Jedes Bergsportprodukt hat eine primäre Funktion. Hardshells müssen Wind und Regen abhalten, Kletterseile müssen Sturzenergie aufnehmen, ohne zu reissen, und Lawinenverschüttetensuchgeräte, oder kurz: LVS-Geräte, müssen Ersthelfer schnell und zuverlässig zum Verschütteten lotsen. Wobei beim LVS-Gerät, anders als bei Seil oder Jacke, immer noch ein beträchtlicher Anteil des Gelingens vom Benutzer abhängt. Kein anderes Bergsportprodukt muss im Ernstfall unter so grossem Stress bedient werden wie der «Piepser». Denn wenn ein guter Freund oder eine gute Freundin unter dem Schnee begraben liegt und die Zeit drängt, dann ist ein «kühler Kopf» unendlich leichter gesagt als bewahrt. In Panik kann selbst das Umschalten von «Senden» auf «Suchen» zu einer Herausforderung werden. Gute LVS-Geräte sind also nicht nur sehr leistungsfähig, sondern müssen auch im Ausnahmezustand intuitiv zu bedienen sein.
Doch der Reihe nach. Was steckt eigentlich in einem LVS-Gerät? Die europäische Norm 300718 schreibt vor, dass LVS-Geräte auf der einheitlichen Frequenz von 457 kHz senden. Was logisch klingt, ist nicht selbstverständlich, denn noch in den 1980er-Jahren herrschte ein Durcheinander von Frequenzen. Erzeugt und empfangen werden die Signale mit hochsensiblen Ferritantennen – drei davon sollte heutzutage jedes LVS-Gerät besitzen. Denn gesendet werden die Signale entlang einer Achse, und zwar nicht strahlenförmig, sondern in nierenförmigen Feldlinien. Vereinfacht gesagt wandert das Signal in einem Bogen vom einen Pol einer Antenne zum anderen Pol. Experten sprechen von einer «ungünstigen Koppellage», wenn das vom Sender ausgestrahlte Magnetfeld beim Empfänger kein Signal erzeugt. Daher suchen moderne LVS-Geräte mit drei Antennen – in jede Richtung des Raumes eine, damit das Sendesignal auch beim Empfänger registriert werden kann. Die Antennen sind auch der Grund, warum Nutzer nicht über die Grösse von LVS-Geräten klagen sollten. Zwar wirken die Geräte im Vergleich zu sieben Millimeter flachen und superschlauen Smartphones recht klobig. Doch die Signalstärke der Antennen, die das grösste Bauteil in einem LVS-Gerät sind, hängt direkt von ihrer Grösse ab, und hier ist das physikalische Limit erreicht. «Die ideale Form für ein LVS-Gerät wäre ein Würfel», sagt Heinz Stocker, Marketing-Manager bei der österreichischen Firma Pieps. Dann könnten alle drei Antennen gleich gross und stark sein. Weil ein LVS-Gerät aber immer am Körper getragen werden muss – einen Rucksack kann die Lawine mit Leichtigkeit davonschleudern – muss zumindest eine Antenne kürzer ausfallen.
Gut geführt
Matthias Schmid, Bächli-Bergsport-Experte, bewertet das derzeitige Angebot an LVS-Geräten positiv. «Die Entwickler machen zurzeit einen super Job. Eine Weile gab es fast eine Flut an neuen Geräten – da war nicht immer so klar, welche die zuverlässigsten sind. Heute hat sich das Angebot ziemlich konsolidiert.» Zentrale Funktionen, die ein modernes LVS-Gerät leisten sollte, sind neben den standardmässigen drei Antennen: eine Suchstreifenbreite von mindestens 50 Metern, ein kontrastreiches Display mit Beleuchtung, Gruppencheck, eine Markierfunktion bei Mehrfachverschüttungen sowie eine automatische Umschaltung vom Such- in den Sendemodus, für den Fall von Nachlawinen. Alle bei Bächli Bergsport erhältlichen Geräte haben das drauf. «Bei den Geräten, die wir derzeit anbieten, geht es eigentlich nur noch darum, welche Benutzerführung dem Kunden mehr entgegenkommt», so Schmid.
