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Die Kletterhallenspezies

Fabian Reichle, Mittwoch, 30. März 2022

Auch wenn der Klettersport uns alle eint, wer drinnen seiner Lieblingsbeschäftigung nachgeht, findet sich alsbald in einem Biotop von verschiedenen Verhaltensmustern wieder. Skurrilerweise lassen sich in fast allen Kletter- und Boulderhallen verschiedene Typen beobachten – allesamt mit eigenen Charakterzügen und Besonderheiten. Wir blicken nicht ganz ernst gemeint auf eben diese Unterschiede und haben einige typische Kletterwesen identifiziert.

Der Stammgast

Kurz nach Mittag, die Kletterhalle öffnet, der Stammgast ist bereits vor Ort anzutreffen. Strahlendes Sommerwetter, der Stammgast klettert drinnen. Vermutlich alleine. Von den anderen Besuchern bis zum Personal, alle kennen ihn. Er ist ein gesprächiger Geselle und sorgt stets für gute Laune. Neue Routen hat er bereits kurz nachdem sie an die Wand geschraubt sind auf seiner Liste abgehakt. Er ist ein Vollblut-Kletterer, zumindest am Plastik. Desweiteren weiss niemand wirklich, was er sonst so treibt.


Der Pantomime

Dieses Exemplar steht vornehmlich vor kniffligen Bouldern und geht die Armbewegungen der einzelnen Züge durch – wie ein Pantomime eben. Dabei kommt es vor, dass er in einen regelrechten Rausch verfällt und die vermeintlich harten Bewegungen lautstark untermalt. Er tut das so lange, bis er offensichtlich die geplante Route im Blindflug durchklettern können müsste, nur dass er dann, wenn er sich tatsächlich an die Wand begibt, eine komplett andere Variante durchführt.


Der Betacrack

Er meint es gut, hat aber eine überaus belehrend-irritierende Art. Er spricht einen permanent an, wenn man selbst in der Wand hängt. Vor allem dann, wenn man sich mit Ach und Krach durch die Krux kämpft. «Setz mit deinem linken Fuss einen Heelhook!», «nimm den Griff mit der rechten Hand und belaste nach links!» oder «da musst du einfach das Körpergewicht unter den Sloper schieben!» sind Anleitungen, die zu seinem Standardrepertoire gehören. Er hat für jede Route und jedes Problem eine Lösung. Wobei seine Beta die einzig Wahre ist, die er allen in den ungünstigsten Momenten eintrichtert. Ganz ungeachtet von technischer Fähigkeit, Kraft und Kletterstil.


Der Sender

Vom Sender hört man kein Wort, ja man nimmt ihn nicht einmal wahr. Er ist für sich in der Halle, zieht sich zurück und fällt nicht auf. Bis er an die Wand tritt. Tut er das, flasht er die härtesten Boulder überhaupt und sprintet die anspruchsvollsten Routen in Windeseile durch. Danach verzieht er sich wieder. Die Verblüffung bei anderen Besuchern ist gross. Er geht in die Halle, um Leistung zu bringen. Und zwar nur für sich. Understatement ist sein Vorname.


Der Poser

Das pure Gegenteil vom Sender. Er mag zwar durchaus ein hervorragender Kletterer und Boulderer sein, gleichzeitig steht er aber äusserst gerne im Rampenlicht. Vom Topout würde er gerne Rückwärtssaltos zurück auf die Matte machen, hätte ihm das der Hallenbetreiber nicht verboten. Sobald das Seil am Routenende eingehängt ist, lässt er sich theatralisch in dieses fallen und schreit lauthals über die Köpfe der anderen Gäste. Seine leicht narzisstische Ader treibt ihn dazu, seine Aktionen mit dem Smartphone zu filmen – vor allem dann, wenn seine Routenwahl mit spektakulären Dynos gespickt ist, die er in der Regel viel zu ambitioniert springt.


