Hochleistungsseile aus Kunstfasern und moderne Sicherungsgeräte machen den Fels zu einem sicheren Spielplatz. Korrekte Handhabung und Materialwahl vorausgesetzt. Wenn sich das Seil bei einem Sturz spannt, dehnen sich rund 58‘500 Polyamid-Filamente. Sie sind jeweils halb so dick wie ein menschliches Haar und können einzeln mit der Hand zerrissen werden.
Das Konstruktionsprinzip ist seit den Fünfzigerjahren unverändert: Ein tragender Kern wird von einem schützenden Mantel umgeben. Die Fortschritte der Kern-Mantel-Konstruktion erfolgten seither in erster Linie bei der Weiterentwicklung der Rohstoffe. Der Fortschritt in Zahlen: 1963 erschien die erste Norm für Bergseile. Seitdem hat sich der Durchmesser der dünnsten Einfachseile von 12 Millimeter auf 8,5 Millimeter reduziert. Gleichzeitig sind die Normanforderungen an die Festigkeit um das Dreifache gestiegen. Erreicht wird diese einerseits durch eine immer ausgeklügeltere Anordnung und Verflechtung der Fasern des Seils, andererseits durch einen Schrumpfprozess in einer Art überdimensionalem Dampfkochtopf. Temperatur, Feuchtigkeit und Luftdruck lassen die Kunstfaser-Bestandteile eingehen wie eine Jeans in der zu heissen Waschmaschine. Das Material verliert dabei etwa ein Drittel seiner Länge. «Soviel das Material zusammenschrumpft, soviel kann es sich auch wieder ausdehnen», Bächli Bergsport Produktexperte Matthias Schmid.
Die überspannten Fasern ziehen sich wieder zusammen, wenn die Belastung nachlässt. Nach einem Sturz erreichen sie allerdings nicht ganz ihren Ursprungszustand, ein Teil der Dynamik geht verloren. Dadurch altert das Seil mit jedem Sturz, die Dehnfähigkeit geht zurück. Bei intensiver Nutzung sinken also die Sicherheitsreserven. Kletterseile sind Gebrauchsgegenstände und müssen deshalb regelmässig ausgetauscht werden. Sehr dünne Seile sind von solchen Verschleisserscheinungen stärker betroffen als dickere Konstruktionen. Denn ab einem gewissen Durchmesser muss konstruktionsbedingt am Mantel, also der schützenden Hülle, gespart werden. So ist die Mantelstärke ein entscheidender Faktor für die Lebensdauer von Seilen.
Beim Sportklettern kommt eine kritische Belastung selten vor, weil der Routenverlauf oft gerade und die Felswände glatt sind. «Gefährlicher wird es im alpinen Gelände wo Zick-Zack-Routen zwischen Felsblöcken und gestufte Passagen das Seil um Ecken und Kanten schleifen», erklärt Matthias Schmid. «Hier empfehle ich die Verwendung von nicht allzu dünnen Halb- und Zwillings-Seilen mit erhöhtem Mantelanteil sowie imprägniertem Kern und Mantel.» Denn mit einer Reduktion des Seildurchmessers sinken auch die Sicherheitsreserven. Eine Untersuchung der Sicherheitsforschung des Deutschen Alpenvereins DAV zeigt: Der Schritt vom 10,3-er Seil zum 9,1-er Seil reduziert die Scharfkantenfestigkeit fast um die Hälfte.
Grenze überschritten?
Die Probleme mit dünnen Seilen beim Sichern sind in der Kletterwelt am präsentesten. «Dünne Seile können eine Unfallursache sein, wenn jemand nicht genügend Handkraft aufbringen kann», warnt Schmid. Ein dünneres Seil erzeugt im Sicherungsgerät weniger Reibung. Das Seil kann leichter durchrutschen und im schlimmsten Fall lässt sich ein Sturz unter Umständen nicht mehr halten. Ab einem gewissen Durchmesser passt das Seil schlicht nicht mehr zur Anatomie der Hand. Gerade weniger routinierte Kletterer, die ihr dickes Standardseil gegen ein angepriesenes Leichtgewichtswunder tauschen, können beim Sichern überfordert sein. Der Sicherheitsexperte und damalige Präsident der UIAA-Sicherheitskommission, Pit Schubert, schrieb deshalb schon 2003 in der Fachzeitschrift Berg und Steigen: «Hinsichtlich des Seildurchmessers ist eine wesentliche Reduzierung auch nicht mehr sinnvoll, weil man dann zur Sicherung bald nichts mehr in den Händen hätte.» Damals hatte das dünnste Einfachseil einen Durchmesser von 9,4 Millimeter. Heute sind’s bei den Sportkletterleichtgewichten noch 8,5 Millimeter.
Sicherungsgerät & Seil im Kompatibilitäts-Check
«Umso wichtiger ist es, dass das Sicherungsgerät den Reibungsunterschied ausgleicht» erklärt Matthias Schmid. Die Gefahr, dass Seil und Sicherungsgerät falsch kombiniert werden, ist durchaus real – das zeigen auch die Unfallstatistik in den Kletterhallen. «Bei Bächli Bergsport klären wir deshalb in jedem Fall im Rahmen eines Beratungsgesprächs, für welchen Einsatzzweck der Kunde Seil und Sicherungsgerät vorgesehen hat und welche Produkte kombiniert werden.» Auch die Hersteller machen Empfehlungen hinsichtlich des Seildurchmessers, die oft auch auf dem Sicherungsgerät selber deklariert sind.
Routine verspricht Sicherheit
Mindestens ebenso wichtig wie die korrekte Kombination von Sicherungsgerät und Seil ist die korrekte Anwendung der Produkte. «Bei den Sicherungsgeräten ist es enorm wichtig, dass die Handhabung dank regelmässiger Anwendung absolut instinktiv erfolgt», erklärt Schmid aus Erfahrung. «Gefährlich wird’s dann, wenn man öfters zwischen verschiedenen Sicherungsgeräten wechselt oder aber nach langen Jahren von einem zum anderen Gerät wechselt.» Seine Empfehlung lautet deshalb, dass man auch dann bei demselben Gerätetyp bleibt, wenn man in verschiedenen Kletterdisziplinen aktiv ist. Und man solle sich in jedem Fall gut überlegen, ob man einen Gerätetypwechsel vornehmen wolle. «Alle Gerätetypen haben ihre je eigenen Vor- und Nachteile», erklärt Schmid, «umso wichtiger ist, dass man deren Handhabung in jeder Situation beherrscht und das Bremshandprinzip auch in Stresssituationen oder durch Ablenkungen jedwelcher Art nicht vergessen geht.» Egal für welches Sicherungsgerät oder Seil man sich letztlich entscheidet, so der Bächli-Experte, so darf man nicht vergessen, dass die korrekte Anwendung des Halbmastwurfs auch heute noch essentielles Grundwissen ist: «Diese Sicherungstechnik muss man beherrschen, gerade beim alpinen Klettern.»
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