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Sitzt gut: Das müsst ihr über Klettergurte wissen

Fabian Reichle, Donnerstag, 09. März 2023

Er ist das Verbindungsglied zwischen Körper und Seil. Nebstdem er zur elementaren Sicherheitsausrüstung gehört, muss der Klettergurt auch Anforderungen an Ergonomie und Funktionalität gerecht werden. Diese sind je nach vertikaler Disziplin unterschiedlich. Daher nehmen wir die vielen Facetten der Gurte unter die Lupe und zeigen, welches Modell für euer nächstes Kletterabenteuer geeignet ist.

Wer in den Bergen unterwegs ist – sei es an Felswänden, auf Gletschern oder auch auf ausgesetzten Wegen und Graten – muss sich der banalen Gefahr der Schwerkraft bewusst sein. Die logische Konsequenz: Die gegenseitige Sicherung mittels eines Seils. Soweit, so logisch. Während in den Anfangstagen des Alpinismus starre Hanfseile direkt um den Körper gebunden wurden, die bei Stürzen nicht selten rissen und bei den Trägern zu schweren Verletzungen führten, sind heutzutage glücklicherweise dynamische High-Tech-Seile Standard. Und was ist mit deren Befestigung am Körper? Auch hier hat sich viel getan. Längst haben spezifische Klettergurte das direkte Anseilen abgelöst.

Whillans Sit Harness von Troll: Der erste, moderne Klettergurt.

Die ersten Versuche eines dedizierten Gurtes fürs Seilhandling stammt von der Niederländerin Jeanne Immink. Kleine Randbemerkung: Die ehrgeizige Kletterpionierin war auch die erste Frau, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Kletterhosen auf Berge stieg und kam vor allen anderen auf die Idee, ihren Kopf gegen Steinschlag zu schützen. Dennoch sollte es nach Imminks ersten Gehversuchen einige Jahrzehnte und weitere Prototypen dauern, bis das erste, echte Sitzgurt-Modell auf den Markt kam. In den späten 60er-Jahren ertüftelten findige Köpfe des britischen Unternehmens Troll den Whillans Sit Harness, der für die Süd-Erstbegehung der Annapurna entwickelt wurde. Dessen grundlegende Form hat bis heute überdauert. Sämtliche Klettergurte beruhen auf diesem Urtyp, der aus Hüftgurt, Bein- und Einbindeschlaufe fürs Seil besteht.

Hüft- und Brustgurt

An dieser Stelle sei erwähnt, dass die klassische Hüftgurt-Form keineswegs die einzige ist, die im Bergsport eingesetzt wird. Als Ergänzung können auch Brustgurte benutzt werden. Diese werden gemeinsam, aber niemals alleine, mit dem Hüftgurt getragen. Zudem gibt es Kombigurte, die beide Typen miteinander verbinden. Diese Modelle sind dann sinnvoll, wenn der Körperschwerpunkt höher liegt. Das ist bei Kindern aus anatomischen Gründen der Fall, kann aber auch bei Erwachsenen vorkommen, wenn beispielsweise ein schwerer Rucksack getragen wird. Die höher angelegte Position des Sicherungsseils im Brustbereich verhindert dabei ein mögliches Kopfüberdrehen bei einem Sturz. Ein Brustgurt dient auch dem subjektiven Sicherheitsempfinden, vor allem bei Anfänger*innen. Dahingegen ist ein Sturz sowie die Hängeposition in einem Brust- respektive Kombigurt relativ unangenehm und auch die eingeschränkte Bewegungsfreiheit ist ein Grund, warum bei sportlichen Klettereien fast ausschliesslich der klassische Hüftgurt eingesetzt wird.

Für Kinder am besten geeignet: Ein Kombigurt.

