Seit Jahren erleben Klettersteige einen Höhenflug. Als der erste seiner Art – der Tälli-Steig anno 1993 – vor bald drei Jahrzehnten das alpine Licht der Welt erblickte, wurden etliche Kilometer Stahlseile und unzählige Tonnen Eisenmaterial in den Alpen verbaut. Die Erfolgsgeschichte lässt sich mitunter dadurch erklären, dass Klettersteige einen relativ leichten Einstieg ins vertikale Gefilde erlauben. Daher haben die Metallrouten auch einen touristischen Wert, was nicht selten von den ansässigen Destinationen und Bergbahnen erkannt wird. Sie bauen mit Vor-Ort-Miete des kompletten Equipments weitere Hürden in die senkrechte Welt ab.
All dies begünstigt den Bau von Plaisir-Routen, die tatsächlich ohne grosse Klettererfahrung erklommen werden können und für waschechtes Alpinfeeling sorgen. Einige davon haben wir bereits vor einiger Zeit in unserem Blog vorgestellt. Äusserst wichtig an dieser Stelle: Auch vermeintlich einfache Klettersteige bergen reelle Gefahren, denen mit ernstzunehmenden Regeln und Vorbereitungen entgegengewirkt werden muss. Auch dazu haben wir einen umfangreichen Beitrag publiziert.
Als Quasi-Gegentrend oder schlichtweg als logische Weiterentwicklung entstanden jedoch nicht nur Anfänger-Routen, sondern auch echte Herausforderungen am Stahlseil. Gerade in unseren Nachbarländern – allen voran in Österreich – gibt es einen Trend an extrem schwierigen Routen. Stellvertretend für diese Tendenzen stehen die Routen Extraplomix auf Gran Canaria oder der Bürgeralm-Steig nördlich von Graz. Dort und an vielen weiteren Beispielen wird das Thema Klettersteig ad absurdum geführt und die Frage, ob nicht besser eine knackige Sportkletterroute oder Mehrseillängentour hätte eingerichtet werden können, ist durchaus berechtigt. In der Schweiz gibt es solche bizarren Superlative jedoch nicht. Dennoch: Schwierige Klettersteige existieren auch hierzulande. Die lohnenswertesten stellen wir euch in diesem Beitrag vor.
Klettersteig Fürenwand
Im Blickfeld von Titlis und Gross Spannort liegt der Hundschuft, der südwestlich in einer massiven Felswand abfällt. Hierdurch führt der Klettersteig Fürenwand. Von der Talstation der Fürenalpbahn ist es ein kurzer Fussmarsch bis zum Einstieg in einem kleinen Wäldchen. Und schon hier macht der Steig keine Gefangenen: Zwar ist die Route mit überdurchschnittlich viel Eisen versehen, der Verlauf ist aber bis auf wenige Ausnahmen in mehr oder weniger vertikalem Gelände. Nur auf einem kleinen Wiesenband etwas über der Hälfte der Tour kann auf festem Untergrund gegangen werden. Technisch ist die Fürenwand nicht besonders speziell, es ist mehr der Kraftaufwand, der nicht unterschätzt werden darf – ausgeschlossen davon ist eine Querung durch ein oft nasses Felsband, das einen sicheren Tritt voraussetzt. Die Fürenwand ist vor allem psychisch eine Herausforderung. Auf den über 500 Höhenmeter, die überwunden werden müssen, befindet sich unter den Füssen oft nur Luft. Das macht sich vor allem im letzten Abschnitt, der über eine freihängende und wackelige Hängeleiter führt, bemerkbar.
- Schwierigkeit: K4 bis K5
- Eigenschaften: Kraftraubend, oft sehr ausgesetzt.
- Highlights: Blick auf die spektakuläre Wand und das Engelbergertal, freihängende Strickleiter im Schlussteil.
- Einstieg: Via Engelberg zur Talstation der Fürenalpbahn, von dort 10 Minuten Gehzeit bis Herrenrüti.
- Ausstieg: Via Fürenalpbahn oder Bergwanderweg via Fürrenwald.
Klettersteig Jegihorn
Hier wird im Angesicht von mächtigen 4000ern geklettert. Das Jegihorn thront über Saas-Grund und steht seinerseits im Schatten des Lagginhorns und Weissmies. Am rötlichen Fels schlängelt sich dort ein abwechslungsreicher und dennoch puristischer Klettersteig empor. Für den Einstieg müssen die Beine von der Bergstation Kreuzboden aus warmgelaufen werden, danach folgt eine gut abgesicherte aber mit konservativ gesetzten Eisenelementen versehene Via Ferrata. Dabei orientiert sich die gesamte Route aneiner logischen Linie und erinnert mehr an alpine Kraxeleien als an eine geführte Stahlseil-Tour. Das führt dazu, dass viel mit dem Fels gearbeitet werden kann und dabei eine effiziente Klettertechnik zum Zug kommt. An und für sich ist die Route nicht per se schwierig – allerdings bietet der Schlussteil Nervenkitzel pur. Hier gibt es eine Alternativroute, die über einen tiefen Schlund auf einer sehr rudimentären Hängebrücke und danach in einem knackigen Endspurt durch anspruchsvolles Gelände auf den Gipfel führt.
