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Eiskletter-Erstbegehungen von Roger Schäli und Jonas Schild

Jonas Schild & Roger Schäli, Donnerstag, 16. Januar 2025

Unsere Athleten Roger Schäli und Jonas Schild fühlen sich am Berg in jedem Gelände zu Hause, doch am liebsten erkunden sie unbekanntes Terrain. Im Eis geht das besonders gut, denn wenn es sich mal bildet, ist es immer anders als zuvor. In ihren Berichten schildern Schäli und Schild ihre Eis-Highlights und geben Empfehlungen für Einsteiger und Ambitionierte.

Roger Schäli: «Ich entscheide spontan, welche Linie ich hochklettere.» 

Über das Nordwestwand-Couloir und den Nordgrat auf den Piz Güglia, Erstbesteigung im Rope-Solo (WI5+, M5+)

Gut gelaunt am Eis: Roger Schäli beim Winter-Fotoshooting (Foto: Tom Malecha für Bächli Bergsport)

Roger Schäli: «Das Routenentdecken steckt in mir drin. Für mich ist es ein Geschenk, die Berge wie durch die Augen eines Kindes zu sehen – als eine riesige Spielwiese mit unendlich vielen Möglichkeiten. Wenn ich in einen Klettergarten gehe, welchen ich nicht oder kaum kenne, klettere ich immer wieder mal gerne ohne Kletterführer. Ich lasse mich einfach von den Linien, welche mir gefallen, einladen und inspirieren. Ich liebe es auch, die Schwierigkeiten vorher selber zu schätzen. 

Genauso bin ich im vergangenen Winter am Piz Güglia vorgegangen, einem Aussichtsgipfel im Engadin, der in seiner alleinstehenden Form an das Matterhorn erinnert. Die Region rund um den Julierpass ist bei Skitourengehern beliebt. Auf einer Tour habe ich eine Route in der Nordwestwand entdeckt und dachte mir: Warum eigentlich nicht? Meine Wunschroute (600 m, 5 SL, IV, WI5+, M5+) liegt abgewandt von der Zivilisation, mit einem grossartigen Blick auf die Engadiner Bergwelt. 

Der vergangene Winter war besonders – lange Zeit lag nur wenig Schnee. Deshalb habe ich den Versuch am Piz Güglia hinausgezögert. Als die Bedingungen schliesslich gepasst haben, hatte keiner meiner Kollegen Zeit, mich zu begleiten. Also bin ich allein gegangen. Zweimal bin ich aufgestiegen, um die Bedingungen und die Route zu prüfen, und beim dritten Mal stand ich dann auf dem Gipfel. Wegen des vielen Schnees waren die Säulen, an denen ich geklettert bin, dünn und mit Schnee und Luft gefüllt, sodass ich keine soliden Eisschrauben setzen konnte. Beim Aufstieg hatte ich zudem mit Lockerschneelawinen und Spindrift zu kämpfen. Für die Tour braucht man viel Erfahrung in der Absicherung.

In seinem Element: Roger Schäli beim Eisklettern (Foto: Tom Malecha für Bächli Bergsport)

Ich bin die Route als Rope-Solo gegangen und habe dabei mein GriGri zur Sicherung benutzt. Zusätzlich habe ich einen Rücksicherungsknoten gesetzt, damit das Seil nicht durchrutscht. Ähnlich wie beim Alpinklettern geht man beim Eisklettern selten ans Limit – es ist wichtig, immer eine Reserve zu haben, vor allem, wenn man allein unterwegs ist. Die Route hat fünf relativ schwere Seillängen, danach klettert man im klassischen Nordwandgelände im dritten und vierten Grad, welches ich ungesichert geklettert bin. Ich bin zwar kein Solokletterer, aber manchmal ist es schön, ganz allein unterwegs zu sein. Allein am Berg fühlt man sich ganz klein, und das hat seinen eigenen Reiz. Da muss die Tour auch nicht besonders wild sein. Ich habe auf der Route in den fünf Seillängen keine Bohrhaken, sondern nur Stände mit Normalhaken gesetzt. 

