Gigantische Nordwände, Wochentouren über mächtige Viertausender und kilometerlange Powderabfahren. Die Alpen locken mit Abenteuern epischen Ausmasses. Die Krux daran: Zu viel Bergsport-El-Dorado und zu wenig Zeit an der Hand. Der Autor dieses Textes wohnt im östlichen Mittelland. Tagessausflüge zum Freeriden auf der Diavolezza oder zum Klettern im Berner Oberland, geschweige denn Kurztrips ins Wallis sind schlichtweg unrealistisch.
Dabei sind Bewohner des Schweizer Flachlandes noch in einer komfortablen Situation. Man stelle sich bloss unsere Landesnachbarn vor, deren Grossteil der Einwohner die Alpen mit einem ausgiebigen Ferienausflug verbinden müssen. Mal abgesehen davon, dass sich solche Unternehmungen beim momentanen Weltgeschehen sowieso kompliziert gestalten oder zumindest für arge Gewissensbisse sorgen.
Ja, der Alpenkamm ist unser aller primär Ziel. Doch wenn es mal – aus welchen Gründen auch immer – nicht klappen sollte, lautet die Devise: Werdet kreativ. Vor der eigenen Haustüre, manchmal tatsächlich unmittelbar davor, entfalten sich nämlich oftmals ungeahnte Bergsport-Möglichkeiten; ihr müsst sie nur finden. Mikroabenteuer heisst das Zauberwort. Anhand dreier Beispiele zeigen wir euch, wie ihr versteckte Perlen in unscheinbaren Regionen findet.
Bergsteigen im Aargau
Aarau ist nicht unbedingt dafür bekannt, ein städtischer Ausgangspunkt für Bergsteig-Unternehmungen zu sein. Umso mehr überraschen die teils knackigen Wände in der unmittelbaren Umgebung. Ein Höhepunkt ist sicherlich die Ostwand der Wasserflue.
Die Wasserflue bildet den östlichen Schlussgipfel eines langen Grates nördlich von Aarau. Mit seinen 866 Metern über Meer gehört der Hügel zu den höchsten Erhebungen des Kantons. Nicht wenige Meter davon fallen gen Osten steil, teilweise fast senkrecht, ab. Perfekt für Klettereien bis zum zweiten Grad.
Ausgangspunkt ist die Haltestelle Küttigen Fischbach, die von Bussen von Aarau in wenigen Minuten angefahren wird. Ab dort auf dem Wiesenweg in Richtung Wasserflue. Während Spaziergänger den Weg weitergehen, biegen wir nach 100 Metern rechts in Richtung Wald gen oben ab. Achtet auf die kleinen, blauen Punkte, die euch den Weg weisen.
Über einen kleinen Grat geht es schon bald in die eigentliche Wand. Über bestes Gestein und mit ein paar kniffligen Tritten und Zügen klettert ihr durch eine Rinne dem Ziel entgegen. Verfehlen könnt ihr die Route nicht, orientiert euch an den Fixseilen. Allzu viel Vertrauen in diese sollte übrigens niemand stecken. Mehr technische Herausforderung findet ihr rechterhand der Hauptroute – dort jedoch mit einer dringenden Empfehlung zur Absicherung.
Wer nach dem kurzen Höhenflug noch nicht genug hat, findet südwestlich der Wasserflue die namensähnliche Ramsflue. Deren Westwand kann vom Hardmännliloch einfach angegangen werden. Über mehrere Varianten von légère bis richtig hart könnt ihr hier eine kurze, aber spannende Wand zu eurem Palmarès hinzufügen.
Wer dann noch Saft in den Beinen hat und einen interessanten Rückweg zum Ausgangspunkt sucht, findet diesen über den Egg-Grat. Der Aufstieg über die Zwilhalde ist lukrativ und als finaler Leckerbissen wartet die Burgruine Königstein auf euch.
Powder im Zürcher Oberland
Schnee bis in die Niederungen ist mittlerweile leider nicht selbstverständlich und solche Massen wie diesen Winter haben beinahe Seltenheitsstatus. Die perfekte Chance also, um die Tourenskis auf ihre Unterland-Tauglichkeit zu prüfen.
Ein regelrechter Spielplatz für Skitouren weit unter der Baumgrenze ist das Zürcher Oberland. Eigentlich lässt sich beinahe jeder der dortigen Hügel angehen, kreative Linien finden sich fast überall. Der Hüttchopf, die Brandegg, die Hirzegg oder der kantonshöchste Punkt, das Schnebelhorn, sind lohnende Ziele. In diesem Fall nehmen wir jedoch den Roten genauer unter die Lupe.
