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Hohe Kost - Essen auf Hochtour

Rabea Zühlke, Mittwoch, 31. Mai 2023

Frühstück um halb drei, zum Mittagessen einen hart gefrorenen Riegel und zum Abendessen viel zu viel auf einmal: Auf Hochtour muss unser Körper einiges aushalten. Wie wir unseren Speicher effizient auffüllen, was uns während der Tour guttut und worauf wir verzichten sollten: ein Ratgeber.

Wir checken den Wetterbericht, bereiten uns auf die Schlüsselstelle vor, besprechen das Material mit unseren Tourenpartnern. Wenn wir auf Hochtour gehen, planen wir akribisch. Nur eines vergessen wir fast immer, wie die Autorin des Bestsellers «Darm mit Charme» wunderbar zusammengefasst hat: «Unser Darm-Gewohnheitstierchen fährt mit – und wird plötzlich völlig im Stich gelassen.» In kaum einer anderen Bergsport-Disziplin (ausgenommen Expeditionen) macht sich das so schnell bemerkbar wie auf Hochtour: Nicht selten kommen Bergsteigerinnen und Bergsteiger während der Tour in den Unterzucker, leiden nach dem Abendessen an Bauchschmerzen oder an Verstopfung. Für unsere Verdauungsorgane bedeuten Hochtouren: Ausnahmezustand.

 

Gut gefüllt in die Höhe starten

Je nach Aktivität braucht der Körper unterschiedliche Nährstoffe. Bei kraftausdauerbetonten Sportarten wie Hochtourengehen wird die Energie vor allem aus Kohlenhydraten gewonnen. Der Körper kann auf diese einfacher und doppelt so schnell zugreifen wie zum Beispiel aus Fettdepots. «In den 48 Stunden vor der Tour ist es daher sinnvoll, sein Glykogen, also den Kohlenhydratspeicher, aufzufüllen», erklärt Wilma Schmid, die als Ernährungsberaterin eine eigene Praxis für Sporternährung in Luzern führt. So werden die zugeführten Kohlenhydrate in Glykogen umgewandelt und in Leber und Muskeln gespeichert – ehe der Körper bei Anstrengung daraus die Energie zieht. «Jede Hauptmahlzeit sollte zur Hälfte aus einer leicht verdaubaren Stärkebeilage wie Brot, Reis, Pasta, Kartoffeln oder Polenta bestehen. Eiweiss und Gemüse sollte man aber nicht weglassen, sondern einfach reduzieren», rät die Expertin. In Prozenten ausgedrückt bedeutet das: Die für den Alltag empfohlene Faustregel einer 50-30-20-Nährstoffverteilung verschiebt sich wenige Tage vor der Hochtour zugunsten der Kohlenhydrate (60 Prozent), dafür sollten weniger Fette (ca. 25 Prozent) und weniger Proteine (ca. 15 Prozent) aufgenommen werden. Neben den genannten Kohlenhydratlieferanten sind alle Arten von Getreideprodukten wie Naturreis, Quinoa, Buchweizen oder Hirse empfehlenswert. Hochwertige Fette liefern Pflanzenöle, Nüsse oder tierische Fette wie Lachs. Eiweisse (Proteine), die den Körper mit wichtigen Aminosäuren und Stickstoffen versorgen, sind in Milchprodukten, Eiern, aber genauso in magerem Fleisch oder in Hülsenfrüchten wie Linsen enthalten.

 


Hüttenschmaus oder -graus?

