Bei einem Speed-Solo-Rekord werden die Bilder meistens nachgestellt: Hier fotografiert Thomas Senf (l.) Dani Arnold in der Matterhorn-Nordwand. Der Urner Extremalpinist durchstieg sie vorher in 1 Stunde 46 Minuten (April 2015).
Thomas Senf, wie gut müssen Sie als
Fotograf und Filmer klettern können,
um die besten Bergsteiger der Welt
zu begleiten?
Schon bevor meine Fotografenkarriere
startete, kletterte ich mit den
Profis. Auf den Expeditionen war ich
dann oft der Einzige, der brauchbare
Bilder machte. Mittlerweile ist das
Fotografieren mein Beruf geworden.
Ich gehe aber immer noch als Teil des
Kletterteams mit und steige auch mal
eine Seillänge voraus, um von oben
fotografieren zu können. Es kommt
vor, dass ich bei einer Erstbegehung
als Erster auf dem Gipfel stehe.
Sie klettern auf Augenhöhe mit den
Profis und schleppen zusätzlich die
schweren Foto- und Filmkameras mit?
Stimmt, mein Rucksack ist selten der
leichteste von allen. Wir versuchen
zwar, das Gewicht der gesamten Expeditionsausrüstung
im Team aufzuteilen.
Aber grundsätzlich ist der Fotografenjob
schon eine Plackerei. Ich bin mehr
Packesel als Speedalpinist.
Für die Profi-Alpinisten sind gute Bilder
wichtig, um ihre Touren vermarkten
können. Gibt es so etwas wie ein
Drehbuch, bevor Sie aufbrechen?
Das ist unterschiedlich. Als ich zum
Beispiel mit Stephan Siegrist in den
Kaschmir-Himalaja ging, wussten
wir im Voraus nicht mal, welchen
Berg wir besteigen werden. Da hielt
ich spontan fest, was mir relevant
schien. Bei einer solchen Expedition
versuche ich, mit den Bildern eine
runde Geschichte erzählen zu können
– so, wie ich sie erlebt habe, und so,
dass sie für Aussenstehende nachvollziehbar
ist und fesselt.
Wann sind Ziel und Erwartungen
vordefiniert?
Seit vielen Jahren fotografiere ich
etwa den russischen Profi-Basejumper
Valery Rozov, wenn er als
erster Mensch mit dem Flügelanzug
von einem Berg springt. Als er 2013
vom Mount Everest segelte, war es
meine Aufgabe, dieses eine Bild vom
Absprung zu erwischen. Dazu hatte
ich genau eine Sekunde Zeit, denn
ein Basejump geht extrem schnell.
Für mich zählte während der ganzen
Expedition diese eine Sekunde. Dafür
war ich sechs Wochen unterwegs
und stieg auf 7220 Meter.
Haben Sie bei solchen Hochrisiko-
Aktionen nie Angst, «das letzte Bild»
eines Athleten zu machen?
Wenn Valery Rozov einen neuen
Rekordsprung plant, oder Dani Arnold
ein Speed-Solo, setze ich mich vorher
intensiv damit auseinander, ob ich
dabei sein will. Entscheidend ist für
mich, dass der Athlet die Aktion gut
geplant hat, dass ich seine Fähigkeiten
einschätzen und ihm vertrauen
kann, dass er die Aktion bei schlechten
Gefühlen oder Bedingungen
abbricht. Bei Dani oder Valery ist dieses
Vertrauen da. Wenn ich dann mit
ihnen unterwegs bin, geht es mir nur
noch ums Bild. Ich stelle alle Emotionen
ab, verstecke mich vielleicht auch
ein bisschen hinter der Kamera.
Im besten Licht: Die Neuseeländerin Mayan Smith-Gobat klettert diese Schlüsselseillänge in «Riders on the Storm» als erster Mensch frei. Damit Thomas Senf sie in der ersten Morgensonne fotografieren kann, verlassen sie das Biwak in völliger Dunkelheit. Torre Central, Patagonien (Februar 2016).
In welchen Situationen wird
abgebrochen?
Mit Valery harrte ich am Uschba in
Georgien eine Woche auf 4000 Meter
aus bis das Wetter besser wurde und
der Cognac aufgebraucht war. Oder
diesen Frühling mit Dani in Kanada
– er brach das Projekt ab, weil das
Risiko zu hoch war.
Bleiben wir beim Risiko:
Wie wichtig ist es fürs Bild?
Es spiegelt sich nicht zwingend im
Bild. Ausserdem lassen sich nicht
diese Bilder am besten vermarkten,
bei denen ein Bergsteiger am meisten
Risiko einging. Der Einsatz wird
in den seltensten Fällen honoriert –
das musste ich auch erst lernen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Mit Ines Papert war ich in Kirgistan.
