Als Albert Frederick Mummery zum dritten Mal auf der Aiguille du Grépon stand, prägte er scherzhaft die drei Stadien eines jeden Berges: «Ein unersteigbarer Gipfel – die schwierigste Route in den Alpen – an easy day for a lady». Hintergrund dieses wunderbaren Ausspruchs war, dass die stolze Granitnadel über Chamonix im 19. Jahrhundert jahrelang vergeblich versucht wurde. Bis zum 5. August 1881, als Mummery, geführt von den Schweizer Bergführern Burgener und Venetz, als erster den Gipfel des Grépon erreichte. Nur wenige Jahre später führte Mummery zwei der ersten fünf Wiederholungen durch, diesmal als Erster am Seil. Die Leichtigkeit, mit der Miss Bristow, eine seiner Seilpartnerinnen in jenen Tagen, die Schlüsselstelle der Tour, eben den «Mummery- Riss» meisterte, könnte den o.g. Ausspruch geprägt haben. Zumal Miss Bristow auch noch einen der damals unglaublich unförmigen Fotoapparate durch die Tour mitschleifte, und damit Mummery in seinem berühmten Riss für die Ewigkeit festhielt. Andererseits schrieb Mummery nur wenige Zeilen später, dass er die Route als eine der Schwierigsten betrachte, die er jemals gemacht habe. Was also erwartet einen bei der Überschreitung von Grands Charmoz und Grépon? Fakt ist, dass die Erstbesteigung des Grépon den Beginn einer neuen Entwicklung im Alpinismus darstellt. Mit der Begehung des Mummery-Risses wurden Schwierigkeiten bewältigt, die man bis dato nicht für vorstellbar hielt. Steckt man heute im ebenso abweisenden wie berühmten Mummery-Riss, kann man sich wiederum nicht vorstellen, wieso dieser Riss früher nur mit dem IV. Grad bewertet wurde. «Gefühlt 6b», orakelte ein Begeher nach vollbrachter Tat. Letztlich ist der Mummery- Riss aber nur der Höhepunkt der Tour; das i-Tüpfelchen in einem der schönsten und komplettesten Wege im gesamten Mont-Blanc-Gebiet. Charmoz-Grépon – eigentlich nur zwei kurze Worte. Und doch spiegeln sie die ganze Welt des Alpinismus oberhalb von Chamonix wieder. Die Bondasca: Ein Tal von herber, nordisch anmutender Schönheit oberhalb von pittoresken Dörfern, mit wundervollen Kastanienhainen und einem Hauch mediterranen Charmes. Zentraler Blickpunkt im Kranz seiner Umrahmung ist natürlich der berühmte Piz Badile, aber die Natur hat auch einen zauberhaften Kontrapunkt gesetzt: Die Nadeln und Türme der Sciora- Gruppe. Sciora Dafora, Punta Pioda, Ago di Sciora. Und dazwischen der höchste Berg der Gegend: der Piz Cengalo. Der hat in den letzten Jahren leider mehrfach für negative Schlagzeilen gesorgt, zuletzt 2017.