Ein Bergführer mit einem fitten Gast könnte sie sicher gut gehen – zum Beispiel als Testtour für die Eigernordwand. Ideal ist die Tour ab Februar oder März, wenn die Tage länger sind und die Lawinengefahr oft abnimmt. Als Vorsteigender sollte man schon besser klettern als Schwierigkeitsgrad 5+, weil der Zeitaufwand gross ist und immer ein Restrisiko bleibt. Ich bin vom Gipfel wieder über die Route abgeklettert. Wenn man sich damit nicht wohlfühlen sollte, gibt es auch die Möglichkeit, die Schneeschuhe über die Tour mit auf den Gipfel zu nehmen und über den Sommerweg wieder zurück zum Julierpass zu gelangen.

Das Mixed- und Eisklettern hat sich in den vergangenen 40 Jahren stark weiterentwickelt. Vor allem das Drytooling hat dem Sport einen neuen Schub gegeben. Doch am Ende konzentrieren sich die Eiskletterer auf wenige Hotspots in den Dolomiten, Chamonix und Kandersteg. Mich faszinieren klassische Winterbesteigungen wie am Piz Güglia – eine Mischung aus Mixedklettern und Bergsteigen, bei denen man klassische Linien im Winter hochgeht, wie es früher während der Hochphase der Nordwand-Besteigungen in den Alpen gemacht wurde. So entdeckt man die Berge noch wie vor 100 Jahren.»

Gespür für Eis: Beim Skitourengehen entdeckte Schäli eine machbare Linie in der Nordwestwand – und wartete dann geduldig auf gute Bedingungen.

Rogers Tipp für Einsteiger: Pontresina-Schlucht 

Die Eisformationen in der Pontresina-Schlucht entstehen sowohl natürlich als auch durch künstliche Bewässerung, was eine zuverlässige Eisbildung ermöglicht. Die örtlichen Bergführer überwachen den Aufbau des Eises, garantieren stabile Verhältnisse und beseitigen, wo immer möglich, potenzielle Gefahrenstellen. Dennoch erfolgt das Klettern auf eigene Gefahr. Mit etwa 40 Meter hohen Eiswänden, die oft nur eine Seillänge lang sind, ist die Schlucht perfekt für Einsteiger geeignet. Doch auch Fortgeschrittene finden hier anspruchsvolle Routen. 

Ein besonderes Highlight ist der beleuchtete Sektor: Von Mitte Dezember bis Mitte März kann man hier täglich bis 21.00 Uhr auch im Dunkeln klettern. Dank zahlreicher Routen sowohl im unteren als auch im oberen Bereich verteilt sich das Kletterpublikum gut. Cafés und Restaurants in der Nähe bieten die Möglichkeit, sich in Pausen aufzuwärmen. Für Einsteiger gibt es bei der Bergsteigerschule Pontresina Einführungs-, Technik- und private Kletterkurse. Nach Schneefällen wird der Schnee aus Gefahrenstellen beseitigt. Parkmöglichkeiten finden sich auf den Parkplätzen Gitölia oder in den Parkhäusern Mulin und Rondo. Topos und weitere Informationen sind auf der Website von govertical.ch verfügbar.

Rogers Tipp für Fortgeschrittene: Breitwangflue in Kandersteg 

Die Breitwangflue in Kandersteg gilt europaweit als Mekka für Eiskletterer. Sie bietet ein beeindruckendes Spektrum an Routen im Eis- und Mixedklettern. Bekannt ist die Wand für ihre Klassiker «Crack Baby» (WI5+, 340 Meter) und «Flying Circus» (M10, E4, 165 Meter), die erste M10-Route Europas, 1998 erstbegangen von Robert und Daniela Jasper, «Betablocker Super» (WI7, 300 Meter) oder «Ritter der Kokosnuss» (M12, WI5, 165 Meter). Das Gelände ist herausfordernd: Die Wände sind teilweise senkrecht oder überhängend, was die Touren äusserst anspruchsvoll macht. Doch auch die Bedingungen vor Ort erfordern besondere Vorsicht. Es kann zu Plattenlösungen kommen, was die Sicherung erschwert. Besonders bei den ersten Begehungen in der Saison sollte man sehr achtsam sein. 

