Beim Skitourengehen geht es nicht ums Skifahren», schreit Dan, um den Lärm unserer ratternden Ski auf der harten, vereisten Schneeschicht zu übertönen. «Hast du das inzwischen gelernt?» Es ist gut, dass wir nicht für Pulverschnee auf das Bishorn gestiegen sind. Auf der Abfahrt nach Zinal rutschen wir zuerst über gefrorene Eiswellen, dann brechen wir durch Bruchharsch, und weiter unten wartet eine zementähnliche Masse auf uns. Schnee gibt es hier zwar noch jede Menge, nur nicht den, den wir alle lieben – Powder.
Das Bishorn ist einer der einfachsten Viertausender der Alpen. Ironischerweise wird er gelegentlich «Damen-Viertausender» genannt, dabei besteht die Menge der Tourengeher, die aufsteigen, fast ausschliesslich aus Männern. Drei Tage zuvor sind wir in St. Luc im Val d’Anniviers. Unsere dreitägige Tour führt uns nach Zinal – über die Turtmannhütte und die Cabane de Tracuit, eine einladender als die andere – und zwei hohe Gipfel, das Brunegghorn (3833 m) und das Bishorn (4153 m). Ein perfekter Rahmen für unser Girls-Wochenende, das die Skitourensaison beschliessen soll.
Ein Schlepplift und zwei uralte Tellerlifte erleichtern uns die ersten Höhenmeter. Wobei: Seit ich Steigfelle besitze, habe ich keinen Skilift mehr benutzt und ich befürchte, dass dies der schwierigste Teil der Tour werden könnte. Während ich mich an den Bügel klammere, fällt mir wieder ein, warum ich kein grosser Fan von Skigebieten bin. Sie erinnern mich an das Erlernen des Skifahrens, an viele Stürze und an überfüllte Pisten. Ich bevorzuge das Tourengehen, denn es schenkt einem mehr Zeit: Zeit, den Rhythmus zu finden, mit Freunden zu lachen, zu schwitzen, die Gegend zu betrachten. Und man muss keine Angst haben, aus dem Schlepplift zu fallen oder vom Tellerliftfahren Krämpfe in den Oberschenkeln zu bekommen. Andererseits haben wir noch viele Höhenmeter mit Fellen vor uns, also trauere ich dem Pistenaufstieg nicht nach. Schnell sind wir auf der Bella Tola, lassen die Bügel fallen und verlassen den Pistenbereich. Wir überschreiten den Kamm zwischen Val d’Anniviers und biegen in das ruhigere, in der Nebensaison fast schon verlassene Turtmanntal ein. Eine tolle Zwischenabfahrt mit perfektem Firn, eine lange Traverse über dem Tal und ein einfacher Aufstieg bringen uns zur Turtmannhütte. Von ihrer Sonnenterrasse können wir unsere beiden Gipfelziele schon sehen, einen Nachmittag lang schwelgen wir im Ausblick. Im Hinterkopf haben wir aber auch, dass es keinen schnellen Ausweg gibt. Von hier erfordert die Fortsetzung der Tour viel Ausdauer.
Hitze, Kälte, Kirschtorte
Die Turtmannhütte hat schon seit drei Wochen geöffnet, aber wegen des schlechten Wetters verliefen die ersten Tage der Skitourensaison ruhig. Magdalena Tscherrig, die Hüttenwärtin, schiebt Eimer in die Sonne, um den Schnee darin zum Schmelzen zu bringen. Heute sei tatsächlich der erste Tag, an dem Gäste mit dem Ziel Bishorn einträfen, erzählt sie uns. Mit perfekter Effizienz dekoriert sie ihre berühmte Schwarzwälder Kirschtorte, kocht das Abendessen und hält den Betrieb am Laufen. Unsere Bäuche sind schnell vollgestopft, und über dem Klappern von Essgeschirr diskutieren wir unsere Strategien, um der angekündigten Hitze des morgigen Tages zu entkommen.
Wir entscheiden uns für einen Frühstart. Unter dem noch tiefschwarzen Sternenhimmel ziehen wir unsere Aufstiegsspur in Richtung Brunegghorn, 1300 Höhenmeter auf dem Gletscher stehen uns bevor. Auch wenn der Morgen kälter ist als erwartet, wird es nicht lange dauern, bis der Schnee aufweicht. Im eiskalten, beissenden Wind sehne ich mich nach der Mittagshitze, obwohl ich weiss, dass wir uns in ein paar Stunden darüber beschweren werden. Wir deponieren die Ski unterhalb des Brunegghorns, schnüren unsere Steigeisen fest und steigen die letzten 200 Meter über eine vom Wind und Wetter vereiste Rampe hinauf. Die tolle Aussicht über das Mattertal und die vielen Viertausender sind den Abstecher zum Gipfel in jedem Fall wert.
