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Luke Smithwick im Interview – «Mich inspirieren die weissen Flecken auf der Skilandkarte»

Christian Penning, Montag, 29. Januar 2024

500 Skiabfahrten will der Amerikaner Luke Smithwick im Himalaya bewältigen. Mehr als die Hälfte hat er schon geschafft. Was treibt diesen Mann jedes Jahr auf acht bis neun Expeditionen in eisige Höhen?

Sommer 2023. Luke Smithwick packt zu Hause in den Tetons im US-Bundesstaat Wyoming für seine nächste Himalaya-Expedition. Sein Ziel: der Manaslu (8163 m). Doch längst nicht nur 8000er interessieren ihn. Fast 100 Expeditionen hat der 43-jährige Bergsteiger, Bergführer und Ski-Süchtige in den letzten 13 Jahren unternommen. Darunter unzählige Sechstausender und eine Skiabfahrt vom Shishapangma (8027 m). Erstaunlich, dass er bei seinen Unternehmungen in dem rekordträchtigen Gebirgszug meist unter dem Radar der weltweiten Alpinisten-Szene fliegt. Für grosse mediale Auftritte scheint Luke schlichtweg die Zeit zu fehlen. Dabei wäre sein Projekt Himalaya 500 zumindest in der Ski-Community absolut schlagzeilenträchtig und -würdig. 

Himalaya 500 – klingt nach einem monströsen Projekt. 500 Skiabfahrten im Himalaya – was steckt dahinter? 

Im Grunde ist das nur eine willkürliche Zahl. Der Himalaya ist bekannt fürs Höhenbergsteigen und für Trekking-Touren. Ich möchte zeigen, dass er auch für Skifahrer enorme Potenziale birgt. Von Pakistan bis zur indisch-chinesischen Grenze misst der Himalaya 2500 Kilometer. 2500 Kilometer unterschiedlichster, faszinierendster geologischer Formationen – da braucht es schon ein paar Abfahrten, um der Bandbreite dieser Bergkette gerecht zu werden. Wobei man sagen muss, dass Skifahren im Himalaya nicht neu ist. Es gibt Dokumente, dass Menschen schon im späten 19. Jahrhundert auf zwei Brettern die Berge runter sind. Doch ein Skireiseziel wie die Alpen, die Rockys oder die Anden ist der Himalaya bislang noch nicht. 

Was zieht dich immer wieder dorthin? 

Was mich inspiriert, sind die weissen Stellen auf der Skilandkarte. Am interessantesten finde ich die Planungsphase, wenn ich eine neue Region fürs Skifahren erkunde. Ich gehe kleinen Hinweisen nach, von denen ich denke, sie könnten mich auf meiner abenteuerlichen Suche nach neuen Skibergen weiterbringen. Etwa, wenn ich von regelmässigen Schneestürmen in einer Region höre. Wenn ich auf einer sommerlichen Klettertour von Lawinen niedergestreckte Bäume sehe. Oder wenn ich von einem Zugang durch eine Schlucht zu unberührten weissen Bergen höre. Ein einziger Satz in einem Reisebericht kann mich dazu bringen, eine Region zu erkunden. 

Infos aus erster Hand: Diskussion mit Einheimischen in Agsho, Region Zanskar, über den Zugang in ein abgelegenes Tal. Dabei helfen Smithwick seine Sprachkenntnisse in Ladakhi.

Ein ziemlicher Unterschied zu den Alpen, wo es für beinahe jedes Tal einen publizierten Skitourenführer gibt. 

Es gibt im Himalaya so gut wie keine Skiexperten. Also versuche ich mit den Hirten ins Gespräch zu kommen, weil die ihre Täler besser kennen als jeder andere. Wenn ich in Europa oder in Amerika vom Himalaya erzähle, sagen viele Leute: «Ich würde gerne nach Nepal fliegen» oder «Ich würde gerne den Everest sehen ». Doch die Khumbu-Region (wo sich der Everest befindet) ist nur ein winziges Tal dieses riesigen Gebirges. Ich möchte mehr davon sehen und zeigen. 

Was war der Auslöser für deine persönliche Himalaya-Faszination? 