Ausgangspunkt ist der Skilift Steg. Sowieso eignet sich das Tösstal als Start. Steg und Fischenthal bilden dabei die Hotspots. Via Ohrüti geht es der Strasse entlang tief ins Beschtentobel. Liegt genug Schnee, wird hier bereits aufgefellt. Beim Punkt 793 wird es allmählich wilder und vor allem steiler. Dem Weg folgt ihr bis zur dritten und letzten Holzhütte. Von dort direkt den steilen Hang hoch bis zur Weid. Nun noch ein kleines Stück nach Norden bis zum eingezeichneten Weg nach Osten. Alsbald steht ihr am Fusse des Roten. Ob ihr den Gipfel in Angriff nehmen wollt, ist Geschmackssache. Der Wald ist hier doch etwas gar dicht.
Runter geht es nun über den Aufstiegsweg oder mittels eines kleinen Umwegs über die südliche Hirzegg. Apropos Hirzegg. Beim Aufstieg auf den Roten werdet ihr auf der Karte eine kleine Hütte namens Hirzeggli entdecken. Ein absolutes Juwel für eine Pause mit unglaublicher Aussicht.
Bouldertraining nahe des Bodensees
Ok, Wil (SG) hat nicht unbedingt einen Bodenseeanstoss, aber die geografische Verortung in östlichen Gefilden und im Kontext des grossen Ganzen sei hierbei eine Ausnahme gemacht. Auf jeden Fall ist Wil eine ideale Destination für angefressene Boulderer, die auf ihr Training nicht verzichten möchten. Hier steht nämlich, versteckt auf einer Wiese, ein wunderbarer Boulderblock.
Bouldergebiete in flachen Regionen sind nichts Neues, man denke hierbei an das legendäre Kesslerloch bei Schaffhausen. Speziell an dem Block in Wil ist jedoch, dass er aus Plastik ist. Also quasi Indoor-Feeling, einfach draussen. Gerade jetzt, wo Boulderhallen geschlossen sind, eine wortwörtlich erfrischende Art und Weise, an der eigenen Technik und Kraft zu feilen – daher auch nicht per se Bouldern, sondern eher Bouldertraining.
Der Klotz wird vom Kletterclub Wil sauber unterhalten und befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof auf dem Sportareal Bergholz, gleich neben dem Fussballstadion. Er ist leicht überdacht und beleuchtet. Eurer Session am späten Abend steht also nichts im Wege. Die Routen sind vielfältig und zahlreich. Fast alle Schwierigkeitsgrade sind abgedeckt. Alle ausser die richtig harten Cracks werden auf ihre Kosten kommen.
Der Boulderblock ist frei zugänglich. Die Betreiber freuen sich aber über eine kleine Spende via Twint.
Euer Lokalspielplatz
Drei Beispiele, drei Bergsportarten, alle in weniger als einer Stunde mit dem öffentlichen Verkehr vom Wohnort des Autors erreichbar. Wie sieht es bei euch aus? Was habt ihr für alpinähnliche Erlebnisse gehabt, die vor eurer Haustüre liegen? Falls ihr ratlos seid, dann helfen folgende Tipps:
- Nutzt die Macht der Online Community: Auf Hikr.org findet ihr zu sozusagen jedem noch so unscheinbaren Hügel einen Tourenbericht. Gebt einfach mal euren Hausberg ein, ihr werdet erstaunt sein, was die Locals für kreative Routen auf dessen Gipfel finden.
- Nutzt die Profis vor Ort: Freundinnen und Freunde; eure SAC-Sektion; Bergführer, die in der Region wohnen und nicht zuletzt die Tourismusbüros kennen euer Gebiet wie die eigene Westentasche.
- Augen auf: Markante Felsvorsprünge, Felsblöcke im Bachbett, steile Wälder, offene und schneereiche Wiesen. Die meisten Möglichkeiten eröffnen sich einem erst, wenn man genauer hinschaut. Wer weiss, was der kleine Hügel, an dem ihr tagtäglich vorbeilauft, für Potenzial in sich birgt?
- Setzt einen Fokus: Stellt euch eine Aufgabe. Das kann sein «am Wochenende will ich eine Skitour im Umkreis von 30 Kilometern machen» oder «heute finde ich einen kletterbaren Felsblock im Wald am Stadtrand». So sucht ihr gezielt.
- Brütet über Karten: Sowieso die Lieblingsbeschäftigung eines jeden Bergsportlers. Tauscht einfach die Karte des alpine Geländes gegen eine aus dem eigenen Perimeter.
Habt ihr weitere Tipps und Tricks oder gar konkrete Ausflugsideen? Wir sind gespannt auf eure Kommentare.
Zu diesem Beitrag sind noch keine Kommentare vorhanden.
Kommentar schreiben