Ob schnell noch eine «Fyrabe»-Tour auf den Hausberg, staubender Pulver auf Freeride-Touren oder doch eine unvergessliche Haute Route – Skitourengehen ist mittlerweile Volkssport. Die Spielarten sind beinahe grenzenlos. Genauso die Wahlmöglichkeiten bei der Ausrüstung. Innovation ist Trumpf: bei Ski, Schuhen und Bindungen. Leichtbau ist ein grosser Innovationsturbo. Immer mehr Modelle. Immer neue Funktionen. Dieser sprunghafte Anstieg hat auch die Zahl der möglichen Produktkombinationen potenziert. Toll? Ja und nein. Denn nicht alle Kombis funktionieren in der Praxis. Es ist wie bei einem Puzzlespiel, manche Teile scheinen zu passen, tun es dann aber doch nicht.
«Die Möglichkeiten sind verlockend», sagt Matthias Schmid, Produktmanager für Skitourenausrüstung bei Bächli Bergsport. Eine beliebte Kombi: breite Ski für viel Auftrieb im Neuschnee, dazu eine möglichst leichte Pin-Bindung und ein leichter Schuh für kraftsparende Aufstiege. «Man sollte es allerdings nicht übertreiben», warnt Schmid. Denn: Bindung, Ski und Schuh bilden ein zusammengehörendes System. Eine Dreiecksbeziehung, die durchaus konfliktbeladen sein kann, was Funktion und Sicherheit betrifft.
Noch keine einheitliche Touren-Norm
«Pin-Bindungen wurden ursprünglich als aufstiegsorientierte Leicht-Bindungen für Experten entwickelt, denen klar war, dass sie dafür Abstriche in puncto Bedienungskomfort und Sicherheitsauslösung in Kauf nehmen», erklärt Produktmanager Matthieu Fritsch von Dynafit. Natürlich gibt es mittlerweile auch für anspruchsvolle Abfahrten optimierte Pin-Systeme mit Sicherheitsauslösemechanismen, doch so robust wie Alpin-Freeride-Bindungen sind die noch nicht. Je leichter eine Bindung, desto weniger Spielraum bleibt für aufwendige Sicherheitsfunktionen. Matthias Schmid rät deshalb: «Am besten, man wählt Ski, Schuhe und Bindung jeweils aus den dem Einsatzbereich entsprechenden Kategorien: leicht und aufstiegsorientiert – für klassische Skitouren- oder abfahrtsorientiert für Freeride-Einsätze.»
Doch auch das ist keine Garantie dafür, dass alles passt. Einer der Hauptgründe: Es gibt keine einheitliche Norm für Tourenskischuhe. Schuhe mit verkürztem Steg an Schuhspitze und Ferse sind nicht mit Rahmenbindungen kompatibel. Mit Hybrid-Bindungen wie der Marker Kingpin (vorne Pin, hinten Alpin-Fersenautomat) funktionieren sie nur mithilfe eines Adapters an der Ferse. Und bisweilen kommt es sogar vor, dass Pin-Schuhe mit herkömmlichen Pin-Bindungen nicht einwandfrei zusammenspielen. Unterschiede treten vor allem auf bei: Stärke und Sprengung (leichte Biegung) der Sohle, Geometrie von Schuhspitze und Fersenbereich sowie Form und Position der Inserts, in die die Pins einrasten. Hier entscheiden oft Millimeter. «Wir hatten schon Fälle, in denen manche Grössen eines Skischuhmodells mit einer Bindung funktionierten, andere aber nicht», erzählt Matthias Schmid.
Zu weiche Tourenschuhe – Verletzungsgefahr
Ebenfalls problematisch: die Kombination breiter, relativ steifer Ski in Verbindung mit leichten, weichen Skischuhmodellen. «Untersuchungen mittels Computersimulation haben gezeigt, dass beim Vorwärtssturz mit einem weichen Skischuh ein zu geringes Drehmoment auf die Skibindung übertragen wird und deshalb das Fersenelement nicht ordnungsgemäss zur Auslösung kommt. Stattdessen gerät das Sprunggelenk in einen Beugebereich, der die anatomisch möglichen Grenzen überschreitet. Verletzungen von Sprunggelenk, Schienbein oder ein Riss der Achillessehne können die Folge sein», gibt Prof. Dr.-Ing. Veit Senner zu denken, Professor für Sportgeräte und Sportmaterialien an der Technischen Universität München.
«Langfristig wäre natürlich eine Norm wünschenswert, die Klarheit im Kompatibilitäts-Wirrwarr schafft», überlegt Matthias Schmid. «Allerdings würde eine solche Norm wohl die Innovationsfreude der Hersteller dämpfen und die Weiterentwicklung der Ausrüstung bremsen.» Für Tourengeher heisst das weiter: Augen auf bei der Materialwahl! Die Experten in den Skitourenabteilungen bei Bächli haben mittlerweile viel Erfahrung gesammelt und helfen gerne, das Ausrüstungspuzzle erfolgreich zu komplettieren. Schlüssel dazu ist eine sorgfältige Analyse des Einsatzbereiches und der individuellen Vorlieben. Und damit wirklich alles passt, führen die Bächli-Mitarbeiter mit dem montierten Material in der Filiale einen Funktionscheck durch, ehe auf Tour hoffentlich alles rundläuft.
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