Teiles eines Klettergurtes

Generell besteht der typische Kletter- oder in diesem Fall spezifisch der Hüftgurt aus mehreren Teilen, die alle ihren individuellen Zweck erfüllen. Der Kern bildet der Taillengürtel, der in unterschiedlichen Breiten und Polsterungen über dem Becken sitzt. Der Gegenpart sind die Beinschlaufen. Diese sitzen knapp unterhalb des Gesässes, im Idealfall haben sie etwa zwei Fingerbreit Spielraum. Je nach Modell können der Taillengürtel und die Beinschlaufen in ihrem Umfang verstellt werden. Dies geschieht bei modernen Klettergurten meistens mit sogenannten Slide-Bloc-Schnallen, die simpel und sicher zu bedienen sind. Eine automatische, doppelte Sicherung ist dabei garantiert. Je mehr, im Maximalfall sind es vier, dieser Schnallen vorhanden sind, desto präziser kann der Gurt eingestellt werden. Dies schlägt sich jedoch negativ aufs Gewicht und die Agilität nieder.

Die einzelnen Bestandteile eines Klettergurtes.

Materialschlaufen oder Gear Loops sind, wie der Name es erahnen lässt, Schlaufen, an denen Zusatzmaterial angehängt werden kann. Sie kommen in unterschiedlicher Grösse daher und befinden sich harmonisch seitlich am Taillengürtel – übrigens ein Indiz dafür, dass ein Gurt die richtige Grösse hat. Hierbei sind kleine Unterschiede absolut relevant, so gibt es Schlaufen, die formgepresst und starr, sowie andere, die schlaff sind. Erstere stehen vom Gurt ab, sodass sie leicht und schnell zugänglich sind. Letztere hingegen sind für sekundäres Material geeignet.

An den Materialschlaufen lassen sich Karabiner, Exen, mobile Sicherungen, Eisschrauben und weiteres befestigen.

Wenn geklettert wird, wird das Seil an einem Gurt durch zwei Einbindeschlaufen gezogen. Eine befindet sich an der Taille, die andere an den Beinen. Zwischen diesen beiden befindet sich die Sicherungsschlaufe. Sie stellt den stärksten Punkt am Klettergurt dar. An ihr werden Sicherungsgeräte und -karabiner angebracht.

Moderne Klettergurte haben – wie viele andere Bergsportausrüstung auch – einen enormen Entwicklungssprung hinter sich. Nebst technischen Aspekten, wie der der Verwendung von hochtechnischen Materialien, haben sich vor allem unterschiedliche Einsatzzwecke herauskristallisiert. Hier lassen sich die grössten Unterschiede ausmachen, denn den Gurt für alles gibt es streng genommen nicht. Eine effiziente Herangehensweise, ein passendes Modell zu finden, basiert demnach auf der Überlegung, für welche Sportart es genutzt wird.

Ein leichter Hochtourengurt.


Verschiedene Klettereien, unterschiedliche Gurte

Fürs Indoor- und Sportklettern eignet sich ein leichter, aufs Wesentliche reduzierter Gurt. Da die Kletterei in der Regel an fix eingerichteten Routen stattfindet, sind Materialschlaufen am Taillengürtel eher sekundär. Auch auf verstellbare Beinschlaufen kann verzichtet werden, da ein Kleidungswechsel in der Route – beispielsweise von leichter, kurzer Hose zu dicker Wetterschutzhose – kaum relevant ist. All das macht den Gurt agil und komfortabel, auch bei geringer Polsterung an Hüfte und Beinen. Dieser Typ von Klettergurt eignet sich übrigens – nebst Hochtouren- und vielseitigen Allround-Gurten mit vier Schnallen - auch bestens für Klettersteige.

