Im Zuge der modernen Erschliessung in den 1990er- und 2000er-Jahren herrschte dann grosse Geheimniskrämerei um die Aktivitäten. Die Locals wollten keine auswärtigen Erschliesser in ihrem Revier und verzichteten auf die Weitergabe von Infos über ihre Touren. Die Situation änderte sich mit der erstmaligen Publikation des Gebiets im Jahr 2009. Ab diesem Zeitpunkt herrschte während ein bis zwei Sommern etwas mehr Betrieb.
Rapunzel-Route
Doch diese Welle verebbte rasch wieder und auch in den populären Filidor-Auswahlführern blieben die Jegerstöck aussen vor. Klar, der Zustieg an die Jegerstöck ist immer noch nicht kürzer geworden und in eigentlich jeder der längeren Routen kann man darauf zählen, auch ein paar ruppige Passagen anzutreffen. Dies unterstreicht aber nur das alpine Ambiente dieser Touren und der Erlebniswert wird deswegen auch nicht kleiner. Eines ist sicher, wer sich diesen kleinen Nachteilen stellt, wird über weite Strecken mit grandios-rauhem Hochgebirgskalk, kühnen Linien und grandiosen Tiefblicken ins Klausengebiet belohnt.
Alpines Plaisirklettern
Am zugänglichsten und plaisirtauglichsten ist sicherlich der vorgelagerte Gabchopf. Hierhin gelangt man weitgehend über Wanderwege und problemloses Gelände in einer guten Stunde an die Einstiege. Mit Routenlängen bis zu sechs Seillängen handelt es sich nicht um epische Bergfahrten, sondern um genussreiche Halbtagestouren, über welche bequem wieder an den Einstieg abgeseilt werden kann. Fast alle Routen wurden 2009 saniert und mit zusätzlichen Bohrhaken ausgestattet, so dass sie heute plaisirtauglich abgesichert sind. Die empfehlenswertesten Touren sind sicherlich «Tüüfflüger», «Hanäschrei» und «Diä Gäch», auch wieder so ein klingender Name.
Carpe Diem-Route
Ein Weiteraufstieg vom Gabchopf-Gipfel aufs Zingelfad zu den Einstiegen am Rot Nossen ist zwar in nur 20 Minuten möglich, aber mit Schwierigkeiten von T5 bereits ein Fall für den alpin versierten Abenteurer. Auch die eher kurzen Routen am Wandsockel wie «Spätzünder», «Alpeligeischt» und «Glarnergrindä» sind lohnend. Es handelt sich aber um alpine Freiklettereien, die nur mit den nötigsten Bolts ausgestattet sind und vom Begeher Selbstvertrauen und Eigensinn in der Routenwahl sowie einen sicheren Umgang mit Cams erfordern.
Einzig die «Rapunzel» etwas weiter rechts am Rot Nossen fällt in die Kategorie Alpinplaisir. Bei ihren 14 Seillängen wird man aber gerne auf das Aufwärmen am Gabchopf verzichten wollen, doch der Zustieg durch die Alpelichäle und den westlichen Teil vom Zingelfad ist gut machbar. Eigentlich erstaunlich, dass diese sehr imposante, aber doch moderat schwierige und gut mit vielen Bohrhaken abgesicherte Route nur ungefähr eine bis zwei Begehungen pro Jahr sieht. Aber wahrscheinlich ist die Route den Plaisirkletterern zu schwierig und doch zu alpin, den Extremen fehlt das Renommee und die Challenge und für die Klassikerjäger ist die Route zu neu und zu wenig bekannt.
Wild
Orientiert man sich vom Rot Nossen weiter nach rechts, so werden die Zustiege über das Zingelfad generell länger und schwieriger, die Bergfahrten (noch) alpiner. Wer sucht, der findet in «Carpe Diem» und «Herkules» zwei echte Perlen, die den Aufwand auf jeden Fall lohnen. Mein konkreter Tipp spielt sich aber weiter links am Läckistock ab. Erst im 2016 wurde die «Venus» durch die Lokalmatadoren Ueli Frei und Urs Rast entdeckt und eingerichtet. Nach einem fulminanten Auftakt mit drei sehr gut abgesicherten Seillängen im 7a-Bereich wartet auf den restlichen acht Sequenzen schöne, luftig-ausgesetzte und weiterhin top gesicherte Kletterei im sechsten Franzosengrad, welche bis wenige Schritte vors Gipfelkreuz führt. Klar, Allergiker werden hier und da die Schärfe des Gesteins, ein paar wenige grasige Abschnitte und einige klausentypische Abschnitte mit minderem Fels argwöhnen. Aber ganz ohne diese Attribute hätte man ja auch keine echte Jegerstöck-Tour geklettert, oder?
Rapunzel-Route
Jedenfalls darf man die «Venus» sicher zum Genre des alpin angehauchten Mehrseillängen-Sportkletterns mit Gipfelerlebnis zählen, welche nach den neusten Standards abgesichert ist. Hingehen und geniessen, kann man da nur sagen. Allerdings beträgt der Zustieg hier hinauf schon rund 90 Minuten und beinhaltet zum Schluss eine weglose, etwas mühsame, wenn auch unschwierige Schutthalde.
Aber so ist das eben an den Jegerstöck – ohne Einsatz und dem Vergiessen einiger Schweisstropfen geht wenig und jede noch so schöne Tour hat bestimmt den einen oder anderen kleinen Makel, der dafür umso mehr ihren Charakter prägt.
Über den Autor
Vom Boulderblock zum Bigwall, vom sonnigen Klettergarten zur grimmigen Nordwand, ob mit Kletterfinken oder mit Steigeisen, das Klettern und Entdecken in allen Facetten ist Marcels Passion – genauso, wie er danach über seine Abenteuer berichtet. Ebenso ist er auch gerne mit den Tourenski, dem Ultraleicht-Gleitschirm und seiner Familie in den Bergen unterwegs.
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