Kalt, glatt, gefährlich: Eis- und Mixedklettern hat einen speziellen Ruf. Gute Technik und Taktik vorausgesetzt, ist Eisklettern aber nicht gefährlicher als andere Bergsportarten. Bächli-Athlet Jonas Schild zeigt im Kiental, auf was zu achten ist.
«Ins Kiental kehre ich immer gerne zurück – hier war ich als Jugendlicher zum allerersten Mal Eisklettern. Die Eisfälle sind nur ein paar Minuten von der Strasse entfernt. An diesem Januartag war es mit -15 °C sehr kalt, und während sich Fotograf Dan über das wenige Sonnenlicht ärgerte, machte ich mir Sorgen, weil es die Tage zuvor eher warm gewesen war. Schlagartige Kälte ist beim Eisklettern ungünstig, denn das Eis ist dann sehr spröde, instabil und voller Spannungen. Trotzdem starteten wir einen Versuch in ‹Elvis› (M9). An einem Tag wie diesem ist die richtige Strategie und Ausrüstung dann noch wichtiger.»
- «Gute Planung ist beim Eisklettern der Schlüssel zum Erfolg. Zum einen taktisch: Wo ist solides Eis für Eisschrauben, wo raste ich bequem? Für beides bot sich der flache Absatz über mir an. Zum anderen plane ich strategisch: Filigrane Zapfen wie hier links oben können jederzeit abbrechen – deshalb steht der Sichernde weit rechts am Wandfuss, ausserhalb der Schusslinie.»
- «Die objektiven Gefahren beginnen schon beim Zustieg. Hier ist das Gelände flach, aber nicht selten sind Zustiege zu Eisfällen stark lawinengefährdet. Im Kiental klettern häufig Kurse, dann ist viel los. Da muss man eher auf Eisschlag achten. Und die Säule hoch über meinem Kopf könnte sogar ohne Berührung zusammenbrechen, weil der starke und rasche Temperaturrückgang ihr Eis so spröde gemacht hat. Deswegen: Immer den Temperaturverlauf beachten!»
- «Beim Klettern im Fels muss man lernen, mit den Eisgeräten
zu fühlen. Das Wichtigste ist, den Pickel nach unten zu belasten, nicht nach aussen, dann reisst er schnell aus. Für gute Felskletterer ist die Physis selten das Problem. Man muss zwar lange blockieren, aber mit den Griffen der Eisgeräte ist das die Kraftbelastung einer 6b. Schwierig ist dagegen das Finden guter Hooks für die Eisgeräte. Viele Begehungen machen eine Route einfacher, denn Kratzer wie in der linken oberen Bildecke weisen dann auf Kerben hin, die zudem immer tiefer werden. Und zum Stehen findet man mit Steigeisen eigentlich immer etwas. Stichwort Absicherung: In so fragile Zapfen wie hier niemals Sicherungen setzen – wenn er sich löst, reisst er alles mit.»
- «Der Übergang vom Fels an einen Eiszapfen ist das Grösste, was es beim Eisklettern gibt! Und viel angenehmer, als es aussieht, weil man sich meist zwischen Fels und Eis einspreizen kann – eine gute Rastposition in eigentlich überhängendem Gelände. Im Vergleich zum grossen Bild links unten stehe ich recht entspannt – psychisch auch deshalb, weil neben mir ein Bohrhaken ist. Ob der Zapfen hält, kann man nie hundertprozentig sagen. Wenn er beim Einschlagen knackt und das Eisgerät die Vibration wie einen Stromschlag weiterleitet, ist das kein gutes Zeichen. Mir sind schon grössere Zapfen abgebrochen, und viel kleinere als hier kann man kaum noch anklettern. Gut zu sehen: Das rechte Eisgerät sitzt in dunklerem Eis, das mit dem Fels gut verwachsen ist. Sollte der Zapfen abreissen, bleibt dieses Eis kleben.»
