Innsbruck - über goldenen Dächern
Welche Stadt ist die Hauptstadt der Alpen? Innsbruck natürlich, würden die rund 130’000 Innsbrucker behaupten. Und tatsächlich gibt es neben Grenoble keine Stadt dieser Größenordnung inmitten der Alpen. Mit mehr als 30’000 Studenten bietet die Universitätsstadt jugendliches Flair – und das in alpin-urbaner Umgebung. Während die Touristen im Sommer zum Goldenen Dachl in der Altstadt strömen, finden Sport- und Alpinkletterer wahres ein Kletter-Paradies in und um Innsbruck.
Der Innsbrucker Stadtturm darf offiziell nur von innen bestiegen werden. Macht nichts, denn Alternativen gibt es ohne Ende.
Klettergebiete in Stadtnähe
Ein alpines Klettergebiet, das noch ganz offiziell in Innsbruck liegt, ist die Nordkette. Sie ragt – wie der Name besagt – nördlich der Stadt empor. Auf 2100 Metern Höhe befindet sich der Klettergarten Seegrube, der mit perfektem Kalk sowie grandiosem Tiefblick auf die Stadt Kletterer anlockt, und mit einer der weltweit ältesten Seilbahnen der Geschichte schnell erreichbar ist. Mit dem Rad gelangt man in wenigen Minuten zum Höttinger Steinbruch oder Mühlau: Beide Gebiete liegen inmitten des Stadtgebietes und bieten Konglomeratkletterei. Dabei werden sie nicht nur wegen der sportlichen Betätigung, sondern vor allem wegen der sozialen Interaktion aufgesucht: Hier trifft man sich nach dem Feierabend, um zu klettern, zu quatschen – oder manche behaupten sogar zur Partnersuche. Ebenso beliebt als kurzer Mittagspausenfüller ist die nahe gelegene Martinswand mit dem Dschungelbuch, wo Tiroler Klettergeschichte geschrieben wurde: Nachdem das Gebiet in den 80er Jahren von dem Fotografen Heinz Zak und Konsorten entdeckt worden war, kletterte Reini Scherer dort eine der ersten 8c+ Routen Österreichs. Reini Scherer ist zugleich auch Betreiber des KI, des Kletterzentrums Innsbruck. In dieser riesigen Kletterhalle treffen sich Athleten aus allen Ländern zum Trainieren. Adam Ondra ist genauso Stammgast wie Jakob Schubert oder Anna Stöhr. Bereits untertags füllt sich die Halle ordentlich mit Studenten. Abends wird es richtig voll, denn klettern ist in Innsbruck Volkssport.
Klettergebiete ausserhalb
Fährt man mit dem Auto etwa eine Stunde von Innsbruck, erreicht man einige der populärsten Kletter- und Bouldergebiete der Alpen wie das Zillertal oder das Ötztal, die perfekten Gneis bieten. Im Zillertal gibt es unzählige Bouldermöglichkeiten: Vor der Kulisse der 3000 Meter hohen Zentralalpen liegen die Blöcke idyllisch auf Almwiesen verstreut. Doch auch zum Seilklettern gibt es Routen in allen Schwierigkeitsgraden, sogar eine 9a+ von Jakob Schubert. Das Ötztal bietet zudem für Familien perfekte Möglichkeiten: In Gebieten wie Oberrried oder Tumpen wurden an den Einstiegen sogar Spielplätze angelegt. Wer Kalk bevorzugt, fährt zum Schleierwasserfall: Dort finden sich Touren in den oberen Schwierigkeitsgraden. An den steilen Überhängen kletterte Alexander Huber die erste 9a+ weltweit.
Mehrseillängen und alpines Terrain
Freunde des Alpinkletterns finden an der Martinswand direkt bei Innsbruck Mehrseillängenrouten in allen Schwierigkeiten, die gut mit Bohrhaken abgesichert sind. Wer es alpiner mag, fährt eine Stunde östlich in den Wilden Kaiser. Das Kaisergebirge gehört zu einem der bekanntesten alpinen Klettergebiete der Alpen, wo schon Hans Dülfer oder Reinhard Karl Geschichte schrieben.
Dresden - Türmen auf Sächsisch
Als George Bähr 1726 die weltberühmte Kuppel der Dresdner Frauenkirche entwarf, konnte er nicht ahnen, dass ihr Baustoff einmal Tausende Menschen regelmässig aus der Stadt treiben würde. Das Material für den bis heute grössten Sandsteinbau der Welt wurde aus dem nahen Elbstandsteingebirge herangeschafft – und genau dort, im Südosten der gerne als „Elbflorenz“ titulierten Barockmetropole, keine 40 Autominuten entfernt, liegt eine der schönsten und eindrucksvollsten Felslandschaften Europas: die Sächsische Schweiz. Majestätische Tafelberge, kühne Felsnadeln und Klippen, nebelverhangene Abgründe und Schluchten – ein Paradies für Romantiker, Abenteurer und Naturliebhaber aller Couleur. Und das mit Abstand grösste und beliebteste Klettergebiet im Osten Deutschlands.
Typisch Türme: Die Felslandschaft der Sächsischen Schweiz erkennen Kletterer auf den ersten Blick.