Wer an der Breitwangflue klettert, sollte sich mehrere Tage Zeit nehmen, um einen Überblick zu bekommen und einen guten Zeitpunkt zu finden, um in seine Wunschroute einzusteigen. Der Zustieg mit 900 Metern erfolgt zu Fuss und dauert je nach Spurenlage zwischen eineinhalb und zweieinhalb Stunden. Es ist ratsam, die Touren unter der Woche zu planen, um den grössten Andrang zu vermeiden. Frühzeitiges Aufbrechen ist unerlässlich, um genügend Zeit für die Begehung zu haben. Beste Zeit für die Wand ist zwischen Dezember und Februar, je nach Bedingungen.


Jonas Schild: «Ich bin froh, wenn ich zwei gute Wochen im Eis erwische.»

«OeschiMixTrix» (3 SL, 100 m, M6/7), Eröffnung und Erstbegehung

Alpinist Jonas Schild schloss 2020 auch die Ausbildung zum Bergführer ab (Foto: Nicolas Hojac)

Jonas Schild: «Mein letztes Mixed-Kletterprojekt habe ich vor zwei Wintern, im Januar 2022, realisiert. Oberhalb des Oeschinensees in Kandersteg – im Sommer ein beliebter Instagram-Hotspot – habe ich gemeinsam mit meinem Kletterpartner Stephan Siegrist eine neue Route erschlossen. Sie befindet sich rechts von der bekannten Route «Januarloch» im Sektor Oeschinensee. Die Route besteht aus drei Seillängen, jede zwischen 30 und 40 Meter lang. Je Seillänge haben wir zwei Bohrhaken und Stände gesetzt, ansonsten ist es ein reines Selbstsicherungsprojekt. Für mich war die Kletterei äusserst lohnend, und die Route wurde bereits von einem befreundeten Kletterer aus Frankreich wiederholt.

Die Route, die wir «OeschiMixTrix» getauft haben, liegt inmitten einer beeindruckenden Winterlandschaft. Der See ist zugefroren und schneebedeckt, dahinter steigen die Felswände empor, an denen sich Eis gebildet hat. Von der Route aus hat man einen fantastischen Blick bis nach Kandersteg. Sie verläuft durch eine überhängende Verschneidung, von der nur vereinzelte Eisformationen hängen. Entdeckt habe ich die Linie, als ich ein paar Tage zuvor eine andere Tour geklettert bin. Für mich sind Erstbegehungen besonders spannend, weil man ins Unbekannte aufbricht, ohne zu wissen, was einen erwartet. Der ganze Prozess fasziniert mich: ein Ziel zu finden, die Logistik zu planen und dann ein unbekanntes Gelände zu erkunden – und eine Route zu klettern, die zuvor noch niemand gegangen ist.

Bei Eis- und Mixedrouten kommt hinzu, dass man nie weiss, wie sie sich entwickeln. Es ist ungewiss, ob im nächsten Winter an derselben Stelle wieder Eis hängen wird. Diese filigranen Eislinien verändern sich je nach Wasserfluss, und genau das finde ich spannend: an etwas zu klettern, das so vergänglich ist, das nur für kurze Zeit im Winter besteht und jedes Jahr anders aussieht.

Gefrorene Schönheiten wie diese werden immer seltener in der Schweiz (Foto: Nicolas Hojac)

Allerdings muss ich zugeben, dass meine Motivation fürs Eisklettern nachgelassen hat. Nicht, weil ich es nicht mehr gerne mache, sondern weil die Bedingungen zunehmend schwieriger und die Risiken dadurch grösser geworden sind. Diese Entwicklung beobachte ich seit Jahren: Früher ging die Eisklettersaison von Dezember bis März, heute bin ich froh, wenn ich zwei gute Wochen erwische. Letzten Winter bin ich wahrscheinlich nur 50 Meter im Eis geklettert, da die Bedingungen in den Alpen einfach nicht stimmten. Ich denke, die Zukunft des Eiskletterns liegt vor allem in Nordamerika, wo es deutlich kälter ist als in den Alpen oder in Norwegen.

