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Voller Schub voraus

Thomas Ebert, Dienstag, 07. Februar 2023

Stöcke sind wie Strom: Ohne sie geht im Prinzip alles, läuft aber nichts. Das gilt ganz besonders auf Skitour. Über grosse und kleine Entscheidungen bei der Auswahl von Tourenstöcken.

Von allen Gegenständen, die man für eine Skitour braucht, dürften Tourenstöcke die unkompliziertesten sein. Anders als das Gesamtsystem Ski-Bindung- Schuh brauchen sie keine harmonische Abstimmung aufeinander. Die Anwendung von Stöcken ist wesentlich einfacher als die von LVS-Gerät oder Lawinen-Airbag. Und im Gegensatz zu Fellen stecken sie auch mal eine weniger pflegliche Behandlung klaglos weg. Warum also eine Kaufberatung zu Tourenstöcken? Grund eins: weil es ohne Stöcke nicht geht. Man muss nicht erst einen Defekt haben, um zu wissen, dass Skitouren ohne Stöcke ähnlich spassig sind wie Skitouren ohne Schnee. Grund zwei: weil es so viele Stöcke gibt. Es ist banal, aber man kann es nicht oft genug sagen: Skitourengehen ist ein Volkssport. Und so wie der Powderjunkie erst ab 100 Millimetern Skibreite unter der Bindung zu grinsen beginnt, sucht die Rennläuferin nach jeder Möglichkeit, Gewicht zu sparen und den Aufstieg effizienter zu machen. Die Zahl der Aktiven ist grösser, ihre Ziele, Wünsche und Ansprüche sind unterschiedlicher denn je. Entsprechend vielseitig ist auch das Angebot – gut zwei Dutzend Tourenstöcke hat Bächli Bergsport im Sortiment. Was also sind die grundlegenden Unterschiede bei Tourenstöcken? Andrea Brändli kümmert sich bei Bächli Bergsport um das Tourenstock- Sortiment. «Werden die Stöcke zum Freeriden und Skifahren benutzt, entscheidet man sich eher für einen Fixlängenstock», spricht Brändli den ersten wichtigen Entscheid an. «Fixlängen sind leichter als die längenverstellbaren Stöcke und zeichnen sich durch ein besseres Schwungverhalten aus.» Das durchgängige Rohr eines Fixlängenstockes verschafft bei minimalem Gewicht ein Maximum an Steifigkeit – der Unterschied ist sowohl im Aufstieg als auch bei der Abfahrt durchaus spürbar. Kein Wunder, dass neben Freeridern vor allem Skitourenrennläufer zu Fixlängen greifen. Der gravierende Nachteil von Fixlängen ist, wie ihr Name schon sagt, die mangelnde Verstellbarkeit. Die Stöcke an die Hangneigung anpassen? Sie für eine Tragepassage platzsparend am Rucksack befestigen, oder dem zwei Köpfe grösseren Tourenpartner leihen? Das geht mit (einteiligen) Fixlängen nicht. 


Gefaltet oder geschoben?

Wer sich weder dem einen noch dem anderen Lager klar zuordnen kann und nicht mehrere Paar Tourenstöcke horten will, greift also zu längenverstellbaren Stöcken. Hier steht die nächste Entscheidung an: Falt- oder Teleskopstock? Faltstöcke bestehen aus drei bis fünf einzelnen Rohrsegmenten, die über ein innenliegendes Drahtseil miteinander verbunden sind und auf Zug einrasten – ähnlich wie bei einer Lawinensonde. Das oberste Segment ist dabei typischerweise um zehn bis 20 Zentimeter höhenverstellbar. Auch faltbare Fixlängen gibt es, sie sind aber eher ein Nischenprodukt, das sich primär an Trailrunner richtet. Je mehr Segmente, desto platzsparender (aber auch weniger steif) sind Faltstöcke. Mit einem Packmass von unter 40 Zentimetern lassen sich einige sogar im und nicht nur am Rucksack verstauen. Und der Teleskopstock? «Ein zweiteiliger Teleskopstock eignet sich meiner Meinung nach optimal für Skitouren», legt sich Brändli fest. Nach dem altbekannten Angelprinzip werden die beiden Rohrsegmente ineinander verstaut und über einen extern liegenden Klemmhebel zuverlässig auf dem Wunschmass fixiert. «Aussenklemmsysteme verschiedener Hersteller unterscheiden sich zwar in Form und Grösse, die Handhabung ist jedoch immer dieselbe», erklärt Brändli. Heutige Klemmen funktionieren auch bei tiefen Temperaturen zuverlässig, innenliegende Spreizklemmungen sind vom Markt verschwunden. Das Packmass von zweiteiligen Teleskopstöcken ist mit rund 100 Zentimetern zwar weniger kompakt als bei Faltstöcken, aber laut Brändli «gut geeignet für alle, die ihren Stock nur während der Tour verstellen und wenig an den Rucksack schnallen». Dreiteilige Teleskopstöcke rutschen auf rund 70 Zentimeter zusammen, sind gegenüber den Zweiteilern aber etwas schwerer und weniger steif. «Grundsätzlich kann man auch mit Faltstöcken auf Skitour», fasst Brändli zusammen. «Teleskopstöcke zeichnen sich jedoch durch ein besseres Schwungverhalten aus.» 