Am 23. August brachen über 3 Millionen Kubikmeter Gestein aus einer instabilen Zone der Nordwand, Muren verwüsteten das gesamte Bondasca-Tal. Acht Menschen gelten seitdem als vermisst. Dieses Ereignis hat das Leben im Bergell nachhaltig verändert. Der Piz Cengalo ist noch immer nicht zur Ruhe gekommen, die Zufahrtsstrasse ins Tal ist zerstört und die beiden Ausgangshütten für sämtliche Kletterrouten im Gebiet, die Sasc-Furäbzw. die Sciora-Hütte, sind bis auf weiteres geschlossen. Ob sich das 2019 ändern wird, ist derzeit unklar. Und somit ist auch der Zustieg zu unserer Route an der Sciora Dafora im Moment nur über das Albigna-Tal und den Cacciabella-Pass möglich. Und sie erfordert ein Biwak. Wer diese Mühen auf sich nimmt, darf sich auf die vielleicht spektakulärste Kante der Alpen freuen. Der untere Teil wurde 1998 durchgehend mit Bohrhaken eingerichtet. Man umgeht damit einen weiteren Bergsturz, der Ende der 60er-Jahre die ursprüngliche Route verwüstete. Weiter oben wird die Hakendichte deutlich geringer, dafür warten einige sehr luftige Kletterstellen auf den Vorsteiger. Nur mit Samtpfoten mag man sich dort festhalten, denn genau von hier lösten sich damals die jetzt im Tal befindlichen Felsbrocken. Ein mulmiges Gefühl, denn selten wird einem so drastisch vor Augen geführt, dass auch der jüngste Granit der Alpen (mit 30 Millionen Jahren) vergänglich ist. Schaut man auf eine Karte der Alpen, fällt der Blick aller Wahrscheinlichkeit nach ohne grosse Umschweife auf das Gross Furkahorn. Nicht, dass es als solches irgendwie markiert wäre und man es damit einwandfrei lokalisieren könnte, nein – dafür ist der Berg nicht bedeutend genug. Aber das Furkahorn hat einen Vorteil – es liegt nämlich mittendrin. Heisst, von seinem Gipfel kann man so ziemlich alles, was Rang und Namen hat, prima erkennen. Vom Finsteraarhorn über die Walliser Riesen bis hin zum nahe gelegenen Galenstock macht das Gipfelpanorama (besser Nadelpanorama) einiges her. Mittendrin heisst aber auch, dass sich so ziemlich jede Regenwolke, egal ob von Süden oder Norden kommend, hier entleert. Man studiere also gut den Wetterbericht, bevor man sich in die Furkaregion aufmacht. Stabiles Hochdruckwetter ist Pflicht. Scheint jedoch die Sonne, erlebt man Klettergenuss, wie man ihn angesichts des von unten etwas schrofig wirkenden Berges nicht vermuten würde. Bester Granit, wahrscheinlich vom vielen Wasser poliert, erwartet den Aspiranten. Nie wirklich schwer und voller griffiger Überraschungen. Schön auch, dass sich Berge steigern können, denn die schönsten Meter kommen zum Schluss: Die Gipfelnadel verdient ihren Namen, bietet sie doch nicht mal Platz für eine Seilschaft. Schade, denn mittendrin geniesst man die Aussicht besser zu zweit.
Wenn es einen Preis für die schönsten Klettergrate der Alpen geben würde – der «Salbit» wäre mit Süd- und Westgrat gleich doppelt unter den Top 5. Welcher ist der Schönere? Deutlich kürzer und harmonischer ist der Südgrat, eine «Symphonie in Granit», wie ihn Hans Berger einst betitelte, der ehemalige Hüttenwart der Salbithütte und Hausmeister des Gebietes. Sehr viel länger und schwerer, teils aber auch recht ruppig, ist der Salbit-Westgrat. Er wäre der Trumpf in jedem Grat-Quartett: Über 30 Seillängen, nicht wenige im VI. Grad und darüber, knapp 1400 Klettermeter und sieben Abseilstellen, verteilt auf sechs Türme. Beginnen sollte man daher in der Dämmerung. Ob man vom Biwak direkt unterhalb des Grates startet oder von der etwa anderthalb Stunden entfernten Hütte, ist Geschmackssache. Letztere bietet ein gutes Frühstück und wird beim Abstieg über den Normalweg ohnehin passiert. Ab etwa Mitte Juli gibt es im Biwak keinen Schnee mehr, das Wasser muss dann selbst mitgebracht werden.
Wach wird man gleich in der ersten Seillänge. Der siebte Grad erfordert herzhaftes Zupacken im Schein der Stirnlampe. Wer hier Schwierigkeiten hat, sollte abseilen. Danach wird es etwas gemütlicher und man erreicht den ersten Turm. Auf den zweiten gelangt man durch einen traumhaften Riss – vielleicht der edelste Teil des Gesamtkunstwerkes. Die schwierigste Stelle ist in den meisten Topos gar nicht markiert: ein kleines, ca. fünf Meter hohes Wändchen auf dem Weg zum dritten Turm. Ich persönlich kenne niemanden, der hier nicht in den optimal angebrachten Haken gegriffen hat. Höhepunkt am Salbit ist die Gipfelnadel, wo sich die beiden Grate zum absoluten Höhepunkt treffen. Wie am Furkahorn ist auch diese Nadel zu spitz für Gipfelgenuss in Zweisamkeit.
Grands Charmoz – Aiguille du Grépon
In historische Höhen
Charakter: Lang, anstrengend, und die gesamte Klaviatur des Alpinismus bespielend. Die Überschreitung von Charmoz und Grépon gehört zu den grossen Touren oberhalb von Chamonix – trotz ihrer relativ geringen Gipfelhöhe (3482 m).