Meine jüngste Expedition im Herbst dieses Jahres führte meine Kletterkollegen und mich wieder an die Südwand des 6543 Meter hohen Mt. Shivling im Garhwal-Himalaya in Indien. Es war unser dritter Versuch, die Südwand zu klettern, aber auch diesmal scheiterten wir. Dafür gelang uns als Plan B die Erstbegehung des Südwestgrats am Bhagirathi III (6454 m) – ein schöner Abschluss der Expedition.»

Selten so gut in Schuss: die Linie von «OeschiMixTrix» am namensgebenden Oeschinensee

Jonas' Tipp für Einsteiger: Engstligenalp (Adelboden) 

Die Engstligenalp in Adelboden ist ein hervorragendes Ziel für Eiskletter-Anfänger. Auf 2000 Metern Höhe befindet sich eine künstlich bewässerte Eiskletterarena mit 23 Routen zwischen zehn und 30 Metern Länge samt Top-Rope-Möglichkeiten. Der Eispark liegt direkt unterhalb der Bergstation der Engstligenalp-Bahnen, und der Eintritt kostet zehn Franken pro Tag. Die Alpinschule Adelboden bietet von Mitte Dezember bis Anfang April Eiskletterkurse sowie geführte Touren an. Neben der Arena gibt es auf der Engstligenalp auch natürliche Eiskletterrouten, die nicht überwacht werden. Der «Kleine Fall» ist eine Natureisroute mit je nach Eisbildung bis zu sechs Seillängen (WI3, 160- 220 m), die sich auch mit der Stoller-Route zu einer ganztägigen Tour verbinden lässt. 

Die Route «Magic Mushrooms» ist eine anspruchsvolle, gemischte Tour mit hohem Schwierigkeitsgrad (III M9, 120 m + 60 m), bei der im unteren Teil je nach Eisbildung entweder im Fels oder Eis geklettert wird. Besonders das frei hängende Eis am Ende der Route macht diese Tour zu einem unvergesslichen Erlebnis. Der «Untere Engstligenfall» bietet eine Route mit moderater Schwierigkeit (WI5, 150 m), die bei ausreichender Kälte eine traumhafte Eislandschaft bietet, vergleichbar mit dem Klettern auf einem Gletscher. Weitere Routen sind die Salto Mortale 2000 (III WI4, 200 m ) und die Undärdä Chatzächerä (III M7, 110 m). Infos unter engstligenalp.ch

Jonas' Tipp für Fortgeschrittene: Der Thron (Averstal) 

Der Thron im Averstal in Graubünden zählt zu den spektakulärsten Eisfällen der Schweiz und stellt eine besondere Herausforderung für fortgeschrittene Eiskletterer dar. Er befindet sich zwischen den Orten Innerferrera und Campsut in einer Höhe von 1720 Metern. Die Route (240 m, 6 SL, WI5+) bietet durchgehend steiles Eis zwischen 70° und 90° und weist besonders im oberen Abschnitt mehrere vertikale Passagen auf. Besonders die wechselnden Eisbedingungen machen ihn zu einer echten Herausforderung. Die Absicherung erfolgt komplett durch eigenes Material, abgesehen vom ersten und letzten Standplatz. Deshalb sind entsprechende Erfahrung und die richtige Ausrüstung entscheidend: Empfohlen werden ein 50-Meter-Doppelseil, sechs bis acht Expressschlingen, etwa zehn Eisschrauben, Eisgeräte, Steileis-Steigeisen, Material für Eissanduhren sowie ein Helm. 

Der Zustieg dauert etwa 20 Minuten. Der Abstieg erfolgt durch Abseilen an Eissanduhren entlang der Route. Die ideale Kletterzeit liegt zwischen Dezember und Februar. Nach frischem Schneefall besteht oberhalb des Wasserfalls Lawinengefahr, und ab Mitte Februar kann die Sonne im oberen Abschnitt zu gefährlichem Schmelzen führen.
 

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