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Steile Anstiege und wilde Abfahrten im südlichen Bedretto

Chris Moser, Mittwoch, 11. Dezember 2019

Endlich hatte der Winter Einzug gehalten! Allerdings war nur am Alpenhauptkamm genügend Schnee gefallen um anständige Skitouren anzugehen, und so kummulierten sich die Schneesportfans bei den üblichen Ausgangsorten, im Urserental oder im Bedretto.

Endlich hatte der Winter Einzug gehalten! Allerdings war nur am Alpenhauptkamm genügend Schnee gefallen um anständige Skitouren anzugehen, und so kummulierten sich die Schneesportfans bei den üblichen Ausgangsorten, im Urserental oder im Bedretto. In All' Acqua musste man sich einen Parkplatz erkämpfen, zumindest an den Wochenenden, und auf den prominenten Gipfeln Platzkarten reservieren. Zum Glück gab es aber auch noch weniger frequentierte Destinationen im Gebiet, und auf jene waren wir (Dani und Chris) heute aus.

Während wir zu einem früheren Zeitpunkt die Kombination von Chüebodenhorn 3070m, Pizzo Rotondo 3192m und Pizzo Pesciora 3120m als Kingline im nördlichen Bedretto definierten, war die Verkettung von Pizzo Grandinagia 2774m, Pizzo Cavagnöö 2837m, Pizzo San Giacomo 2924m und Marchhorn 2962m das Äquivalent dazu im südlichen Bedretto. Und die Kingline Süd sollte es heute sein!

Schon einmal sind wir in gleicher Besetzung ausgerückt um dieses Enchaînement zu probieren, damals waren wir allerdings gerade an zwei Gipfeln gescheitert. Am Pizzo Grandinagia gab es vom gängigen Wintergipfel kein Weiterkommen Richtung Hauptgipfel, und am Pizzo San Giacomo hatte uns ein 10 Meter hoher Felsriegel das Gipfelglück vereitelt.

Heute wollten wir es besser machen. Nicht von Norden, sondern von Süden her, vom Passo Grandinagia über den Südgrat, sollte es möglich sein direkt auf den Hauptgipfel zu gelangen, und für den Felsriegel am Pizzo San Giacomo waren wir ebenfalls besser vorbereitet. Einerseits hatten wir uns mental auf diese Herausforderung eingestellt, und andererseits hatten wir dieses Mal geschliffene Steigeisen und Pickel mit im Gepäck.

Früh morgens folgten wir der gut gespurten Normalroute hinauf und hinein ins Val d'Olgia. Links und rechts gingen Aufstiegsspuren weg Richtung Grandinagia Wintergipfel respektive Helgenhorn, geradeaus führte eine etwas dünnere Spur hinauf zur Bocchetta di Formazzora. Wir folgten dieser Spur bis zur Steilstufe, liessen diese in der Folge rechts liegen und zogen unsere eigene Linie hinauf zum Passo Grandinagia.

Nun deponierten wir die Tourenski, montierten die Steigeisen und nahmen den Pickel zur Hand. Die Besteigung gestaltete sich letztendlich als noch einfacher als wir es uns erhofft hatten. In perfektem Trittschnee gewannen wir rasch an Höhe, und einige leichte Felsen konnten uns ebenfalls nicht aufhalten. Und so standen wir schon Minuten später auf dem höchsten Punkt des Pizzo Grandinagia. Die erste Pendenz wäre somit erledigt, endlich! Da wir auf dem schmalen, verwechteten Gipfelgrat kaum Platz fanden, machten wir uns nach einigen Fotos schon bald wieder an den Abstieg. Nach einer kurzen Pause fuhren wir bei Pulver gut hinab in den schattigen Kessel, um in der Folge den Gegenanstieg zur Bocchetta di Formazzora und Pizzo Cavagnöö in Angriff zu nehmen. 300 Höhenmeter später standen wir auf Gipfel Nr. 2 des heutigen Tages, und konnten eine tolle Aussicht auf die umliegenden Berge geniessen, herrlich! Unsere Aufstiegsspur am Pizzo Grandinagia Südgrat konnten wir ebenfalls deutlich erkennen. Und vor uns ragte der Pizzo San Giacomo gen Himmel, mit seinem markanten SE-Couloir, über welches wir den Gipfel zu erreichen gedachten.


Vorher allerdings gab es noch eine kurze Abfahrt zu den Ausläufern des verkümmerten Ghiacciaio del Cavagnöö, und einen schweisstreibenden Anstieg zum Einstieg des steilen SE-Couloirs. Während wir letztes Mal die Skier hochgetragen hatten, um anschliessend das Couloir abzufahren, wäre dies heute sinnlos, da einige, kleinere Nassschneerutsche den Schnee bereits zerstört hatten. Wenigstens hatten wir so weniger zu schleppen. Wir deponierten wiederum die Skier und machten uns bereit für den Fussaufstieg.

