Im Grunde genügt dieses eine Bild, um die Philosophie
der Marke Movement zu verstehen. Es hängt in
Puidoux am Genfer See, im Büro des Firmengründers
Serge Baud und zeigt Baud, selbst beim Abfahren
durch eine furchtbar enge und steile Altschneerinne.
Splitterfasernackt.
Nach den wilden
«Fantasy Island»-Designs
der frühen Jahre dominiert
bei Movement-Showroom
heute der Minimalismus:
Edles Schwarz, gezielte
Farbtupfer.
Mit unkonventionellem Denken und Besinnung auf die
eigenen Stärken hat sich Movement einen klangvollen
Namen im Tourenski-Segment erarbeitet. Zu Zeiten,
als Skimarken je genau einen Tourenski im Sortiment
führten, kerzengerade und einigermassen leicht, experimentierte
der Skirennläufer und Snowboardpionier
Baud damit, das Prinzip der Schneesurfer auf Ski zu
übertragen. «Er hat gespürt, dass das Snowboarden
abflauen könnte. Die Idee, das Auftriebsprinzip auf Ski
zu übertragen, war natürlich genial – und auch, dass er
andere Leute gefunden hat, die daran geglaubt haben»,
erzählt Jean-Pierre Erni, der seit den Anfangstagen
von Movement dabei ist und sich heute um den Vertrieb
kümmert. Allen voran fand Baud den Vater seines Freundes Jean-François, den Modeunternehmer Richard
Cattaneo. Als Geldgeber stieg Cattaneo schon 1990 bei
Bauds Snowboard-Firma Wild Duck SA ein. 1999 ist die
Geburtsstunde der Skimarke Movement. Von Anfang an
geht es um Ski für’s Gelände: Tourenski, Freeridelatten,
Hauptsache etwas für den Pulverschnee. Bereits zwei
Jahre später rollt die erste Ski-Serie aus der Fabrik, ehe
im Jahr 2004 der grosse Knall folgt. «Der Red Apple war
der Ski, den man damals nicht machen durfte», lacht
Erni. Es war der erste Tourenski, der unter der Bindung
breiter als 70 Millimeter war. Eine so unkonventionelle
wie erfolgreiche Idee: Den «Red Apple» zierte ein Apfel,
in Anlehnung an den Nationalhelden Tell. Dank des
guten Auftriebs und erleichtertem Abfahrtsspass war
der Ski bald so beliebt, dass man im Waadtland nur noch
von «la marque avec la pomme» sprach, der Marke mit
dem Apfel. Woraufhin Movement begann, ihn auf alle Ski
zu platzieren.
Neben dem Apfel hatte sich auch das Prinzip deutlich
breiterer Ski in den Köpfen der Tourengeher festgesetzt. Natürlich auch dank anderer, grösserer Marken,
die nachzogen und wichtige Marketing-Arbeit für das
Auftriebsprinzip leisteten, wie Erni unumwunden zugibt.
Dass der Red Apple kein One-Hit-Wonder blieb, verdankt
die Firma dann auch einem glücklichen Umstand:
Cattaneo und Baud gelang es, im Jahr nach dem «Red
Apple» eine aufgegebene Produktionsstätte in Tunesien
zu übernehmen. Etwas südlich von Tunis hatte auch die
Snowboardfirma Nidecker erste Infrastrukturen errichtet,
sodass in dem nordafrikanischen Land das Knowhow
in der Holzpressverarbeitung stetig wuchs. Mit der
eigenen Produktionsstätte kann die nahezu unglaublich
kleine Firma – noch immer zählt die Belegschaft in
Puidoux nur zehn Personen – in grosser Unabhängigkeit
Skimodelle in die Tat umsetzen. «Wir wären niemals
da, wo wir sind, wenn wir nicht die eigene Herstellung
hätten», sagt Erni. «Wenn wir, wie so viele andere, kleine
Marken, bei Fremdherstellern fertigen müssten, hätten
wir sicher keine X-Series machen können.» Keine engen
Produktionsfenster, keine Vorgaben, keine Angst, kopiert
zu werden: «Das ist unser Spielplatz, und wir müssen
ihn nicht teilen. Darum sind wir so erfolgreich«, sagt Erni.
Die Unabhängigkeit in der Produktion kostet Movement
mit einer bemerkenswerten Innovationsfreudigkeit aus.
