Was bezeichnet man überhaupt als Klettersteige? Vie Ferrate (italienisch für »Eisenwege«) oder Klettersteige sind sportlicher als Wanderungen und sicherer als freies Klettern. Sie zeichnen sich durch meist vertikale Strecken aus, deren Aufstieg durch Metallleitern und -sprossen erleichtert wird. Ein Drahtseil, das in der Felswand befestigt ist und mit dem die Ferratistinnen und Ferratisten ständig verbunden sind, sorgt für Sicherheit beim Aufstieg.
Der Klettersteigführer Via Ferrata stellt 30 atemberaubende Routen für alle Niveaus vor. Sechs davon sind im Buch als Familienrouten gekennzeichnet und sind mit älteren Kindern ab ca. 10 Jahren zu meistern. Drei davon stellen wir euch hier vor.
Piz Trovat – für die sportliche Familie
Auf dieser 2 Stunden langen Route startet ihr auf einer Höhe von 2913 Meter und endet auf 3145 Meter, und legt somit einen Höhenunterschied von 270 Meter zurück. Es gibt zwei mögliche Wege, die ihr dabei nehmen könnt: Der erste Weg hat die Schwierigkeitsstufe K3 (eher schwierig), der zweite Weg hat die Stufe K5 (sehr schwierig).
Auf dieser aufregenden und doch ziemlich anspruchsvollen Route, könnt ihr beobachten, wie sich die beiden Gletscher Morteratsch und Pers vereinen und hört sogar während des Parcours, wie das wertvolle Lebenselixier unter dem Eis fliesst.
Auch wenn ihr den Klettersteig nicht in Angriff nehmen wollt, könnt ihr mit der Seilbahn von der Station Bernina Diavolezza aus ein wundervolles Panorama erreichen.
Bei dieser Route werden zwei Wege angegeben, da der mit K5 angegebene nicht für Familien geeignet ist. Dieser setzt viel Kraft und lange Arme voraus. Aber auch die K3 eingestufte Route bietet viel Abenteuerfreude für die ganze Familie. Ihr könnt zum Beispiel über eine Hängebrücke gehen. Die beiden Kletterrouten führen zum gleichen Ausstieg und bieten das gleiche Panorama. Alle, die sich auf der schweren Route nicht wohlfühlen, verpassen also nichts vom Spektakel.
Partunblick – für die gemütliche Familie
Diese Via Ferrata schmiegt sich in ein Tal am Rand der Schweiz. Direkt dahinter liegt Österreich. Übrigens erinnern die Berge hier schon an die Dolomiten und man könnte sich fast in Südtirol wähnen. Nur ist es hier friedlicher, denn die Autos haben kein Bürgerrecht: Sie sind auf die Parkplätze P1 bis P8 beschränkt, die entsprechend ihrer Nähe zu den Gipfeln und zum Fuss der majestätischen Sulzfluh nummeriert wurden.
Von Landquart aus fahrt ihr in Richtung Davos bis nach Küblis. Dort fahrt ihr die Serpentinen hoch, die nach St. Antönien führen. Nach etwa zwanzig Minuten Fahrzeit kommt ihr zu den ersten Parkplätzen, die vorhin erwähnt wurden. Es ist auch möglich, mit dem Postauto
hinaufzufahren. Das ist empfehlenswerter und viel praktischer. Am Ende der Strasse folgt ihr dem ausgeschilderten Pfad in Richtung Familien-Klettersteig Partnunblick, nicht zu verwechseln mit dem Klettersteig Partnunblick, der weniger familienfreundlich ist.
Wir haben diese Via Ferrata gewählt, weil sie eine besonders zugängliche Variante zum Üben ist. Es gibt nichts Besseres für Einsteigerinnen und Einsteiger: ein sehr sicherer und gut ausgeschilderter Zustieg, Sprossen zur Genüge und ein durchgehendes Drahtseil, mit
dem man sich auf dem gesamten Parcours sicher fühlt. Am Einstieg sorgt im Sommer eine Höhle für willkommene Frische und es gibt eine Bank, wo man sich eine Pause gönnen kann. Auf dem oberen Teil könnt ihr das Karrenfeld bestaunen – geologische Formationen mit wellenförmigen Schlitzen im Kalkstein.
