Wolle ist eigentlich eine perfekte Faser», schwärmt Ueli Arnold, Geschäftsführer der ACE alpine & climbing equipment AG in Amden (SG). Er muss es wissen. Denn er ist nicht nur Schweizer Generalimporteur des norwegischen Woll-Spezialisten Devold, sondern auch aktiver Bergführer, der Funktionskleidung an möglichst vielen Tagen im Jahr auf Herz und Nieren testet. Schafwolle, lobt Arnold, sei von Natur aus antibakteriell und müffele deshalb nicht so schnell. Zweitens: Sie reguliert die Körpertemperatur – wärmt bei Kälte und kühlt im Sommer. Drittens: Wolle klebt nicht am Körper und kann ein Drittel ihres Eigengewichts an Feuchtigkeit aufnehmen, ohne sich nass anzufühlen. Viertens: Sie schont die Umwelt, weil sie im Vergleich zu synthetischen Materialien kein Mikroplastik absondert und dank ihrer selbstreinigenden Eigenschaften nicht so oft gewaschen werden muss. Am Ende ihres Lebens ist sie zudem biologisch abbaubar. Fünftens: Wolle hält auch dann noch warm, wenn sie nass ist. Sechstens: Sie sorgt für ein gesundes Mikroklima der Haut und kann sogar Ekzeme lindern. Siebtens: Sie blockt UV-Strahlen ab und ist somit ein natürlicher Sonnenschutz.
Sieben zu Null! Ein Kantersieg für Wolle! Aber warum hat Arnold das so harmlos klingende Wörtchen «eigentlich» bemüht? Klingt das alles zu gut, um wahr zu sein? «Es gibt einen Haken», bestätigt er. «Aber Devold hat den Wermutstropfen in einen Wettbewerbsvorteil verwandelt, zum Wohle der Schafe.» Mehr will er dazu vorerst nicht verraten. Als nämlich Ole Andreas Devold 1853 eine Textilfabrik in Ålesund gründete, war Tierschutz noch kein Thema. Der Jungunternehmer hatte vier Lehrjahre in Deutschland hinter sich. Als er an Norwegens raue Westküste zurückkehrte, brachte er neben vielen Ideen eine der modernsten mechanischen Strickmaschinen seiner Zeit mit. Das Geschäftsmodell: die Fischer und Hafenarbeiter seiner Heimat für ihren harten Job mit robuster Wollkleidung ausrüsten. Devolds «Norweger-Pullover» wurde schnell ein Bestseller, ist heute fast schon eine Art Nationalsymbol, einer der Skandinavien-Klassiker schlechthin und deshalb auch heute noch im Sortiment.
Innovative Gründerjahre
Bald kamen Handschuhe und Mützen dazu. Es lief gut, doch der Visionär Devold wollte mehr. 1868 kaufte er deshalb die nahe gelegene Insel Sula, wo in Langevåg Wasserkraft seine Strickmaschinen antrieb und wo er später das erste Elektrizitätswerk Norwegens bauen liess. «In einer aktuellen Gründer-TV-Show à la ‹Die Höhle der Löwen› hätte Devold vermutlich richtig abgeräumt», scherzt Oliver Stöckli, bei ACE für Devold im Aussendienst tätig. «Immer hatte er die Nase vorn.» Eine der ersten Telefonleitungen des Landes führte von seiner Fabrik zu den Verkaufsbüros am Hafen. Und kaum hatte Edison die Glühbirne erfunden, arbeitete man bei Devold schon mit elektrischen Leuchten. Gleichzeitig war der Gründer ein sozialer Arbeitgeber. Auf Sula liess er für seine Mitarbeitenden Unterkünfte, eine Kirche, ein Spital und einen Kindergarten bauen.
Im Vertrieb lotete er ebenfalls neue Wege aus: Um die weltfernen Fischerdörfer an der Küste mit seinen Wollwaren beliefern zu können, schickte er den Dampfer Thorolf mit Verkäufern an Bord auf grosse Tour, von der schwedischen bis zur russischen Grenze. «Fast hätte ich gesagt: Das war eine frühe Form der Kaffeefahrt», meint Stöckli mit einem Augenzwinkern. Doch genau das war es natürlich nicht. Denn Herr Devold hätte sich niemals getraut, billigen Ramsch anzupreisen. «Der wusste stets durch Qualität zu überzeugen», ergänzt Arnold. So sehr, dass berühmte Abenteurer auf seine Produkte setzten. Mit einem dicken Devold-Pullover unter der noch dickeren Jacke durchquerte Fridtjof Nansen 1888 das grönländische Inlandeis. Und Roald Amundsen erreichte damit gut zwei Jahrzehnte später sogar den Südpol. Moderne Nachfolger dieser Pioniere wie Cecilie Skøg (K2-Besteigung und erste Antarktis-Durchquerung ohne Unterstützung) oder Børge Ousland (erste vollständige Umsegelung der Arktis in einem einzigen Sommer) vertrauen ebenfalls den Wollprodukten ihrer Landsleute.