«Wir haben nie viel Geld in Werbung gesteckt», erzählt
Erni in den blitzsauberen Showrooms in Puidoux, «lieber
in neue Formen und Materialien». In den erwähnten
X-Series wurde eine besonders leichte und haltbare Glasfaserverarbeitung verbaut, wie sie auch in der Top-
Jacht Alinghi zum Einsatz kam. Horizontal verbaute Seitenwangen,
eigens angefertigte, in fünf Richtungen verklebte
Kohlefasermatten, fliessende Übergänge von der
Bindungsplatte in die Schaufel für hohe Torsionswerte:
An Ideen herrscht bei Movement kein Mangel, und dank
der eigenen Produktion sind die Prototypen fünf Wochen
später im Schnee. Wer nun ein gigantisches Entwicklungsbüro
in Puidoux vermutet, in dem hochkomplexe
CAD-Programme auf den Bildschirmen flimmern, liegt
daneben. «Wir haben es mit Millimeterpapier und Metallschablonen
gelernt», sagt Erni, «und es funktioniert.
Wir bauen vor allem mit Erfahrung.» Keine Berechnung von Zugfestigkeiten, keine Simulationen am Rechner?
«Wir testen nicht im Labor, sondern auf Schnee. Das
wirkt altmodisch, aber es zeichnet uns aus. Wenig mit
CAD zu machen, heisst nicht, dass das Produkt am Ende
nicht revolutionär sein kann.»
Skibau nach alter Schule, Trial and Error, ganz im Geiste,
in dem Serge Baud seinem Freund und «Teamfahrer»
Jean-François Cattaneo die Snowboards in der Garage
laminierte. Was Movement auszeichnet, hält auch die
Firmengrösse überschaubar. «Wir sind alle Skifahrer.
Von der ersten Idee bis zum Vertrieb an die Händler
sind die gleichen Leute wie bei der Gründung beteiligt.
«Wir sind alle
Skifahrer. Von der
ersten Idee bis
zum Vertrieb an die
Händler sind die
gleichen Leute wie
bei der Gründung
beteiligt.»
JEAN-PIERRE ERNI
Das hat man sonst nur noch in kleinen Manufakturen»,
sagt Erni. Dabei soll es bleiben, und daher sind dem
Wachstum Grenzen gesetzt. Die grosse Aufgabe für die
Zukunft wird sein, diesen Spirit beizubehalten – nach
drei schneearmen Wintern und der Eurokrise, die auch
an Movement nicht spurlos vorüberging. Eine Herausforderung
in der Sportartikelbranche, die verstärkt auf
die Zahlen schaut. «Früher haben wir an der ISPO noch
Kicker gebaut und uns von Motocross-Bikes drüberziehen
lassen», erinnert sich Erni. Seit 2015 ist das börsennotierte
Unternehmen Airesis («Le Coq Sportif») nahezu alleiniger Eigentümer von Movement. Die Weichen
wurden rechtzeitig gestellt – im August 2017 verstarb
der Mitgründer und Financier Richard Cattaneo im Alter
von 87 Jahren. Dennoch: Das Image der Marke ist gut,
die Mund-zu-Mund-Propaganda wirkt. Und die Produktpalette
wurde nach Jahren des Ausuferns wieder
verschlankt: Freerider, Tourengeher, Rennläufer sind die
erklärten Zielgruppen, auf die man sich bei Movement
mit einer klar definierten Produktpalette konzentriert.
Alpinski sind nach wie vor kein Thema. «Unser Vorteil
ist, dass unsere Ski eher die Freaks und Spezialisten
ansprechen. Die gehen auch raus, wenn die Verhältnisse
nicht hundertprozentig perfekt sind. Die breite Masse
geht nur Skilaufen, wenn es Schnee vor der Haustür
hat», sagt Erni. Vielmehr entwickelt sich Movement zum
Vollanbieter im Skitourenbereich. Man verkauft bereits
Helme und Stöcke, in Zusammenarbeit mit dem italienischen
Produzenten Roxa sogar selbst entwickelte
Tourenskischuhe.
Härtetest: Der zweifache Freeride-World-Tour-Sieger Aurélien Ducroz
ist das sportliche Aushängeschild der Movement-Familie. Auch der
Patrouille des Glaciers-Rekordhalter Yannick Ecoeur steht auf die
Movement-Leichtgewichte.
Vielleicht wird es sein wie mit Verbier: Lange Zeit prüfte
Movement seine frischen Bretter dort auf Herz und
Nieren. Nachdem der Ansturm dort zu gross wurde,
wechselte man ins Lötschental, oder auch auf die
andere Seite des Grossen St. Bernhard, wo der Pulverschnee
zwei Tage lang genug Platz bot. Solange sie in
Bewegung bleiben, werden den Jungs von Movement die
Ideen nicht ausgehen.
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