatum an den Felsen pinseln oder ihre Werkzeuge dort deponieren. Selber meide ich solche Hotspots und suche lieber in teils weniger ergiebigen Zonen. Die globale Erwärmung macht unsere Leidenschaft auch gefährlicher. Es gibt vermehrt Steinschlag. Weil die Permafrostböden tiefer auftauen und die stützende Funktion des Gletschereises nachlässt, verlieren viele Berghänge an Stabilität.
Man sagt: «Wer die Berge liebt, lässt ihnen die Blumen.» Müsste das nicht auch für die Kristalle gelten?
Kristalle werden durch die Erosion zutage gefördert. Gelangen sie an die Oberfläche, dann ist es eine Frage der Zeit, bis sie durch einen Erdrutsch oder Steinschlag zerstört werden. Viele der Kristalle, die ich gefunden habe, wären sonst auf einen Gletscher gefallen und kaputt gegangen – das wäre schade!
Unverkäuflich! Ein
besonderer Rauchquarz
aus Daniel Schmids
Sammlung.
Dann seid ihr Strahler Kristallretter?
Das hat schon etwas. Werden die Kristalle geborgen, dann kommen sie in eine Sammlung, werden verkauft oder finden sogar den Weg ins Museum. So bleiben sie für die Nachwelt sichtbar und erhalten. Aber selbstverständlich steht die Motivation im Vordergrund, möglichst einzigartige Steine zu finden.
Ich durfte dich im Grimselgebiet begleiten. Dort hast du mit Pickel, Brecheisen, Hammer und Meissel eine kleine Kluft freigelegt. Diese Kristalle waren davor eigentlich gut vor der Erosion geschützt.
Ja, das stimmt – meine Begründung geht nicht immer auf.
Zu Hause in Wimmis
werden die Kristalle mit
Hochdruck gereinigt.
In einer Kluft spitzt ihr die Steine aber nicht aus dem Fels?
«Reife» Kristalle sind oft vom Muttergestein losgelöst. Meistens können wir sie behutsam, praktisch ohne Einwirkung ablösen. Niemals schlagen geübte Strahler Kristalle direkt mit dem Pickel oder Meissel ab. Das würde sie zerstören. Wenn sie noch festgewachsen sind, nehmen wir sie entweder mitsamt dem Muttergestein oder lassen sie stehen. Kristalle sind nicht so hart wie Diamanten und recht empfindlich. Für den Transport im Rucksack wickle ich die Kristalle in Zeitungspapier, damit sie nicht brechen oder verkratzen.
Um sich Zugang zu einer Kluft zu verschaffen, wird offenbar sogar Sprengstoff eingesetzt.
Ich bin kein Fan von Sprengungen und wende dies zurückhaltend an. Momentan ist in einer Kluft in Vals der Durchgang zu schmal, um weiterzukommen. Dort werde ich sprengen. Denn dahinter verbergen sich bestimmt wunderschöne Kristalle. Andere sind weniger zurückhaltend, dann geht es dort leider zu und her wie im Bergbau.
Mit Kristallretten hat das nichts zu tun! Ist das nicht ebenso verwerflich, wie wenn man in einer Freikletterroute Griffe in den Fels meisselt und so eine unmögliche Stelle möglich macht? Sollte man das Sprengen nicht verbieten?
95 % meiner Funde habe ich ohne Sprengstoff getätigt. Somit wäre ein Verbot für mich nicht einschneidend. Es gibt tatsächlich auch Gemeinden mit einem Sprengverbot für Strahler. Das ist in meinen Augen nachvollziehbar, da manche übertrieben oft Sprengstoff einsetzen.
Im Grimselgebiet:
Wer Kristalle finden will,
muss wissen, wie der
Fels «tickt».
Wenn ich in den Bergen einen Kristall finde, darf ich den einfach mitnehmen?
Ja, das darfst du. Sobald du aber mit Werkzeugen ausgerüstet bist, braucht es je nach Region ein Patent. Auch gibt es Täler, in denen das Strahlen verboten ist, so zum Beispiel im Gerental (VS) oder im Gasterental (BE).
Du arbeitest als Bergführer. Bietest du deinen Gästen Strahlerexkursionen an?
Nein, denn für mich ist Strahlen Hobby und Ausgleich. Ich geniesse die Einsamkeit. Wenn ich abends nach getaner Arbeit meinen Schlafsack ausbreite, mir im Biwak etwas zu Essen koche und in die Berge hinausträume, dann geht’s mir richtig gut. Mit meinen Gästen gehe ich lieber richtig «z’Berg», suche für sie den unverspurten Pulverhang oder klettere mit ihnen einen zackigen Grat. So auch für das Programm von «Bächli on Tour». Da kann ich als Bergführer den Gästen viel bieten.
Wie nimmt deine Partnerin dein Hobby wahr?
Ab und zu begleitet sie mich und kann sich auch sehr über einen schönen Fund freuen. Da sie in einer festen Anstellung arbeitet, wir zwei Kinder im Alter von vier und sieben Jahren haben, ich auch noch als Feinmechaniker für eine Audiofirma tätig bin und mich als Hausmann engagiere, sind die Tage für mein Hobby Verhandlungssache. Sie unterstützt meine Leidenschaft, ist aber auch froh, wenn jeweils im Herbst der erste Schnee fällt und damit die Strahler-Saison vorbei ist.
Bist du mehr am Führen oder am Strahlen?
Im vergangenen Sommer fiel das Verhältnis erstmals zugunsten des Strahlens aus – interessanterweise habe ich aber weniger gefunden als sonst. Bei den Kristallen lässt sich nichts erzwingen. Trotzdem ist es mein grosser Traum, mich einen ganzen Sommer ausschliesslich dem Strahlen zu widmen.
Über Daniel Schmid
Der Bergführer und gelernte Uhrmacher Daniel Schmid (39 Jahre) wohnt mit seiner Familie in Wimmis (BE). Als Bergführer ist er für das Tourenprogramm «Bächli on Tour» engagiert.
Seine Kristalle gibt’s auf: tourenschmiede.ch/bergkristall-laden zu kaufen.
Informationen über Exkursionen, Patente, Verbote und einen Ehrenkodex findet man bei der Schweizerischen Vereinigung der Strahler, Mineralien- und Fossiliensammler: svsmf.ch
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