Schonend für das Schaf
Unter dem Strich ist das eine einzige Erfolgsgeschichte, auf die der 1892 verstorbene Gründer vermutlich sehr stolz wäre. Heute stattet das Familienunternehmen sicher mehr Outdoor-Sportler als Fischer aus, obschon feuerfeste Arbeitsschutzkleidung noch immer eines der Standbeine der Firma ist. Aber die Wolle stammt eben nicht mehr von einheimischen Tieren, sondern von Merinoschafen. Und diese ursprünglich wohl aus Nordafrika stammende Rasse gedeiht nicht so recht im nasskalten Norwegen. An diesem Punkt kommt das eingangs von Arnold erwähnte «eigentlich» ins Spiel. Denn mit dem notwendigen Import der Merinowolle wird die Sache komplex, wenn man in Sachen Tierschutz, Nachhaltigkeit und Qualität einen so hohen Anspruch hat wie Devold.
«Merinoschafe haben besonders viele Hautfalten», erklärt Devold-Experte Stöckli. «Sie wurden jahrhundertelang so gezüchtet, damit auf ihnen möglichst viel von der hochwertigen, feinen Wolle wachsen kann.» Der Preis für den hohen Ertrag: Die Tiere sind anfällig für Fliegenmaden, die ihre Eier in den feuchten und warmen Hautfalten ablegen. Die geschlüpften Maden fressen sich in die Haut, was bei den Schafen zu schweren Entzündungen führen und sie sogar umbringen kann. Um das zu vermeiden, wenden viele Züchter das sogenannte Mulesing an. «Bei dieser qualvollen Prozedur schneiden sie den Lämmern mit einer Schere Hautstücke rund um After und Genitalien ab. Die Verstümmelung erfolgt ohne Betäubung und meist auch ohne Schmerzmittel», berichtet Stöckli.
Es gäbe durchaus Alternativen: die Behandlung mit Insektiziden, das Stutzen der Wolle an den sensiblen Stellen mehrere Male im Jahr, oder eben gleich das Züchten von Tieren mit weniger ausgeprägten Hautfalten. Allein: Das ist aufwendig, kostet Marge. Und deshalb wenden, vorsichtig gerechnet, vier von fünf australischen Farmern Mulesing an. Das ist eine umso erschreckendere Zahl, wenn man weiss, dass zwischen 80 und 90 Prozent der weltweit erzeugten Merinowolle aus Australien stammen. Nur jeweils vier Prozent kommen aus Neuseeland, Südafrika und Argentinien. «Outdoor-Kleidung aus Merinowolle ist beliebt – doch die wenigsten wissen: Millionen von Schafen leiden dafür», sagt Stöckli. «Zum Glück gibt es Marken wie Devold, die es besser machen.»
Kontrolle der Ketten
Allein: Der gute Wille genügt nicht. Viele Hersteller wissen selbst nicht, woher ihre Wolle stammt. Die Lieferketten sind lang, komplex und intransparent. Devold kontrolliert deshalb den gesamten Wertschöpfungsprozess seiner Produkte. In Australien, Neuseeland und Argentinien kaufen die Norweger unbehandelte Rohwolle von ausgewählten Farmen und veredeln diese dann selbst. «Die Qualitätsstrategie Sheep-to-Shop gewährleistet maximale Transparenz vom Scheren der Schafe über das Kämmen, Spinnen, Färben und Nähen bis zum Design und zur Verarbeitung», sagt Stöckli. Seit 2015 geschieht das in einer eigenen Fabrik in Litauen. «Fernost mag billiger sein, aber Kommunikation, Logistik und Qualitätskontrolle sind in Europa mitten im Zielmarkt einfacher», erklärt er.
Mit Spezialmaschinen wird die Wolle gestrickt, kompaktiert und gefärbt. Danach werden die Schnitte der Designer aus den Stoffbahnen gestanzt, möglichst ohne viel Materialverlust. «Das ist in etwa so, als würde man XXL-Weihnachtsguetzli ausstechen», so Stöckli. Der nächste Schritt läuft dann so ab wie schon zu Ole Andreas Devolds Zeiten: Mehr als hundert Näherinnen setzen die Stoffteile zu Baselayern, Midlayern oder Pullovern zusammen, schnell und präzise. «Die Aufgabe ist so komplex, dass sie auch heute noch keiner Maschine überlassen werden kann», betont der Aussendienst-Mann. Heraus kommen dabei Devold-Meilensteine wie der Tuvegga, ein Wende-Baselayer aus Merino, der 2018 den ISPO-Award gewann. Das smarte Teil besitzt eine Seite mit einer flachen Oberfläche mit hoher Atmungsaktivität, die andere Seite weist einen 3-D-Materialaufbau mit Luftkanälen für zusätzliche Isolierung auf. Der Vorteil: Die Hosen und Hemden passen sich an verschieden intensive Sportarten und wechselnde Aussentemperaturen an. Der Devold-Gründervater wäre damit vermutlich sehr zufrieden gewesen. In Langevåg, wo neben der Firmenzentrale ein kleines Museum steht, kann man seinen Geist noch spüren.
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