2001 war ich zum ersten Mal im Himalaya. Ich war auf Anhieb begeistert. Wegen der Menschen dort. Aber auch wegen des Terrains, der massiven Höhenunterschiede. Ich blieb sechs Monate. Als ich nach Hause kam, zog ich nach Alaska und lebte dort zehn Jahre. Alaska war aussergewöhnlich, genau wie die Alpen. Aber ich hatte immer im Hinterkopf: Das ist nicht der Himalaya. Ich muss zurück. Seit 2010 unternehme ich dort acht bis neun Expeditionen pro Jahr. Ich habe eine kleine Wohnung in der Nähe des Klosters Kopan am Stadtrand von Kathmandu, und auch eine Bleibe in Ladakh im Norden Indiens, in Leh. Dort lagere ich meine Ausrüstung und pendle je nach Jahreszeit in unterschiedliche Regionen. 

Alpinistisch stehen die Achttausender im Himalaya im Interesse-Ranking ganz oben. Welche Rolle spielen sie in deinem Projekt Himalaya 500? 

Ich habe für das Projekt bislang einen Achttausender befahren und werde in Zukunft noch weitere anstreben. Aber es gibt im Himalaya zwischen 4000 und 8000 Metern noch so viel mehr zu erkunden. Mir geht es im Kern ums Skifahren in unbekannten Gebieten. Das ist für mich als entdeckungsfreudiger Big-Mountain-Skifahrer die Essenz. Einige dieser Gebiete sind sehr wild. Wie vor der Ära des kommerziellen Bergsteigens. Ohne touristische Infrastruktur. In anderen Regionen gibt es Hütten, wie zum Beispiel in Hunza in Nordpakistan. 

Für viele Tourengeher und Freerider ist Pulverschnee nach wie vor die Krönung? Wie stehen die Chancen auf Powder im Himalaya? 

Gute Chancen auf Powder hat man im Hunzatal und im Karakorum. Und natürlich auch in Kashmir. In Nepal zählen Humla im Norden, der Westen und die Annapurna-Region zu meinen Favoriten. Im Winter ist das gar nicht so viel anders als in den Alpen oder in den Rockies. Da kannst du auf 3500 Metern Höhe Skifahren. Du musst nicht auf Sechs- oder Siebentausender. Die beste Zeit für steile Skiabfahrten ist im Mai. 

Immer dem Schnee nach: Smithwick in den Wäldern von Baba Rishi, Kashmir  

Tägliche Lawinenlageberichte gibt es dort nicht. Wie gehst du deine Skiprojekte in puncto Sicherheit an? 

Da gehe ich sehr konservativ und defensiv vor – mit der gleichen Mentalität wie in Alaska. Du hast niemanden, der dich rausholt. Wenn du verletzt bist, hast du nur das Team, mit dem du unterwegs bist. Meine Devise: nie maximales Risiko. Ich halte mir immer vor Augen, wie viel Glück ich habe, diese Wildnis erleben zu dürfen: die Menschen, die einzigartige Tierwelt. Das macht eine Skiexpedition aus. 

Wie lange wirst du voraussichtlich für alle 500 Lines benötigen?

Mehr als die Hälfte habe ich schon. Ich möchte das Projekt 2025 abschliessen. 

Und was kommt danach? 

Ich glaube nicht, dass ich jemals aufhören werde, Skiexpeditionen im Himalaya zu unternehmen. Wenn ich nicht dort bin, habe ich das Gefühl, etwas zu verpassen. 

Um seinen Traum zu leben, hat Luke Smithwick ein Guiding-Unternehmen gegründet. Himalaya Alpine Guides bietet von Trekking-Touren bis zu 8000er-Expeditionen ein breites Repertoire. Natürlich fehlen auch geführte Skiprojekte nicht – von Heli-Skitouren in der Annapurna- Region bis hin zu Abenteuertouren mit Pferden. Daneben arbeitet Luke im Test- und Entwicklungsteam für die amerikanische Skimarke Moment Ski und für andere Ski- und Outdoor-Ausrüster.

Du bist mit deinem Guiding-Unternehmen selbst an der touristischen Entwicklung im Himalaya beteiligt. Wie passt das mit deinem Faible für wilde, wenig erschlossene Gebiete zusammen. 