Schwierigkeiten: Firn bis 45°, Stelle VI (5c), z.T. anstrengende Riss- und Verschneidungskletterei. Lang!
Ausrüstung: Doppelseil (50 m), 8-10 Expressschlingen, Bandschlingen, Satz Keile, Satz Friends (1-3), Abseilgerät.
Beste Jahreszeit: Mitte Juni bis Anfang August, zuvor liegt zu viel Schnee, danach wird der Bergschrund heikel
Abstieg: Abseilpiste vom Grepon, dann über Gletscher und Wanderweg zurück zur Midi-Bahn.
Sciora Dafora - Fuorikante
Der jüngste Granit der Alpen
Hinweis: Seit dem Bergsturz am Cengalo ist das Bondasca-Tal offiziell gesperrt!
Charakter: Herrlich ausgesetzte Kletterei an einer (gefühlt) rasiermesserscharfen Kante.
Schwierigkeiten: VII+ oder VI, A1; 21 Seillängen. Die unteren 12 Seillängen wurden 1998 mit Bohrhaken eingerichtet.
Ausrüstung: Doppelseil, 10 Expressschlingen, Bandschlingen, Satz Keile, Satz Friends, Abseilgerät.
Beste Jahreszeit: Juli bis September.
Die Tour: Die Kletterei folgt im unteren Teil den Bohrhaken. Der obere Teil ist unglaublich ausgesetzt und verläuft direkt auf der Kante bzw. etwas links davon. Schlüsselstelle ist eine Bohrhakenreihe, die mit Hilfe von Schlingen überwunden wird. Frei ist diese Seillänge mit VII+ eingestuft.
Abstieg: Der Abstieg erfolgt entweder klassisch über den Normalweg am Ostgrat und den Cacciabella Pass (lang) oder abseilend über die Via Noemi am Torre Innominata. Auch hier muss man durch Bergsturzgelände queren. Achtung! Manchmal müssen noch Schneefelder gequert werden, die Mitnahme eines Pickels erscheint ratsam.
Gross Furkahorn - Ostsüdostgrat
Himmelsleiter im Herz der Alpen
Charakter: Wunderschöne Genusskletterei in bestem Furka-Granit. Aufgrund der relativ geringen Schwierigkeiten an sonnigen Wochenenden ziemlich beliebt. Der perfekte Einstieg in die Welt der alpinen Granitgrate.
Schwierigkeiten: IV+, rund 750 Klettermeter.
Ausrüstung: Seil (50 m), 6 – 8 Expressschlingen, Bandschlingen, Satz Keile, 3 – 4 mittlere Friends (1 – 3), Abseilgerät.
Beste Jahreszeit: Anfang Juli – Mitte September.
Die Tour: Der Einstieg zum Grat befindet sich ostseitig wenige Meter rechts der Kante. Danach folgt man durchgehend der Kante. Ausnahme ist ein roter Turm nach ca. 6 Seillängen, der im Normalfall südseitig umgangen wird. Die Gipfelnadel erreicht man von Norden. Abstieg: Von der Gipfelnadel nach Süden abseilen. Anschliessend über Geröll und Blöcke zum grossen Band in der Südwand. Nochmals 40 m bzw. 20 m abseilen und über einen steilen Graspfad zum Einstieg. Anschliessend auf bekanntem Weg zurück zum Pass.
Salbitschijen-Westgrat
Trumpf im Grat-Quartett
Charakter: Der «Rolls-Royce» unter den Granitgraten, ein extravagantes Klettervergnügen für ausdauernde und schnelle Seilschaften.
Schwierigkeiten: VII, A1, ca. 34 SL. Obwohl die Tour mit Bohrhaken eingerichtet ist, definitiv kein Plaisir-Vergnügen.
Ausrüstung: Doppelseil (50 m), 10-12 Expressschlingen, Bandschlingen, Satz Keile, Satz Friends (1-3), Abseilgerät.
Beste Jahreszeit: Mitte Juni bis Anfang September. Zuvor liegt zu viel Schnee, danach werden die Tage zu kurz.
Abstieg: Auf versichertem Steig zunächst am Ostgrat und dann nach Norden zurück zur Hütte. Achtung bei Neuschnee!
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