- Schwierigkeit: K4 – K5
- Eigenschaften: Technisch, in der Alternativroute psychisch fordernd
- Highlights: Viele verspielte Klettereien am Fels, imposante Hängebrücke und grandiose Aussicht vom Jegihorngipfel.
- Einstieg: Ab Saas-Grund mit der Gondel nach Kreuzboden, von dort auf einem Bergwanderweg in etwa 30 Minuten und einigen Höhenmetern zum Start.
- Ausstieg: Via dem alpinen Wanderweg vom Gipfel zurück zur Bergstation Kreuzboden.
Klettersteig Allmenalp
Tief im Kandertal befindet sich der Klettersteig Allmenalp. In wenigen Minuten von Kandersteg aus erreichbar finden hier fortgeschrittene Ferratisti einen äusserst kreativen Steig. Einerseits gestaltet sich die Routenführung, die sich rund und über die Wasserfallstufen des Allmibachs windet, enorm abwechslungsreich; das macht den Klettersteig oft naturgewaltig. Unterstrichen wird das Ganze von teils ausgesetzten Klettereien an mächtigen Pfeilern und entlang überhängender Wände. Andererseits bietet der Aufstieg zur Allmenalp durch und durch verspielte Elemente. Von Drehleitern über Nepalstege bis zur optionalen Tyrolienne ist hier fast alles vorhanden. Mal wird kräftig vorangegangen, mal ist eine saubere Technik nötig. Verschnaufpausen gibt es einige, aber an kniffligen Stellen mangelt es nicht – der Steig wurde von den selben Brüdern gebaut, die auch für den Leukerbadner Klettersteig verantwortlich sind. Der relativ hohe Schwierigkeitsgrad kommt also nicht von ungefähr.
- Schwierigkeit: K4
- Eigenschaften: Verspielt, landschaftlich sehr abwechslungsreich.
- Highlights: Nepalstege, Drehleiter mit Querung im Überhang, zwei Tyrolienne.
- Einstieg: Von der Luftseilbahn Kandersteg in wenigen Minuten zu Fuss in einfachem Gelände.
- Ausstieg: Mit der Bahn ab dem Berggasthaus Allmenalp oder via einem längeren Wanderweg übers Hellhore ins Tal.
Klettersteig Sulzfluh
Weg vom Schuss. Die Sulzfluh ist ein markanter Berg der Rätikon-Gruppe an der Grenze zu Österreich. Der Klettersteig, der durch die Südwand führt, hat dabei einen einsamen Charakter. Er ist in einem etwa eineinhalbstündigen Marsch von der Partnunstafel erreichbar. Der Aufstieg gestaltet sich abwechslungsreich und wir mit jedem überwundenen Höhenmeter exponentiell schwieriger. Dabei gestaltet sich der Klettersteig sehr harmonisch mit abwechselnd kräfteraubenden Stellen und kreativen Elementen. Manchmal in der Direttissima über Leitern gen oben, manchmal mehr ins Gestein integriert – teilweise mit einigen exponierten Passagen. Nicht zu unterschätzen sind nebst dem höhenmeterintensiven Einstieg auch der etwas längere Abstieg. Das Gesamtpaket an Kondition stellt hierbei durchaus gerechtfertigte Anforderungen.
- Schwierigkeit: K4 (kurze Stellen K5)
- Eigenschaften: Kräftig, Ausdauernd
- Highlights: Quergänge auf fast senkrechten Plattenschüssen, Weitblick übers Prättigau, weitere Klettersteige in der nahen Umgebung (Klettersteig Partnunblick, Familien-Klettersteig, beide aus dem Gemschtobel erreichbar).
- Einstieg: Nördlich ab der Partnunstafel auf einem Wanderweg über etwa 700 Höhenmeter.
- Ausstieg: Vom Gipfel der Sulzfluh auf einem Wanderweg durch das nördlich gelegene Gemschtobel zurück zur Partnunstafel
Klettersteig Le Moléson (La Face)
Auch die Voralpen bieten Klettersteige, die es in sich haben. Der Moléson, Hausberg des Greyerzerlandes, bietet gleich mehrere Routen auf den Gipfel – die Via Ferrata du Pillier und die Via Ferrata de la Face. Beide befinden sich in der eindrücklichen Nordwand, während letztere den schwierigeren Grad aufweist. Böse Zungen behaupten, dass vor allem die La-Face-Variante eine einzige Hauruck-Aktion ist. Zu gewissem Masse stimmt das auch, die Routenführung ist primär auf Kraft ausgelegt. Und auch wenn viel Eisen verbaut wurde, geht der kurze Aufstieg tatsächlich in die Arme – und in den Kopf, wenn man sich im Schlussaufstieg für das Le-Surplomb-Teilstück entscheidet. Hier wird im Überhang geklettert, teils in sehr luftigen Höhen. In relativ kurzer Zeit ist der Kraftakt geschafft. Das Schöne daran: Bei genügend Zeit einfach mit der Bahn runterfahren, nochmals einsteigen und die anderen Varianten ausprobieren. Eine kleine, nicht unbedeutende Bemerkung: Der Moléson ist grösstenteils nach französischem Vorbild gesichert, sprich mit einem schlappen Stahlseil. Das bietet mehr Bewegungsfreiraum, kann aber für manche auch zur psychischen Herausforderung werden.