- «Das Allerwichtigste beim Eisklettern ist: scharfe Pickel und Steigeisen! Das macht extrem viel aus. Am Abend vor jeder Tour feile ich meine Geräte. Das ist wie ein Ritual. Ich kenne keinen Eiskletterer mit Leidenschaft, der das nicht so macht. Das kann zwar schon mal eine Stunde dauern, bis die Waffen scharf sind. Aber mit stumpfen Geräten macht es nicht nur keinen Spass, es ist auch gefährlich, denn ich muss öfter schlagen und die Sprengwirkung ist grösser: Ein stumpfes Gerät könnte einen Eiszapfen wie den links zum Absturz bringen. Scharfes Material ist matchentscheidend. Je nach Fels- und Eisanteil gibt es unterschiedliche Hauen – meine hier ist im Eis eher schlecht, aber sehr gut zum Hooken.»
- «Die Lehrmeinung sagt: Schraube setzen zwischen Hüft- und Brusthöhe – das strengt am wenigsten an. Stimmt! Aber wenn man gut steht, macht auch das Schrauben über Kopfhöhe Sinn – etwa von einem bequemen Podest aus, oder weil sich weiter oben besseres Eis befindet. Man sollte aus dem Schrauben in Hüfthöhe kein Dogma machen.»
Eisklettern in der Schweiz
Heiss auf Eis, aber wo bitte geht’s zum Einstieg? Die Eiskletter-Cracks unter unseren Mitarbeitern hätten da ein paar Tipps …
-
Averstal
«Wenn die Boulderblöcke im Magic Wood unter dem Schnee verschwinden, wachsen weiter hinten im Tal beachtliche Eisformationen, und das mit hoher Zuverlässigkeit. Egal, ob einfache Stufen für Anfänger und Kurse oder beachtliche Mehrseillängen-Touren wie der Extremklassiker ‹Thron›, im Averstal findet jeder etwas Passendes. Auch Mixed-klettern ist möglich. Ende Januar findet in der Viamala das Eiskletterfestival ICE AGE statt, mit Vortrag von Dani Arnold. Infos über aktuelle Verhältnisse erhält man beim Gasthaus Edelweiss, 7444 Ausserferrera / GR. Tel.: 081 661 18 27.»
Führerliteratur: Urs Odermatt, «Hot Ice». Eisklettern in der Schweiz – Ost
- Eptingen
«Das Drytoolgebiet in Eptingen/Diegten ist, man glaubt es kaum, weltweit ein Impulsgeber der schwersten Mixed-/Drytoolrouten. Vor allem der Fastbasler Robert Jasper (DE) hat hier seine Spuren hinterlassen. In Eptingen findet der Alpinist nur sehr wenig Eis, dafür jedoch umso mehr gepumpte Unterarme. Empfehlenswert sind Steigeisen mit Monozacken. Eiskletterer finden nicht weit von hier die Reigoldswiler Wasserfallen. Leider kann man sie nur nach einer ca. 14-tägigen Schockkälte unter -5 bis -10 Grad klettern, was nur alle paar Jahre vorkommt. Wenn es jedoch klappt, sind diese Tage wahre Geschenke!»
- Kandersteg
«Das Top-Eisklettergebiet Europas unterteilt sich in neun Sektoren, die von WI2 bis WI8, M10 und D13 fast alle Schwierigkeitsgrade und Disziplinen abdecken. Darunter die berühmte Breitwangfluh mit ‹Crack Baby› (WI6). Anfänger sind im Sektor Stock gut aufgehoben, hier gibt es kaum objektive Gefahren und viele einfache Routen. Sehr empfehlenswert ist auch die ‹Reise im Reich der Eiszwerge› (WI5+/M6) im Sektor Oeschinenwald, der zudem auch bei Lawinengefahr sicher bleibt.»
Führerliteratur: Urs Odermatt, «Hot Ice». Eisklettern in der Schweiz – West
Photos: Dan Patitucci
Zu diesem Beitrag sind noch keine Kommentare vorhanden.
Kommentar schreiben