Trotz leichtem Gepäck war es immer noch sehr anstrengend, ich zumindest kam nicht umhin die Schritte zu zählen, und so die Verschnaufpausen hinauszuzögern. Irgendwann gelangten wir schliesslich ans Ende des Couloirs, nun trennte uns nur noch der Felsriegel vom Gipfelgrat. Ein Déjà-vu? Mitnichten! Ohne zu zögern nahmen wir die Kletterei in Angriff, welche nur auf den ersten Metern etwas knifflig war und den 2. Schwierigkeitsgrad erreichte. Die Frontzacken fanden jedoch perfekten Halt auf schmalen Felskanten und Simsen. Bald wurden die teilweise unter dem Schnee versteckten Griffe zahlreicher und grösser, und schon lagen die Schwierigkeiten hinter uns. In gebührendem Abstand zur Gratschneide (Wechten) querten wir hinüber zum Gipfelkreuz. Endlich war auch diese Pendenz erledigt, aber dieser Gipfel musste heute verdient werden!


Nach einigen Minuten im Endorphin-Rausch fanden wir wieder zur Ruhe, und machten uns schliesslich frisch fokussiert an den Abstieg. Für die Kletterstelle hatten wir ein Stück Reepschnur mitgenommen, und dieses nun auch tatsächlich reingehängt. Nur zu Sicherheit, den gebraucht hatten wir es letztendlich nicht. Beide gelangten wir sicher zurück ins Couloir, und folgten der Himmelsleiter hinab zum Skidepot. Es folgte wiederum die Abfahrt zum Ghiacciaio del Cavagnöö.

Beide verspürten wir nun einen leichten Hunger, und bevor wir Gipfel Nr. 4 in Angriff nahmen, hatten wir uns erstmal grosszügig verpflegt. Danach konnten wir einer schön angelegten Spur Richtung Marchhorn folgen. Erst kurz vor dem Gipfel mussten die Skier noch einmal aufgebunden werden. Zu Fuss gelangten wir über einen schönen Grat zum höchsten Punkt. Nun waren wir ziemlich platt, aber das Quartett komplett, was uns mit grosser Freude erfüllte.


Und freudig blickten wir nun dem Bevorstehenden entgegen: der Abfahrt durch das Canalone del Marchhorn. An sich schon ein Tagesziel für Liebhaber steiler Couloirabfahrten, für uns quasi das Sahnehäubchen. Lediglich zwei Abfahrtsspuren führten zur Einfahrt, da würde es somit noch genug Platz haben für unsere eigenen Lines. Die Einfahrt ins Couloir war anständig steil, aber mit einigen Jump Turns gut zu bewältigen. Meister der Straight Lines würden da natürlich weniger Probleme bekunden. Wir waren im Element und zogen unseren Spuren hinab zum Passo San Giacomo. Obschon der Wind drin war, fanden wir im oberen Abschnitt noch guten Pulver oder Presspulver, unten raus dann wieder tadellosen, unberührten Pulverschnee. Das war schlicht perfekt gewesen!

In der Folge liessen wir es wieder ruhiger angehen, und gelangten via Alpe San Giacomo und den darunter liegenden, steilen Nordhängen zur Nufenenpassstrasse hinab. Die Wegfindung zwischen den Sturzbächen hindurch war nicht ganz einfach, doch brauchten wir hier nur den Abfahrtsspuren zu folgen. Eine Brücke leitete uns zuletzt über den Ticino, und nach einer kurzen Abfahrt entlang der Strasse gelangten wir zurück zum Ausgangspunkt. Was für ein Auftakt in die neue Skitourensaison! Endlich konnten wir das Projekt Kingline Süd erfolgreich in die Tat umsetzen. Während andere Gipfel in der Region regen Besuch erhielten, waren wir ganztags keiner Menschenseele begegnet. Mit etwas Einfallsreichtum findet man sie also doch noch die einsamen Orte.


Facts zur Tour:

  • Distanz: 17.2km
  • Höhenmeter: 2200m
  • Schwierigkeiten Ski- und Fussaufstiege: S, II 
  • - Skischwierigkeit: Canalone del Marchhorn 4.2, 500m 
  • - Material: Steigeisen, Pickel, 20m Reepschnur, LVS, 1-Hilfe-Set, 2 Paar Handschuhe, Primaloft-Weste, Daunenjacke, Sonnenbrille. 
  • - SLF Bulletin: mässig. 

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