Vom grünen Talboden wanderten wir durch ein verspieltes Aprilwetter auf das rund 1'800 Meter hohe Buochserhorn und kamen bei dichtem Nebel und Schnee auf dem Gipfel an. So reizvoll der Bergfrühling sein kann, verlangt er doch eine besondere Planung von Wandersportlern und -sportlerinnen – dies erlebten wir bei dieser Tour aus erster Hand und liessen die Zusatzschlaufe über den Bleikigrat ganz bewusst aus.
Wie zwei Pförtner wachen das Stanser- und das Buochserhorn am Eingang des malerischen Engelbergertals. Von beiden Gipfeln hat man eine grossartige Aussicht auf den Vierwaldstättersee und die umliegenden Berge. Die Spitze des Buochserhornes erfährt jedoch deutlich weniger touristische Bevölkerung, da sie nicht bequem per Seilbahn erreichbar ist, sondern Schritt für Schritt aus eigener Kraft erklommen werden muss. Also genau das, was wir ja sowieso bevorzugen .
Wir haben das Buochserhorn für eine Aprilwanderung gewählt, weil die Dallenwiler-Route kaum prekäre Passagen aufweist und sich auch bei gemischten Verhältnisse sicher begehen lässt.
Wir kamen an jenem Sonntag in den Genuss von so mancher reizvollen Laune, aber auch der einen oder anderen trügerischen Tücke des Bergfrühlings.
Durch das 34-Seelendorf auf den Gipfel
Das Buochserhorn lässt sich aus verschiedenen Richtungen besteigen: Von Dallenwil her, aus nördlicher Richtung von Buochs herkommend oder gar vom Seeufer im wunderschönen Beckenried aus. Wir attackieren die westliche Route: Von der Talstation Maria Rickenbach in Dallenwil durch mehrheitlich Wald bewältigen wir die ersten 650 Höhenmeter in rund zwei Stunden hinauf zum 34-Seelen-Dörfchen Niederrickenbach. Hier befindet Benediktinerinnen-Kloster Maria Opferung. Wir kaufen etwas Alpkäse und einige leckere, hausgemachte Fruchtriegel, welche wir sofort gierig vertilgen. Wir geniessen noch kurz den Blick auf die Dächer des verschlafenen Dörfchens und ziehen weiter. Durch Wald und über Wiesen steigen wir hinauf zum Bleikigrat, anschliessend steil hinauf zum Gipfelkreuz auf 1806 Meter über Meer. Etwas über 7 Kilometer Distanz und rund 1'300 Höhenmeter Aufstieg haben wir in 3.5 Stunden bewältigt.
Von der eigentlich phänomenalen Aussicht haben wir heute nicht viel – den Mittagssnack verspeisen wir in dichtem Nebel. Das macht aber nichts, das Wetter trägt heute viel zur besonderen Stimmung bei.
Der besondere Reiz des Frühlingswanderns
Wanderungen im Frühling können zu regelrechten Reisen durch unterschiedliche Klimazonen werden: Während man am Fusse des Berges schwitzend durch bereits saftig grüne Wiesen voller blühendem Löwenzahn wandert, findet man sich in Gipfelnähe in knietiefem Schnee wieder.
Genauso erging es uns bei dieser Wanderung: unten grün, oben weiss. In der zweiten Passage des Aufstieges oberhalb von Niederrickenbach gesellte sich ein eindrückliches Wolkenspiel dazu – mal wanderten wir im dichten Nebel und bereits im nächsten Moment riss die Wolkendecke auf, der Blick bis ins Tal hinunter wurde frei und wir fanden uns am Hang inmitten von gigantischen, sich sanft verändernden Wolkentürmen wieder. Das Naturschauspiel aus Wolken und Licht, grünen Wiesen und weissen Schneehängen, schuf eine ganz spezielle Stimmung, die uns für die versäumte Gipfelaussicht entschädigte.
Die besonderen Tücken des Frühlingswanderns
Wir haben das Buochserhorn gezielt als Wanderroute gewählt, weil die Route von Dallenwil bis auf den Gipfel keine ausserordentlich heiklen Passagen aufweist – mit Ausnahme des letzten steilen Abschnittes. Hier wanderten wir in Schnee und Nebel; die Welt war komplett in Weiss getaucht. Auf den letzten hundert Metern vor dem Gipfel fiel der Hang unweit zu unserer Rechten steil ab und man lief Gefahr, in der Orientierungslosigkeit viel zu nah am Abhang und möglicherweise gar auf dem Schneeüberhang zu wandern, ohne es zu merken. Ein Absturz wäre fatal.
Zur Sommerzeit würden wir beim Abstieg ohne zu zögern noch den Abstecher über den blau-weiss markierten Bleikigrat rüber auf die Musenalp machen. Doch heute verzichten wir gezielt darauf, weil wir die Traverse als Mismatch einstufen.
Die Bleikigrat-Traverse ist auf beiden Seiten stark abschüssig, der Untergrund ist verschneit und – obwohl unwahrscheinlich – können wir vereiste Stellen nicht vollständig ausschliessen. Die heikelste Passage des Grates ist 400 Meter lang. In einer kurzen Online-Recherche habe ich vorgängig herausgefunden, dass an der Schlüsselstelle am Ende des Grates Felsen und eine Leiter beklettert werden müssen. Ich finde nicht heraus, ob eine Lifeline installiert ist. Wir hätten die Halbsteigeisen zwar dabei, stufen die Ausrutsch- und Absturzgefahr jedoch als zu hoch ein. Dieses Auseinanderklaffen der Weganforderungen und unserer persönlichen Voraussetzung bezeichnet man als «Mismatch».
Wandersicherheit: Weganforderungen und Voraussetzungen entscheiden
Aus einer im Herbst 2020 veröffentlichten Studie der Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU geht hervor, dass das Nichtzusammenpassen von Anforderungen und persönlichen Voraussetzungen ein häufiges Phänomen beim Wandern ist. Die Forschenden haben verschiedene Faktoren identifiziert, welche die Sicherheit beeinflussen und auf Basis der Studienerkenntnisse wurde die Kampagne Wandern ist nicht Spazieren lanciert. Genau darum muss jede Wanderung zwingend bereits zu Hause bei der Planung und der Vorbereitung beginnen, um am Berg nicht plötzlich vor einem unerwarteten Mismatch zu stehen.
Was eine angemessene Frühlingswanderung ist und was nicht, muss jede und jeder für sich selber beantworten. Die Natur kann im Frühling faszinierende, wunderschöne Spielereien hervorzaubern, birgt jedoch auch anspruchsvollere Verhältnisse. Wer sich dies bewusst ist und sich dementsprechend vorbereitet, geniesst freudvolle Wanderungen und kehrt unversehrt zurück.
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