Wir wollten die Erstbesteigung der
Süd-Ost-Wand am 5842 Meter hohen
Mount Kyzyl Asker im Alpinstil realisieren.
Vier Wochen quälten wir uns
bei minus 20 Grad. Letztlich scheiterte
die Expedition an den äusseren
Bedingungen. 200 Meter unter dem
Gipfel kehrten wir um. Das Leiden,
das hinter diesen Bildern steckt, interessierte
niemanden. Kein Magazin
wollte sie kaufen.
Nach einer Tour in Nepal hatten
Sie sogar ernsthafte Erfrierungen
an den Zehen.
Ja. Wir waren in einem Stil unterwegs,
den ich «One-Way» nenne:
Es gab keine Rückzugsmöglichkeit.
Es war ein Schlüsselmoment in
meinem Leben. Ich bin glimpflich
davongekommen, musste mir aber
überlegen, wie viel Risiko ich künftig
noch eingehen will. Mit der Erkenntnis:
One-Way-Besteigungen sind
nichts für mich. Dazu bin ich nicht
mehr bereit.
Vor sechs Monaten ist Ihr Sohn Ben
auf die Welt gekommen. Hat die
Vaterschaft Ihre Risikobereitschaft
verändert?
Interessanterweise nicht. Aber ich
bin heute ohnehin anders unterwegs
als vor zehn Jahren. Ich machte meine
Erfahrungen und hatte mehrmals
Glück. Aus Fehlern wird man klug,
darum ist einer nicht genug.
Ihre Risikobereitschaft ist dennoch
grösser als «normal».
Ich weiss nicht, was normal ist.
Aber ich will nichts schönreden.
Bergsteigen ist grundsätzlich
gefährlich und Extrembergsteigen
noch ein Zacken mehr.
Wann entstehen die stärksten Bilder?
Sobald es am Berg nicht mehr lustig
ist. Wenn schlechtes Wetter herrscht und man sich am liebsten nur noch
in Daune verkriechen möchte.
Warum?
Weil es solche Bilder am seltensten
gibt, und wir uns alle für solche
Aufnahmen überwinden müssen. Ich
weiss, dass meine Finger vor Kälte
schmerzen, sobald ich die Kamera
hervorhole. Die Jungs und Mädels
achten nicht mehr darauf, vorteilhaft
für die Kamera zu posieren. Sie wollen
nur noch heil aus diesem Wetter
rauskommen. Für mich sind solche
Bilder der Inbegriff von Authentizität.
Eisklettern illuminieren: Die Verwirklichung seiner Idee dauert drei Jahre. «Das Ergebnis in einer Grotte in Norwegen übertraf meine kühnsten Erwartungen», sagt Thomas Senf (März 2013).
Wann ist ein Bild perfekt?
Wenn es eben authentisch ist und
die Kraft und Faszination der Berge
zeigt. Wenn der Betrachter sieht,
wie klein der Mensch im Gebirge
doch ist. Für mich steht immer die
Natur im Vordergrund. Ich gebe den
Bergen Priorität und versuche, den
Menschen darin zu platzieren.
Um die Gefahr möglichst bildhaft zu
inszenieren?
Als Fotograf möchte ich vor allem
Geschichten erzählen. Und auf
einem Bild ist eine Geschichte nur
nachvollziehbar, wenn der Betrachter
die Emotionen fühlen kann. Dieses
Wechselspiel zwischen Gefahr,
Leiden, Kälte und Schönheit, Freude,
Zufriedenheit. Das totale Glück
gibt’s nur bei maximalem Einsatz.
Können Sie als Fotograf und Filmer
die Kletterei überhaupt geniessen?
Mit der Professionalisierung geht
die Unbeschwertheit verloren, was
ich schade finde. In meinem Kopf
dreht sich während einer Expedition
alles darum, wo ich die besten
Positionen finde, welche Bilder es
noch geben muss. Sowohl am Berg
wie an den Ruhetagen im Lager. Ich
kann nie herumsitzen. Am extremsten
zeigt sich das auf dem Gipfel.
Wenn die anderen erleichtert das
Ziel erreichen, kann ich den freudigen
Moment nicht geniessen. Ich
muss sogleich wieder schauen, von
wo ich das schönste Gipfelbild und
die Emotionen in den Kasten bekomme.
Das ist Teil des Jobs. Für mich
übrigens ein Traumjob.
Sie stammen ursprünglich aus Leipzig
in Ostdeutschland. Wo haben Sie
klettern gelernt?