Am Abend vor der Tour wird gegessen, was auf den Tisch kommt – glücklicherweise meist zur Freude der Bergsteiger und Bergsteigerinnen. Neben einem vegetarischen Menü, das mittlerweile zum Standard gehört, bieten einige Hüttenwirte zusätzliche Alternativen für diverse Unverträglichkeiten an. «Die Herausforderung auf hohen Hütten ist, allen gerecht zu werden», sagt Esther Bitschnau, die auf der 2328 Meter hohen Bächlitalhütte im Grimselgebiet begrenzte Möglichkeiten hat. «Mittlerweile gibt es viele Personen mit einer Gluten- oder Laktoseintoleranz, dann gibt es Allergiker, die keine Tomaten oder Nüsse essen dürfen, und neben den Vegetariern noch die Veganer.» Auf der Bächlitalhütte, die als Ausgangspunkt für Hochtouren wie den Gross Diamantstock dient, werden die Menüs abgewechselt. «Und im vegetarischen Menü schaue ich direkt, dass es ebenso laktosefrei ist. Statt Rahm nehme ich dann Kokosmilch.» Kompromisse werden ebenso bei der Stärkebeilage getroffen: «Für Hochtourengeher wäre Pasta besser als Reis – wegen des höheren Kohlenhydratgehaltes. Aber dann gibt es Personen mit Glutenunverträglichkeit, weswegen wir auf Reis ausweichen.» Mehrmals die Woche wird komplett fleischfrei gekocht. Dann schaut Esther Bitschnau, dass mehr Käse und Rahm enthalten sind, damit genügend Kalorien aufgenommen werden können. Zu viel Fett ist allerdings nicht ratsam, da dieser viel Verdauungsenergie braucht. Im schlimmsten Fall ist der Körper in der Nacht mehr mit dem Verdauen statt mit dem Schlafen beschäftigt. «Deswegen passen wir die Suppen immer zur Hauptspeise an: Gibt es schwere Gerichte wie Älplermagronen, machen wir eine klare Bouillon dazu.»


Der Darm – unser Gewohnheitstier

Viele Bergsteigerinnen und Bergsteiger gehen mit einem unangenehmen Völlegefühl oder Bauchschmerzen ins Bett. Das kann mehrere Gründe haben: Zum einen hat die Höhe einen grossen Einfluss auf unsere Verdauung. «Durch die Höhe wird der Magen-Darm-Trakt weniger durchblutet – bei untrainierten Gipfelstürmerinnen und Gipfelstürmern nimmt die Magendurchblutung bereits auf 2500 Metern über Meer ab. Hinzu kommt ein Flüssigkeitsdefizit und auch die Hunger- und Sättigungshormone sind aufgrund der Anstrengung, der Höhe sowie der Kälte verändert», erklärt Ernährungsberaterin Wilma Schmid. «In Kombination mit fettigem Essen kann das natürlich den Magen und den Darm kurzfristig überfordern», weiss auch Produktmanagerin Andrea Brändli, die bei Bächli Bergsport den Einkauf für Nahrungsmittel verantwortet. «Hinzu kommt, dass sich viele Bergsteiger zu Hause ganz anders ernähren», so Brändli. Auf der Bächlitalhütte wird viel Winter- und Lagergemüse verarbeitet: Wurzel- und Kohlgemüse wie Kohlrabi, Sellerie, Weiss- oder Rotkohl. «Vor allem Kohl kann schwer im Magen liegen, wenn man das nicht gewohnt ist», ergänzt Hüttenwirtin Esther Bitschnau. Ein weiterer Faktor ist der veränderte Mahlzeitenrhythmus: Die Nerven, also unsere «Darm-Gewohnheitstierchen», wissen, was und vor allem wann wir gerne essen. Wenn wir nun plötzlich um drei Uhr nachts frühstücken, das Mittagessen ausfallen lassen und uns abends den Magen vollhauen, irritiert das die Darmnerven. Blähungen, Verstopfung oder Durchfall können folgen. Umso wichtiger ist es, auf den Flüssigkeitshaushalt zu achten. Die Urinfarbe gibt Aufschluss, ob dem Körper Flüssigkeit fehlt: «Der Urin sollte nicht konzentriert, sondern hellgelb sein«, rät Schmid.