Stichwort Benutzerführung: Wie eingangs erwähnt, sollten gute LVS-Geräte so intuitiv wie möglich sein, gleichzeitig aber mit vielen Suchszenarien zurechtkommen. Diesen Spagat beherrschen die Hersteller immer besser: «Wer heute ein neues Gerät in die Hand nimmt, kommt fast schon auf Anhieb damit klar», findet Schmid und hebt ein Gerät besonders hervor: «Die visuelle Führung zum Verschütteten ist beim Barryvox S von Mammut schon klasse gelöst.» Neben dem Richtungspfeil und der Distanz zeigt das Display etwa auch an, in welchem Tempo und Muster sich der Sucher über den Lawinenkegel bewegen sollte. Und wer sich zwar auf der richtigen Feldlinie, aber in die falsche Richtung bewegt, wird per Signal zur 180-Grad-Wende aufgefordert. Zielführend, im wahrsten Sinne des Wortes, ist nicht, die LVS-Geräte mit möglichst vielen Funktionen vollzustopfen, sondern die Suche zu vereinfachen. So sind LVS-Geräte mit integriertem Höhenmesser etwa wieder vom Markt verschwunden.
Jeder Wintersportler, der im Gelände aktiv ist, braucht ein LVS-Gerät, vom Skitourengeher über den Eiskletterer bis zum Alpinisten. Diesen sehr breiten Markt bedienen fast alle Hersteller mit einer zweigleisigen Strategie: Neben einem Topmodell mit Funktionen für Profi-Anwender (etwa Bergführer und -retter) wird ein etwas günstigeres Standardmodell angeboten. Mammuts Topmodell Barryvox S verfügt etwa über einen Analog-Modus mit erhöhter Suchstreifenbreite und kann Vitaldaten von Verschütteten (etwa Bewegungen beim Atmen) übermitteln. Modelle von Pieps lassen sich via Bluetooth per App konfigurieren. «Eine klasse Funktion, auch für Übungsszenarien», meint Bächli-Experte Schmid, «aber konfigurieren sollte man das Gerät zu Hause, nicht dann, wenn man die Lawine schon kommen sieht.» Schmid selbst rät zwar nicht jedem Kunden zum Topmodell. «Aber oft stören die Zusatzfunktionen für Profis den Einsteiger nicht. Ein Fahranfänger nimmt ja auch kein Auto ohne ABS.»
Fehlerursache Mensch
In jüngster Zeit häuften sich die Berichte über Fehlfunktionen an LVS-Geräten, die Branche verzeichnete steigende Reklamationsraten, und selbst SRF berichtete Ende November über «Geistersignale beim LVS-Gerät». Dahinter steckt in so gut wie allen Fällen: der Mensch. Ursächlich für die Fehlfunktionen sind metallische Gegenstände sowie elektronische Geräte, die sich zu nah am LVS-Gerät befinden. Im Sendemodus können Lawinenschaufeln, Sackmesser oder Magnetknöpfe, aber sogar die Alufolie eines Müesliriegels das Signal abschirmen. Noch anfälliger für Störungen ist der Suchmodus: Elektronische Helfer wie Kameras, Smartphones oder GPS-Uhren können Probleme verursachen, wenn sie dem LVS-Gerät zu nah kommen – insbesondere im Suchmodus. Übrigens stören Smartphones auch dann, wenn sie im Flugmodus oder ausgeschaltet sind, und zwar umso mehr, je grösser ihr Display ist. Matthias Schmid erlebte auf einer Übung, wie sich ein beheizbarer Handschuh als Übeltäter entpuppte: «Die Heizschlaufen im Handschuh haben sich gar nicht mit dem LVS vertragen». Die Hersteller weisen in ihren Bedienungsanleitungen offensiv auf diesen Umstand hin. 50 Zentimeter Abstand vom LVS-Gerät im Suchmodus und 20 Zentimeter im Sendemodus gelten derzeit unisono als ausreichend. Das Handy sollte man also keinesfalls mit dem LVS-Gerät in eine Tasche stecken. Zudem reagieren die Hersteller aktiv auf die «Fehlbedienungen»: Mammuts Barryvox reduziert etwa die Sensibilität von Antennen (und damit die Suchstreifenbreite), wenn Störelemente vorliegen, bei der «Interference Protection» von Pieps wird automatisch auf die weniger beeinträchtigte Antenne umgeschaltet. Zudem sollen Geistersignale verhindert werden, indem ausschliesslich über 457 kHz gesendete Signale als Verschüttung angezeigt werden.
Letztlich liegt eine erfolgreiche Suche mit dem LVS-Gerät aber immer noch in den Händen des Nutzers. «Bei uns im Laden kann man alle Funktionen ausprobieren, das Gerät in die Hand nehmen», empfiehlt Schmid, auch einfache Suchszenarien sind vor Ort möglich. Hat man sich für ein Gerät entschieden, «ist üben, üben, üben angesagt. Jährlich mit den Freunden zum Auftakt eine kleine Tour machen, die LVS auspacken und alles üben, das ist immer eine gute Idee.» Damit im Ernstfall jeder weiss, was zu tun ist.
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