Im Elbsandstein. Er ist psychisch
eines der anspruchsvollsten Klettergebiete
der Welt, weil es extrem
wenige Bohrhaken hat. Da lernte ich,
mit der Angst umzugehen und mich
selber wahnsinnig gut einzuschätzen.
Ich stand so oft höchst verzweifelt
zehn Meter über dem letzten Sicherungspunkt
und musste mich selber
aus dieser Situation herausbringen.
Wenn man im Elbsandstein klettern
lernt, kann man überall auf der Welt
klettern und findet selbst die wildesten
Routen «plaisir».
Trotzdem zogen Sie in die Schweiz,
wo die Routen meist bestens gesichert
sind. Was brachte Sie hierher?
Die grossen Berge. Während des Studiums
suchte ich eine Praktikumsstelle
im Alpenraum. So kam ich zu Mammut
nach Seon. Es war Zufall.
Nun leben Sie seit 15 Jahren im Berner
Oberland. Warum gerade da?
Letztlich wegen Stephan Siegrist. Er
vermittelte mir damals eine Saison stelle als Skilehrer in Gstaad. In
dieser Zeit begann ich die Ausbildung
zum Bergführer, was schon zu
Teenagerzeiten mein grosser Traum,
aber für mich als Leipziger Lichtjahre
entfernt schien.
Jetzt arbeiten Sie aber nicht mehr
als Bergführer.
Wie sich vieles in meinem Leben durch
Zufall ergab, startete auch meine Fotografenkarriere
zufällig. Irgendwann
musste ich mich zwischen den beiden
Berufen entscheiden.
Nochmals zurück zur DDR: Als die
Mauer fiel, waren Sie 9-jährig. Welche
Erinnerungen haben Sie?
Für mich war es das Grösste, wenn
mir meine Tante aus dem Westen
zum Geburtstag eine Büchse Ananas
schickte, das gab's bei uns nicht.
Lange schämte ich mich dafür, in
der DDR aufgewachsen zu sein.
Heute bin ich eher stolz. Diese Zeit
hat mich stark geprägt. Wäre die
Mauer nicht gefallen, was wäre
mit mir geschehen? Ich kann mir
vorstellen, dass ich an der Mauer
erschossen worden wäre, weil ich
versucht hätte, zu fliehen.
Hat Ihr Freiheitsdrang mit der Mauer
zu tun?
Als die Mauer noch da war, war ich ein
Kind, sie hat mich damals nicht eingeengt.
Meinen Freiheitsdrang habe ich
unabhängig davon. Aber durch meine
Vergangenheit bin ich vielleicht etwas
radikaler, wenn es darum geht, mir
die Freiheit zu suchen.
Dennoch entschieden Sie sich, ein
Haus zu kaufen und eine Familie zu
gründen.
Für Sachen, die mir wichtig sind
– wie die Familie –, bin ich bereit,
meine Freiheit ein Stück weit aufzugeben.
Das bedeutet jedoch nicht,
dass ich einen konventionellen
Lebensstil führe.
Ihre Lebenspartnerin Rahel ist auch
Bergsteigerin. Ist das für Sie wichtig?
Ja. Meine vorherige, langjährige
Beziehung scheiterte genau daran,
dass meine Partnerin ein klassisches
Leben führen wollte – und ich
das weder konnte noch wollte.
Ihr Sohn Ben musste schon mit zwei
Monaten zum Bouldern in Frankreich
mit ...
Bis jetzt funktioniert mein Familienleben,
wie ich mir das vorstelle. Ben
verbringt viele Stunde in der Hängematte
am untersten Bohrhaken. Wegen
meiner neuen Familiensituation
unternehme ich dieses Jahr auch
keine Expedition. Ich will Zeit mit
meinem Sohn verbringen und ihn
aufwachsen sehen. Das ist mir mehr
wert als alles.
VERTIKAL
FOTOGRAF
Thomas Senf – 1981 in Leipzig
geboren – lebt seit 2002 im Berner
Oberland und spricht nahezu
akzentfrei Schweizerdeutsch.
Schon während seines Studiums
zum Maschinenbauingenieur zog
es ihn in die hohen Wände dieser
Welt. Ihm gelangen mehrere
Erstbesteigungen und Erstbegehungen
in den Alpen, in Asien und
in Patagonien. Er ist diplomierter
Bergführer und arbeitet seit
zehn Jahren hauptberuflich als
Fotograf und Dokumentarfilmer
der Profi-Alpinisten. Sie schätzen
ihn nicht nur wegen seiner Bilder
und als Kletterer, sondern auch
wegen seiner umsichtigen,
humorvollen Art. Sein neuester
Film «Tupendeo» wird derzeit an
verschiedenen internationalen
Bergfilmfestivals gezeigt.
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