Der Haken ist, dass diese Via Ferrata zweifellos zu leicht ist, wenn ihr nicht blutige Anfänger oder Anfängerinnen seid. Das Panorama ist aber dermassen schön, dass man noch mehr davon haben möchte. Trifft sich gut! Auf dem Gipfel der Route könnt ihr an die richtige
Via Ferrata Partnunblick anknüpfen oder sogar noch besser: an den Sulzfluh-Klettersteig, der seinen höchsten Punkt auf 2817 Metern hat. Eigentlich ist er ein riesiges, südlich ausgerichtetes Spielfeld, das nur darauf wartet, entdeckt zu werden. Es gibt etwas für jedes Niveau.
Auf dem Gipfel des Familien-Klettersteigs könnt ihr entweder auf der langen Variante weiterklettern oder umkehren. Der erste Teil des Rückwegs ist eher steil, aber ebenfalls sehr gut ausgeschildert und ausgestattet – insbesondere die Ketten an den steilsten Stellen sind beruhigend. Dann nimmt der Weg wieder seine angenehme und sanfte Steigung auf und quert sattgrüne Weiden. Wenn ihr die Augen offen haltet, könnt ihr Murmeltiere beobachten, die dieses kleine Stück Paradies zu ihrem Reich gemacht haben.
Das Berghaus Sulzfluh, ein altes Chalet mit blauen Fensterläden, verspricht eine nostalgische Erfahrung bei Kerzenlicht in alten Kammern (ihr könnt dennoch eure Handys aufladen). Zusätzlich zu seinem Charme vergangener Zeiten ist es perfekt gelegen, um von dort aus die Region zu erforschen und die unterschiedlichen Vie Ferrate auszuprobieren, die sich auf den Gipfeln aneinanderreihen. Dies aber ohne den Stress, das letzte Postauto erwischen zu müssen.
Hexensteig – für die verspielte Familie
Um die Hexenhöhle der idyllischen Urschweiz zu erkunden, startet ihr auf einer Höhe von 1680 Meter und beendet die Route auf 1760 Meter. Diese 1-stündige Route ist als eher schwierig eingestuft (K3), da die Beine stark beansprucht werden und es bei der Höhle durch die feuchten Stellen schnell mal rutschig werden kann. Die Strecke ist sehr verspielt, an manchen Stellen ist sie für Kinder aber doch anspruchsvoll.
Inmitten von friedlich weidenden Kühen und Blumenwiesen taucht eine Felsspalte auf, welche euch in die Hexenhöhle mit hinein nimmt. Ihr findet einen Parkplatz beim Bahnhof Silenen in der Nähe der Talstation. Bereits die Fahrt zum Ausgangspunkt ist ein Abenteuer für sich: Die Luftseilbahn Chilcherberge ist ein Lastenaufzug für maximal vier Personen und wird von einem Bauern bedient. Bei windigem Wetter ist diese Seilbahn aber nicht in Betrieb.
Die Via Ferrata ‘Hexensteig’ ist sehr originell, da sie sehr verspielt ist. Sie beginnt mit einer Tyrolienne, geht über Baumstämme und vorbei an einer Oase. Sitzend auf einer hängenden Bank kann man die Beine baumeln lassen. Auch diese Via Ferrata ist mit Wandern verbunden. Bevor ihr nämlich zum Einstieg kommt, müsst ihr circa eine Stunde marschieren, was ein wenig anstrengend sein kann. Auch der Abstieg nach der Route kann sich in den Knien bemerkbar machen und die Konzentration muss immer noch behalten bleiben.
Wer möchte, kann nach dieser Route noch eine halbe Stunde Richtung Seewli wandern, denn dort schimmert ein schöner türkisfarbener Bergsee.
Im Buch Via Ferrata finden sich noch viele weitere Routen, und ebenso gibt es genauere Informationen zu den drei Touren, die hier abgekürzt vorgestellt wurden.
Text: Florian Müller
Fotos: Sébastien Anex
ISBN: 978-3-03964-011-9
Erschienen im April 2023
© 2023 Helvetiq
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