Jetzt ist es endlich an der Zeit, die Felle wegzustecken. Der Firn ist perfekt, die riesige Masse des Bishorns, dem morgigen Gipfel, erhebt sich weit über uns. Ohne grosse Anstrengung gleiten und kurven wir johlend den Brunnegggletscher hinunter. Dort, wo der Gletscher nicht mehr abfällt, holen wir wieder die Felle hervor, um den letzten Aufstieg zur Cabane de Tracuit anzugehen. Auf den letzten Höhenmetern brennt die Sonne auf uns nieder, der feuchte Schnee stollt an den Fellen, und wir sind alle in unsere eigenen Gedanken vertieft. Der Aufstieg ist kurz, fühlt sich aber an, als müssten wir eine Wüstendüne erklimmen. Jetzt wünschen wir uns fast den eisigen Morgenwind zurück. Endlich ist die Hütte erreicht, ein imposanter, moderner Würfel aus Metall und Glas auf 3256 m. Die massiven Fenster im Speisesaal bieten vielleicht eine der besten Aussichten der Alpen, eine grosse Sonnenterrasse gibt’s noch dazu. Beide sind perfekt, um ein hochverdientes Stück Kuchen zu geniessen und auf das Abendessen zu warten. Während die Hütte an diesem sonnigen Wochenende geschäftig scheint, kommen in der Frühlings-Skisaison nur rund 1000 Tourengeher vorbei. Zur viel belebteren Sommersaison sind es etwa 5000 Wanderer und Bergsteiger.
Irgendwo zwischen Turtmannhütte und Cabane de Tracuit überqueren wir den Röstigraben, und das Wallis wird zum Valais. Das Durcheinander am nächsten Morgen vor der Tracuithütte, zwischen LVS-Check, Anlegen von Klettergurt und Fellaufziehen, geschieht folgerichtig im feinsten Sprachenwirrwarr. Zwischen der Hütte und dem Bishorn ist bereits eine lange Schlange von Tourengehern zu sehen. Der skitourentaugliche 4000er kann auch direkt von Zinal aus erreicht werden, entsprechend beliebt ist die Tour. Aber unsere Annäherung über das Brunegghorn und die Gletscher zur Tracuithütte am Vortag hat das Bishorn für uns noch spezieller gemacht – sind wir davor doch quasi einmal herumgeschlichen.
Übers Waschbrett ins Tal
Die 900 Höhenmeter führen uns in kurzer Zeit über die breite Rampe des Turtmanngletschers zu einem Skidepot, kurz unterhalb des Gipfels des Bishorns. Vom Gipfel selbst haben wir die Walliser Granden vor der Nase: Zinalrot- horn, Dent Blanche, Obergabelhorn – und natürlich das benachbarte Weisshorn, dessen Nordgrat direkt hier am Bishorn beginnt. Noch spannender ist für uns nur der Blick in die 2500 Meter lange Abfahrt, die nun bevorsteht. Der Schnee in der Gipfelrampe ist fast pistenähnlich, nur dass diese Piste auf der einen Seite in einen Abgrund führt, auf der anderen Seite in eine Spaltenzone.
Der Auftakt erinnert an ein gefrorenes Waschbrett, das sogar den Eispickel eines anderen Tourengehers vom Rucksack schüttelt. Susanne zeigt, was sie als Freeriderin drauf- hat. Schnell, steil und technisch ist genau ihr Geschmack. Wir anderen bevorzugen dann doch den Firn, auf den wir bei einer willkommenen Kaffeepause auf der Cabane de Tracuit warten. Glücklicherweise dauert es nicht allzu lange, bis die warmen Sonnenstrahlen ihr Werk vollbracht haben. Auf den letzten 1600 Höhenmetern ändert sich der Schnee ständig, sogar etwas Pulver ist dabei. Wichtiger als die Qualität ist ohnehin die Quantität des Schnees, und die reicht noch bis in die Ortschaft. Wir erreichen das Tal und legen den flachen Teil bis Zinal, entlang der Navisence, im Skatingschritt zurück. Besser könnte die Skitourensaison gar nicht zu Ende gehen: mit einem waschechten 4000er als Finale. Grinsend tauschen wir die Skischuhe gegen Flip-Flops – aber höchstens für ein paar Monate, so viel steht fest!
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