 

Abendessen to go

Wer Biwak-Romantik statt Hüttenflair bevorzugt – oder keine andere Wahl hat –, achtet weniger auf kulinarischen Hochgenuss. Vielmehr steht das Gewicht-Kalorien-Verhältnis genauso wie eine simple Zubereitung im Fokus. Wird nur ein Kocher mitgenommen, sind Pasta oder Polenta mit Pesto schnell zubereitet. «Wobei man mit Polenta schon einiges mehr an Gewicht mitträgt als mit Pasta», gibt die Bächli-Expertin Brändli zu bedenken. In puncto Gewicht und Zubereitung sind gefriergetrocknete Trekkingmahlzeiten nicht zu übertreffen: Die Fertiggerichte müssen nur mit kochendem Wasser aufgegossen werden und liefern bei einem Gewicht von 100 bis 200 Gramm meist schon über 600 Kilokalorien. Der Herstellungsprozess der gefriergetrockneten Nahrungen von Trek’n Eat, Lyofood oder Real Turmat ist immer derselbe: «Die Menüs werden frisch gekocht, dann schockgefroren und schliesslich wasser- und luftdicht abgepackt. So bleiben die Nährstoffe und der Geschmack erhalten», sagt Brändli. Bei Bächli Bergsport kommen ausschliesslich Trockenmahlzeiten ohne Konservierungsstoffe, Geschmacksverstärker oder Farbstoffe ins Sortiment, weswegen die Gerichte in der Regel gut verträglich sind. Ein weiterer Pluspunkt ist die Haltbarkeit von meist mehreren Jahren. Auch in puncto Unverträglichkeiten oder geschmackliche Vorlieben wird jeder fündig: Von Pasta mit Tomatensosse (z. B. Real Turmat) über pikanten Rindfleischauflauf mit Nudeln (Trek’n Eat) bis hin zum laktosefreien, veganen Gerstenrisotto mit Linsen und Avocadoschaum (Lyofood) halten die Hersteller für jeden Gusto das passende Gericht bereit. Kleine und feine Unterschiede lassen sich dennoch herausschmecken: «Die Mahlzeiten von Trek’n Eat sind etwas salziger als jene von Real Turmat. Bei Real Turmat und Lyofood bekommt man hingegen grössere Fleischstücke», weiss Brändli aus Erfahrung. Am besten probiert man selbst mehrere Gerichte aus, bevor man einen Grosseinkauf wagt.

 


Feine Flocken und kostbares Brot

Zum Frühstück wird auf (Hochtouren-)Hütten wie der Bächlitalhütte Birchermüsli mit eingelegten Flocken, getrockneten Früchten und Äpfeln angeboten, dazu Brot, Butter, Käse und Konfitüre. Das Brot wird dabei meist selbst gebacken: «So viel Brot können wir gar nicht hochfliegen lassen – und einfrieren schon gar nicht.» Die Gefriertruhen müssen bei Esther Bitschnau nämlich für Fleisch- und Milchprodukte frei bleiben. Für das Brot bevorzugt Bitschnau eine Mischung aus dunklerem Mehl sowie Vollkornmehl: «Das ist nahrhaft, kompakt und gut haltbar.» Alle drei bis vier Tage backt die Hüttenwirtin zehn bis zwölf Kilo Brot – das reiche für etwa 70 bis 80 Personen. Dass Hüttenwirte dann nicht erfreut sind, wenn sich jeder noch vier Scheiben Brot zum Mitnehmen schmiert, ist nachvollziehbar.

Ob Hochtourengeher nun zum Birchermüsli oder zum Brot mit Konfitüre greifen sollten, hängt von Vorliebe und Verträglichkeit ab. «Während ich grundsätzlich Birchermüsli bevorzuge, das einen hohen Ballaststoffgehalt hat und mir länger Energie gibt, vertragen andere bei sportlicher Aktivität Brot besser, weil Flocken quellen», sagt Andrea Brändli. Wichtig ist, dass die Mahlzeiten morgens leicht verdaulich sind, den Kohlenhydratspeicher füllen und man an genügend Flüssigkeit denkt. 