Tabus mit Tradition
In Jahrmillionen sind die Sandsteintürme hier aus der Landschaft herausgewittert – geklettert wird an ihnen immerhin schon seit 150 Jahren. Als Erste stiegen 1864 Turner aus Bad Schandau auf den Falkenstein, damit war der Sturm auf die scheinbar unendliche Kletterwelt (1138 Gipfel mit 21'000 Routen) vor den Toren Dresdens eröffnet. Nicht ohne Stolz (und auch nicht ganz zu Unrecht) bezeichnen die Sachsen ihre Heimat gerne als «Wiege des Freikletterns» bezeichnen die Sachsen ihre Heimat gerne. Was definitiv stimmt: An den Wänden rechts und links der Elbe über Jahrzehnte ein sehr eigenständiger und puristischer Kletterstil durchgesetzt und erhalten, der seinesgleichen sucht. Nicht nur künstliche Steighilfen, sondern auch Magnesia und sogar metallische Klemmgeräte sind tabu. Abgesichert wird mit vergleichsweise spärlich gesetzten Ringen und textilen Sicherungsgeräten, wie etwa Knotenschlingen. Weil auch die Bewertung traditionell knackig ausfällt, ist der Abenteuerwert entsprechend hoch. Kurz: Die Sachsen klettern am liebsten mit und gemäss den naturgegebenen Möglichkeiten unter weitgehendem Verzicht auf alles Künstliche. Viele, teils hitzige Dispute wurden hier um den Erhalt der reinen Lehre schon ausgefochten. «Klettern, wie Gott es schuf» titelte vor Jahren eine Bergsportzeitschrift.
Einzigartig ist auch, dass man im Elbsandsteingebirge beides hat: das Abenteuer in steilen, abweisenden Wänden – und das gemütliche Bier danach. Oft ist das eine kaum mehr als einen Steinwurf weit vom anderen entfernt, im Bielatal etwa ist man kaum aus dem Auto oder Bus ausgestiegen und steht schon am Fels. Abseits der Felsen locken verschwiegene Gründe und Schluchten zum ein- und abtauchen, in denen man ungestört stundenlang unterwegs sein kann. Sollte das Wetter zu schlecht oder die Lockrufe der Stadt zu stark sein: Dresden selbst bietet ein halbes Dutzend gut besuchter Boulder- und Kletterhallen. Aber der sächsische Sandstein trocknet üblicherweise recht schnell.
Barcelona - Rambla Scrambla
Als katalanische Kulturmetropole am Meer kennt man Barcelona nur allzu gut: mit ihren Ramblas, Tapasbars, Vino Tinto, Gaudí-Architektur und der berühmten Sagrada Família. Im Hinterland jedoch türmt sich − zumindest für uns Kletterer − die eigentliche Attraktion auf: die Sierra die Montsant mit ihren unzähligen Kletterrouten. Vom Einsteigerkurs bis zur Weltelite kann sich hier jeder austoben: die Qualität der Felsen und Routen ist durchweg hervorragend!
Die "Via del Joan" (8a+) in Margalef verlangt totale Körperspannung, um zwischen den zwei Sintersäulen nicht die Balance zu verlieren. Im Bild die Autorin Alexandra Schweikart.
Kletter-Kloster Montserrat
Für einen Kurztrip aus der Stadt steuert man das Konglomeratgebiet Montserrat an. Die Schnellbahn (R5) aus der Stadt teilt man sich mit vielen Menschen, deren Interesse aber nur dem berühmten Benediktinerkloster Santa Maria de Monserrat gilt. Die Konglomerat-Wände mit ihren eingebackenen Kieseln vermitteln nicht immer den solidesten Eindruck, halten jedoch erstaunlich gut. Trotzdem sind die teils bis zu 300 Meter langen Mehrseillängen am «senkrechten Kartoffelacker» eher alpin angehaucht. Die eigentlichen Sportkletter-Hotspots befindet sich rund um die Dörfer Siurana, Margalef und La Morera de Montsant. Mit der Bahn (La Renfe) kommt man von Barcelona bis Reus, danach mit dem Bus weiter bis Cornudella de Montsant. Alternativ gibt es in Barcelona unschlagbar günstige Mietwagen im Angebot. Logiert wird in einer der vielen Selbstversorger-Unterkünfte; in Kletter-Refugios und auf Campingplätzen unter spanischen Olivenbäumen. Margalef galt mit seinem löchrigen Konglomeratgestein lange als Geheimtipp: erst nach 2007 wurden hier massenweise Routen in jedem Schwierigkeitsgrad eingerichtet. An den mehr als 1500 Routen – Tendenz zunehmend – zwischen 3+ und 9b+ kann man sich hier die Finger langziehen. Kurze, steile Routen nahe der Strasse gelegen (Sektor «Laboratori») finden genauso ihre Anhänger wie die 40 Meter Routen der «Cathedral». Es gibt sogar Routen, die nur aus Sintern bestehen. Margalef kann als absolut kindertauglich bezeichnet werden: kurze Zustiege, flaches Gelände am Wandfuss und kinderleichte Routen direkt neben den schweren Routen.
Hot-Spot für die Cracks: Siurana
Siurana ist das absolute Klassikergebiet in Katalonien. An den graurötlichen Kalkfluchten und technisch anspruchsvollen Leisten wurde Klettergeschichte geschrieben. 1986 wurde bereits die erste 7c geklettert, später dann mit «La Rambla» (9a+) eine der schwierigsten Routen der Welt. Apropos: Unterhalb des fünften Schwierigkeitsgrades wird man in Siurana nicht fündig, die meisten Klettereien sind im Bereich 6a bis 8b angesiedelt. Wer dieses Niveau klettern kann, kommt bei einer Auswahl von 1200 Routen gerne wieder. Und wer vom Stadttrubel in Barcelona genug hat, flieht einfach in das restaurierte Dörfchen Siurana: von der Terrasse des erhaben gelegenen Refugios kann man den Blick über die Canyons schweifen lassen, Kletterer bei ihren Versuchen beobachten und sich an einem frischen cerveza die Fingerspitzen kühlen!
Fotos ©: Claudia Ziegler / Innsbruck Tourismus, Tommy Bause / Mauritius Images, Alamy, Liane M / Judith Spancken
Dieser Artikel erschien im Inspiration 4/19
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