Alu oder Carbon?

Ist die Frage der Bauart geklärt, steht die zweite wichtige Grundsatzentscheidung an – nämlich die des Materials. Zur Auswahl stehen Aluminium und Carbon. «Carbonstöcke sind sehr leicht und hochstabil. Allerdings verbiegen sie sich im Extremfall nicht, so wie Aluminium, sondern brechen», erläutert Brändli. Einige Hersteller ummanteln das unterste Segment eines Carbon-Stockes mit Aluminium, um es so gegen Schläge, etwa von Skikanten, zu schützen. Nicht zuletzt kann speziell auf Skitour das Handling von Carbonstöcken etwas angenehmer sein: Die Kohlefasern fühlen sich nicht kalt an wie ihre Kollegen aus Aluminium. In aller Regel fasst man Tourenstöcke aber sowieso nur am Griff an. Auch hier gibt es Unterschiede in Sachen Form und Material, die aber weitestgehend Geschmackssache sind. Bei den Materialien dominieren Kork und EVA-Schaumstoff – wobei der etwas schwerere Kork sich für die meisten im Sommer, mit schwitzenden Händen, etwas angenehmer anfasst. Ob die Griffform und das Schlaufenmaterial den eigenen Händen schmeichelt, lässt sich am besten bei einem Besuch einer Bächli-Filiale feststellen. Obligatorisch ist eine Manschette, die den Griff nach unten noch etwas verlängert. So kann man bei Traversen den bergseitigen Stock schnell etwas tiefer greifen, ohne die Länge verstellen zu müssen. 



Länge läuft

Apropos Länge: Als Faustformel für die individuelle Einstellung gilt, dass die Stöcke auf ebenem Boden bis zu den rechtwinklig ausgestreckten Unterarmen reichen sollten. In der Praxis kann es angenehm sein, die Stöcke im Aufstieg etwas kürzer und in der Abfahrt etwas länger zu stellen – plusminus fünf bis zehn Zentimeter empfiehlt Expertin Brändli. Wer im Aufstieg häufig unter kalten Händen leidet, sollte eher eine tiefe Handhaltung wählen – so kann das Blut leichter durch die Finger zirkulieren. Auf längeren Flachstücken und ganz besonders in flachen Skatingpassagen ist es dagegen ein enormer Vorteil, die Stöcke auf ihre maximale Länge auszufahren: Im Stile von Langläufern lässt sich mit Stöcken auf Brusthöhe kraftsparend Schub erzeugen. Dies sollte man bei der maximalen Länge eines Stockes beachten, die bei rund 120 bzw. 140 Zentimetern (kurze und lange Variante), selten auch bei 150 Zentimetern liegt. Ganz genau festlegen müssen sich natürlich Interessenten von Fixlängen, die üblicherweise im 5-cm-Abstand verfügbar sind. Ganz unten am Stock angelangt, lohnt sich ein Blick auf die unterschiedlichen Teller und Spitzen. Bei letzteren dominieren runde bzw. elliptische Hartmetallspitzen. Nur an dezidiert dem Rennlauf gewidmeten Stöcken wird man die beim Langlaufsport typischen, pfeilförmigen Spitzen finden. Sie bohren sich zuverlässig auch in eisige Pisten, funktionieren allerdings nur in Schubrichtung. Dasselbe gilt für die gelegentlich anzutreffenden, kompakten Rennteller, die an der Vorderseite gekröpft sind und beim Aufstieg kaum angehoben werden müssen, im Tiefschnee aber stark einsinken. Universeller ist da ein Wechselsystem, mit dem so gut wie alle Hersteller aufwarten können. So lässt sich im Winter ein breiter Teller für Tiefschnee aufziehen, für Pistentouren oder im Wandermodus genügt ein kleinerer Teller. Sehr praktisch ist eine gerade, gehärtete Kante am Teller – perfekt zum Abkratzen von stollendem Schnee von Ski und Fellen. Ein letztes Wort noch zur Pflege: Tourenstöcke sind mehr oder minder wartungsfrei. Bei Teleskopstöcken empfiehlt es sich, den gröbsten Dreck von den Rohren zu entfernen, bevor man sie ineinander schiebt – bei der Reinigung aber bitte keine Schmierstoffe verwenden. Nasse Faltstöcke sollte man zum Austrocknen auf die maximale Länge spannen. Sollte die Klemmung an Teleskopstöcken doch einmal nachlassen, lässt sie sich meist werkzeugfrei nachjustieren.

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