 

Biberli, Basler Läckerli & Co.

Während des Hochtourengehens verbrennt der Körper nicht nur aufgrund der körperlichen Aktivität mehr Kalorien, sondern ebenso wegen der Kälte und der Höhe: Zum einen muss er mehr Energie aufbringen, um die Körpertemperatur stabil zu halten, zum anderen läuft der Kreislauf in der Höhe schneller, damit die Zellen mit ausreichend Sauerstoff versorgt werden. Idealerweise wird der Kohlenhydratspeicher alle ein bis zwei Stunden wieder aufgefüllt. Hilfreich ist es, sich die Riegel direkt in die Jackentasche zu stecken – so sind sie griffbereit und aufgrund der Körperwärme nicht steinhart. Auch gesüsster Tee liefert Energie. Als weitere Snacks eignen sich Nüsse, Honigwaffeln, Biberli oder Trockenobst. Die Kombination aus Trockenfrüchten und Nüssen ist dabei besonders empfehlenswert. Trockenfrüchte enthalten eine gute Verbindung von Ballaststoffen und Monosacchariden. Während die Ballaststoffe lange sättigen, ohne die Verdauung zu überlasten, gelangen die Monosaccharide kontinuierlich ins Blut und verhindern den Abfall des Zuckerhaushaltes. Wird einem schwindelig oder die Beine zittrig (die ersten Anzeichen von Unterzucker), sollte man schnellstmöglich Monosaccharide zu sich nehmen – dann aber am besten in Form von Traubenzucker. «Nüsse wiederum brauchen etwas länger, um Energie im Körper freizusetzen. Dafür enthalten sie viele Kalorien», weiss Bächli-Produktmanagerin Daniela Stünzi. Auf Hochtour bevorzugt die gelernte Konditorin Panforte von Winforce: Die von dem italienischen Gebäck inspirierten, veganen Riegel bestehen aus Früchten, Nüssen und feinen Gewürzen – zudem werden sie in der Schweiz hergestellt. «Und wenn es die Temperaturen zulassen, nehme ich dunkle Schokolade mit – die hat den höchsten Schmelzpunkt.» Fettreiche Lebensmittel wie Speck sind hingegen weniger ratsam: Die Verdauung kostet dem Körper viel Energie. Und ganz generell gilt während der Tour: so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Während Bergführerinnen und Bergführer an die Belastungen gewöhnt sind und teils nur einen Riegel in acht Stunden brauchen, müssen andere alle paar Stunden eine Kleinigkeit essen. Was aber nicht heisst, dass fünf Liter Tee, ein Laib Brot und drei Tafeln Schoggi in den Rucksack gehören. Dann ist man vielleicht satt, kommt aufgrund des schweren Proviants aber nie am Gipfel an.

 

Zurück zum Schlemmen

Nach der Tour müssen die leeren Speicher wieder gefüllt werden. «Kohlenhydrate sind wichtig, aber auch das Gewebe wie die Muskulatur oder die Sehnen sollten Baustoffe in Form von Proteinen für die Regeneration erhalten», rät Ernährungsberaterin Schmid. Das klassische Hüttenbier ist übrigens auch erlaubt – sofern es alkoholfrei ist. Gut für den Körper sind nämlich isotonische Getränke, dazu gehören ebenso verdünnte Fruchtsäfte mit einer kleinen Prise Salz. Die Mineralstoffe in isotonischen Getränken entsprechen denen des Blutes, weswegen man die Nährstoffe schneller aufnehmen kann. Apropos Salz: Dass man das Hüttenessen so gerne nachsalzt, liegt nicht daran, dass die Wirte daran sparen. Vielmehr scheidet der Körper während des Schwitzens Mineralstoffe wie Natrium aus, die über das Salz wieder aufgenommen werden.


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