- Schwierigkeit: K5
- Eigenschaften: Sehr physisch, direkt, exponiert, französisch gesichert.
- Highlights: Mehrere verschiedene Varianten möglich, grandioser Weitblick über die Waadtländer Alpen.
- Einstieg: Ab Plan-Francey auf kurzem Wanderweg zum Einstieg in der Nordwand (Achtung: Die Klettersteige auf den Moléson sind kostenpflichtig, bitte bei der Station die nötigen 4 Franken bezahlen).
- Ausstieg: Via der Moléson-Luftseilbahn oder über den Bergwanderweg zurück nach Plan-Francey.
Klettersteig Via Farinetta
Die Via Farinetta ist ein etwas eigenartiger Klettersteig. Benannt nach einem legendären Falschmünzer liegt die Route in der wilden Schlucht de la Salentse im Wallis. Dort hängelt man sich im Quergang durch die Wand. Der Clou daran: Die Route ist in drei Teile gegliedert, die sich kontinuierlich in der Schwierigkeit steigern. Dabei gibt es jeweils Ausstiegsvarianten, falls die Arme oder der Kopf nicht mehr mitmachen. Gerade der letzte Teil ist heftig und mitunter etwas vom Anspruchsvollsten, was die Schweiz in Punkto Via Ferrata zu bieten hat. Trotz aller Anstrengungen ist die Via Farinetta keine Mammutaufgabe. Geübte Klettersteiggeher*innen sind in einer guten halben Stunde mit dem letzten Teil fertig. Im wortwörtlichen Sinn.
- Schwierigkeit: K3 – K6
- Eigenschaften: Sehr kräfteraubend, exponiert und technisch anspruchsvoll (auf den dritten Teil bezogen).
- Highlights: Quergang durch eine Schlucht, dreiteilig mit Ausstiegsvarianten, letzter Teil gehört zum härtesten, was die Schweiz bietet.
- Einstieg: Von Saillon über einen einfachen Wanderweg.
- Ausstieg: Via einem teilweise gesicherten Pfad hinab zur Passerelle à Farinet.
Klettersteig Leukerbad
Das Magnum Opus der Schweizer Klettersteige. Die Via Ferrata durch die mächtige Daubenwand bei Leukerbad sucht definitiv ihresgleichen. Rund 900 Höhenmeter, durchgehend auf sehr forderndem Niveau und quasi permanent exponiert. Der erste Teil hat es bereits in sich. Auf etwa dreiviertel des Weges von Leukerbad zur Gemmibahn-Bergstation beginnt eine lange Querung bis zur oberen Gemsfreiheit. Allein dieses Stück befindet sich meistens im K5-Bereich. Wer auf der Gemsfreiheit keine Puste mehr hat, sollte definitiv die Ausstiegsvariante wählen, denn der zweite Teil ist nochmals einen ordentlichen Ticken anspruchsvoller. Kräftezehrende Passagen in fast durchgängig vertikalem Gelände, schwindelerregende Übergänge und technisch knifflige Teile machen die Gemmiwand definitiv zum heiligen Gral der hiesigen Klettersteige. Wer die bergsportliche Herausforderung nicht scheut, wird dafür mit einem wunderschönen Steig belohnt, der mit spektakulären Teilstücken auf sich wartet – unter anderem führt die Route durch eine Höhle und hat mit dem fakultativen Via-Konst-Abzweiger weit und breit den wohl grössten Luftleerraum unter den eigenen Füssen. Für einen gemächlichen Aufstieg werden rund 8 Stunden benötigt. Wir waren übrigens bereits in der Wand, einen Tourenbericht gibt es auf unserem Blog.
- Schwierigkeit: K5 – K6
- Eigenschaften: Äusserst kraftintensiv, meistens sehr exponiert, technisch anspruchsvoll.
- Highlights: Längster und schwierigster Klettersteig der Schweiz, Aufstieg in einer Höhle, totale Exponiertheit auf der Variante Konst.
- Einstieg: Entweder zu Fuss von Leukerbad auf dem Wanderweg Richtung Gemmibahn Bergstation oder von dieser in kurzem Abstieg auf selbigem Weg.
- Ausstieg: Vom Daubenhorn westlich via einem Geröllfeld hinunter auf den Lämmerenboden und von dort auf dem Wanderweg zum Gemmipass, von wo die Bergbahn zurück nach Leukerbad fährt.
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