Beim Trad-Climbing, wenn nebst Exen auch Keile, Cams und Co mitgetragen werden müssen, werden Materialschlaufen wichtig. Mindestens vier davon sollten es definitiv sein. Eine zusätzliche Polsterung hilft zudem, lange Tage in der Wand angenehm zu gestalten. In eine ähnliche Kerbe schlagen Gurte für Mehrseillängenprojekte. Hier ist noch ein System, das den Druck gleichmässig auf eine breite Fläche verteilt oder ein Ticken mehr Polsterung gerne gesehen. Diesbezüglich gibt es verschiedene Lösungsansätze. Ausserdem sind verstellbare Beinschlaufen ein Muss, falls in der Wand weitere Kleidungsschichten angezogen werden müssen. Mit mindestens vier Materialschlaufen sollte man auch hier losziehen, wobei allenfalls eine Schleppschlaufe, die sich hinten am Gurt befindet, praktisch sein kann. An ihr kann beispielsweise ein zusätzliches Seil oder weitere Ausrüstung, die nicht viel gebraucht wird, befestigt werden.

Das Maximum an Gurt-Features lässt sich im Big-Wall-Climbing finden. Dies beruht vor allem darauf, weil bei den ganz grossen Begehungen weniger die athletische Kletterei, sondern das Fortbewegen mit Schlaghaken, Trittleitern und Seilklemmen relevant ist. Die Materiallast müssen Gürtel für die Big Wall aushalten können, daher weisen sie oft zwischen sechs und zehn Materialschlaufen auf. Eine breite, ausgezeichnete Polsterung sorgt dafür, dass diese Modelle über mehrere Tage getragen werden können.

Auf der anderen Seite des Spektrums befinden sich Klettergurte für den Wettkampf. Wer voll auf Performance setzt, braucht ein Modell, das möglichst leicht und agil ist. Hier wird auf Polsterung und Materialschlaufen grösstenteils verzichtet, die Bauweise ist bewusst minimalistisch gehalten.

Einen Sonderstatus haben Gurte für Hoch- und Skitouren. Hier ist ein bequemes Sitzen und Stürzen sekundär, da darin meist in nicht-vertikalem Gelände gegangen wird. Ein geringes Gewicht und Packmass sind für ausdauernde Touren wichtiger. Zudem sind bei Tourengurten die Beinschlaufen so konzipiert, dass sie komplett geöffnet werden können, um den Gurt mit Skischuhen oder Steigeisen an- respektive auszuziehen.


Lieblingsgurt finden und pflegen

Wer nun auf einen bestimmten Typus Klettergurt schielt, sollte nicht losziehen und das erstbeste Modell kaufen. Die Devise heisst anprobieren. Wenn der Gurt den persönlichen alpinen Einsatzzwecken entspricht und optisch korrekt sitzt, sollten darin erst einige Schritte gegangen und im freien Hängen sowie hängend mit den Füssen an einer Wand getestet werden. Fühlt sich der Gurt bequem an? Rutscht er beim Hängen nicht zu den Rippen? Dann ist das richtige Modell gefunden.

Zudem gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die sich vor allem in der Form des Taillengürtels und dem Abstand von diesem zu den Beinschlaufen auszeichnen. Klettergurte werden übrigens mit der europäischen Norm für Bergsteigerausrüstung (EN 12277) nach verschiedenen Typen und entsprechenden Anforderungen zertifiziert.

Um den Zustand des Gurtes einschätzen zu können, sollte er vor und nach jedem Gebrauch auf Abnutzungserscheinungen oder Schäden kontrolliert werden. Ein besonderes Augenmerk gilt auf offenen Nähten, Abrieben, Schnitten oder Löchern. Auch beschädigte Metallschnallen sind kritisch. Im Zweifelsfall wird der Klettergurt entsorgt, denn bei Sicherheitsmaterial gibt es keine Grauzone. Auch noch vermeintlich intakte Ausrüstung sollte nach rund drei bis vier Jahren bei normaler Benutzung und guter Pflege ersetzt werden.

Ein abgenutzter Klettergurt, der entsorgt werden muss.

Beherzigen sollte man darüber hinaus die Reinigung und Lagerung des Materials. Wer seinen Klettergurt sauber und trocken hält, vor direkter Sonneneinstrahlung und schädlichen Materialien wie ätzender Flüssigkeit schützt und lagert, wird ihn länger nutzen können. Doch noch Fragen? Wir helfen weiter und beraten euch gerne in einer unserer Filialen.

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