Ich sehe im Himalaya regelmässig, wie zerbrechlich die Natur ist. Daher möchte ich mein Bestes tun, um sie zu erhalten. Mein Guiding-Stil bedeutet: In kleinen Gruppen und in Regionen ohne entsprechende touristische Infrastruktur erfolgt der Approach zum Berg zu Fuss.

Wo gibt's noch weisse Flecken? Auf Erkundungstour in der Hunzaregion, Pakistan.

Gibt es im Himalaya so etwas wie einen Skitourismus?

Es geht gerade los. Es gibt interessierte Investoren aus Singapur. Sie wollen in Pakistan, Nepal und Indien aktiv werden. Traditionell ist der Tourismus im Himalaya von Bergsteigern aus Europa und vom amerikanischen Kontinent geprägt. Nun aber entdecken gut situierte Schichten aus Asien den Bergsport für sich. Es gibt einen wahren Reise- und Fitness-Boom. Katalysator dafür war nicht zuletzt die Covid-Pandemie. In den letzten zwanzig Monaten sind vier neue Fluggesellschaften in Indien an den Start gegangen. Skigebiete könnten also durchaus funktionieren. Ich denke, das wäre o.k., solange Wildnisregionen wirksam vor übermässigen touristischen Entwicklungen geschützt werden. 

Worum geht es Luke Smithwick bei seinen unzähligen Unternehmungen im Himalaya? Im Online-Interview wirkt er nicht, als wäre er darauf aus, sich mit möglichst vielen Eintragungen im Buch der Rekorde zu verewigen. Neben seinem Bergführerdiplom hat er zwei Universitätsabschlüsse – in Kulturanthropologie und Umweltbiologie. Zusätzlich spricht er sechs Fremdsprachen fliessend, darunter Hindi, Nepali, Tibetisch und Kashmiri. Immer wieder kommt er auf sein Interesse an den Menschen in den Himalaya-Dörfern und an der Tierwelt zu sprechen.

Du verbringst enorm viel Zeit im Himalaya. Für die meisten Bergsteiger ist der Kontakt mit den Einheimischen nur eine Episode auf dem Weg zum Gipfel. Wie ist das bei dir? 

Die besten Gespräche führe ich in Hinterhofcafés in Kathmandu oder in Nudelsuppenbuden in der Altstadt von Leh. Ich glaube, als Skifahrer suchen wir meist den Kontakt zu anderen Skifahrern, um Informationen zu erhalten. Aber ich verbringe meine Tage nicht damit, mit anderen über das Skifahren oder die Haue eines Eispickels zu sprechen. Auch wenn Skifahren und Klettern meine Lieblingsbeschäftigungen sind, plaudere ich lieber darüber, wo der Schneeleopard im Tal war und warum. Warum der Wind in einem Tal abends immer aus dem Süden kommt, und warum bei Vollmond nach Einbruch der Dunkelheit mehr als eine Butterlampe brennt. 

Du tauchst also in die regionalen Kulturen ein. 

Ja, abends gehe ich oft zu den Hirten raus und spreche mit ihnen. Ich will lernen, wo sie welche wilden Pflanzen sammeln und wofür. Es gibt so viel zu lernen in diesen Tälern. Da ist so viel mehr, als nur auf seine Uhr zu schauen, um seinen Puls oder die Aufstiegszeit zu checken. Ich habe von den Locals viel über Höhenakklimatisation gelernt. Als Anthropologe interessieren mich die Menschen mindestens genauso wie die Berge. 

Erst das Training, dann das Vergnügen: In den heimischen Tetons (Wyoming, USA) bereitet sich Smithwick mit 15-20 Stunden konzentriertem Uphill-Training auf seine Expeditionen vor (links) ... etwa diesen Zustieg zu einer Skiabfahrt auf 6100 Metern Höhe in Tingri, Tibet (rechts).

In kleinem Umfang organisiert Luke immer wieder auch humanitäre Hilfsprojekte, soweit es seine Möglichkeiten zulassen. Er kümmert sich um medizinische Hilfe, aber auch um eine Verbesserung der Infrastruktur in einigen Dörfern. Luke scheint im Himalaya in der Tat angekommen zu sein. Nicht im Sinne eines Touristen, sondern eines Menschen, der der Gemeinschaft, die ihm etwas gibt, auch etwas zurückgeben will. 

Wie sehen deine humanitären Hilfsprojekte konkret aus? 

Ich mache das bewusst in kleinem Rahmen. Weil ich gesehen habe, dass die internen Abläufe grosser Hilfsorganisationen viel Geld verschlingen. Ich mag es lieber direkt, von Mensch zu Mensch. Wenn wir unterwegs sind und ein Kind treffen, das eine Operation benötigt, können wir Spenden sammeln, um das Kind nach Kathmandu ins Krankenhaus zu bringen. Also Hilfe von Familie zu Familie. Oder wenn wir in einem entlegenen Dorf in Hunza sind, Locals unsere Ski ausprobieren lassen, und ich sehe, dass sie begeistert sind: Dann beschaffen wir 20 Paar Ski, bringen sie hoch und versuchen, von der Regierung unterstützte Programme zu starten. Im Himalaya muss meiner Meinung nach alles von der Regierung unterstützt werden. So bleibt es erhalten und geht nicht in privaten Interessen unter. Und so wächst die Kultur. Wir haben daraus eine kleine Institution gemacht. «Himalaya Outreach» heisst sie, eine gemeinnützige Organisation, die jungen Leuten im Himalaya eine fundierte Bergsportausbildung ermöglicht und sie mit entsprechender Ausrüstung ausstattet. 

Gibt es weitere Bereiche, in denen du dich engagierst? 

Ich habe die Kashmir Avalanche Association im westlichen Himalaya gegründet. Ziel des Programms ist es, das Bewusstsein der ländlichen Gemeinden für die Sicherheit im Schnee zu schärfen. Es gibt grosse Stürme dort. Wir lehren, wie man Lawinen vermeidet und die ländlichen Gemeinden schützt. Bei einem anderen Projekt habe ich mit Schulklassen über die Bedeutung von sauberem Wasser gesprochen und Wasserfilter ausgegeben. Mein neuestes Projekt: die Zusammenarbeit mit der Organisation Leave No Trace. Dabei führe ich den Einheimischen einiger Gemeinden vor Augen, wie wichtig es ist, die Natur sauber zu halten – nicht nur für den Tourismus, auch für sie selbst. 

Stichwort Natur und Umwelt – siehst du konkrete Auswirkungen des Klimawandels im Himalaya? 

Einige Regionen werden durch die Umweltveränderungen zu einer Diaspora. Die Menschen ziehen weg, weil es zu viel oder zu wenig regnet. Es gibt so viele Dinge, die passieren, weil sich das Klima ändert. Der Himalaya zählt zu den vom Klimawandel am stärksten betroffenen Regionen, ganz einfach, weil hier die höchsten Berge der Welt stehen. Eine enorme Herausforderung für die Zukunft. Um sie zu bewältigen, braucht es Daten. Ich arbeite dazu unter anderem an einer globalen Datenbank für den Himalaya mit. 

Klingt nach grossen Aufgaben, für die ein Leben nicht reicht.

Vermutlich, aber ich würde meine Arbeit gerne als eine Art Vermächtnis hinterlassen, als etwas, das Open Source ist. Ich kann nicht genug von dem bekommen, was ich tue. Es macht finanziell keinen Sinn, aber ich mache es, weil ich in meiner ganzen Jugend davon geträumt habe. Jetzt ist die Zeit, es umzusetzen.

Luke Smithwick

Alter: 43 Jahre

Ausbildung:
Bachelor of Arts Kulturanthropologie, Bachelor of Science Umweltbiologie, Bergführer American Mountain Guides Association

Gipfel und Expeditionen:
64 namenlose Sechstausender, Mount Everest North Ridge (8848 m), Dhaulagiri Northeast Ridge (8167 m), Gasherbrum II Southwest Ridge (8035 m), Shishapangma (8013 m) Skiexpedition; mehrere Erstbefahrungen von Sechstausendern

Web: lukesmithwick.com himalaya-alpine.com

Instagram:
luke_smithwick


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