Das Energiebündel

Während andere nach einer auslaugenden Session zum Feierabendgetränk übergehen, hat das Energiebündel erst aufgewärmt – mit gefühlt 30 Kletterrouten und ebenso vielen Boulderproblemen. Seine Muskeln scheinen nie aufzugeben, obschon er nicht per se super trainiert ist. Er hält auch nach fünf Stunden Training die kleinsten Crimps und steigt durch die ausdauerndsten und längsten Routen. Und wenn er sich dann tatsächlich doch noch zur geselligen Feierabendgetränk-Runde setzt, so zieht er danach garantiert nochmals seine Kletterfinken an.


Der Elvis

Wer kennt sie nicht, die ekstatischen Beinbewegungen von Elvis Presley? Genau diese vollführt der nach dem berühmten Sänger benannte Klettertyp an der Wand. Nach wenigen Zügen zittert sein Bein – in der Regel jenes, welches er belastet – wie eine Nähmaschine. Interessanterweise bleibt sein Stand trotzdem stabil, auch wenn er offensichtlich nah an der Grenze zu heftigen Krämpfen ist.


Der Hänger

Wo der Elvis seine Beine zum zittern bringt, lässt sie der Hänger komplett weg. Grundsätzlich geht er seinem eigenen Prinzip, dass erfolgreiches Klettern ausschliesslich mit den Armen zu bewerkstelligen ist, nach. Man muss ehrlicherweise feststellen, dass seine Technik schwach ist, schliesslich schwingen seine Beine zum grossen Teil in der Luft. Allerdings scheint er eine unfassbare Kraft in seinen anderen Extremitäten zu besitzen, mit der er sich schlicht und einfach mit purer Power in Richtung Top hangelt.


Der Akrobat

Hauptsache verrenkt. Der Akrobat ist flexibel wie ein Gummibaum. Er setzt Flags, nutzt intensiv Dropknees und hookt sich bis zum Top. Der Clou an der Sache: All das wäre nicht nötig. Im Prinzip verkompliziert er jede Route. Ihm ist spektakulär-technisches Klettern wichtiger als Effizienz. Jedoch ist das alles nicht tragisch, denn durch seine ausgefeilten Bewegungen spart er mitunter immens an Kraft.


Der Stripper

Dieses Phänomen kommt ausschliesslich beim männlichen Klettertypus vor. Er – und meist auch seine ebenbürtigen Artgenossen – entledigen sich spätestens nach dem Aufwärmen dem T-Shirt. Von mehr Bewegungsfreiheit über drückend heisse Temperaturen bis zur Baumwoll-Allergie gibt er ein Sammelsurium an Gründen für seine spärliche Bekleidung an. Dabei gibt es ausschliesslich einen einzigen, wahren Grund: Die Zurschaustellung gestählter Muskeln und der damit einhergehenden Hoffnung auf bewundernde Blicke seitens der anderen Besucher.


Der Chalker

Pro gekletterter Route verbraucht der Chalker einen ganzen Sack Magnesium. Seine Hände sind permanent kalkweiss und es kommt regelmässig vor, dass er in seiner Staubwolke auch Anderes unverhofft mit dem weissen Pulver beschmiert. In erster Linie sein Gesicht und die komplette Bekleidung.


Der Putzer

Der Gegenpol des Chalkers. Ihm geht es darum, Magnesium und andere Spuren wegzukriegen. Sein präferierter Ausrüstungsgegenstand ist die Bürste. Diese jeweils in verschiedenen Ausführungen von der gefühlten Zahnseide bis zum Reisbesen. Bevor es ans Eingemachte geht, schrubbt der Putzer in penibler Kleinstarbeit jeden Griff und Tritt blitzblank. Alles nur wegen dem Grip.


Der Affe

Diese Bezeichnung soll nicht disrespektierlich sein, sondern nimmt Bezug auf die langen Arme von Primaten. Er ist derjenige, der in den Hallen nie einen Dyno springt, weil er das Ganze auch statisch hinkriegt. Er lässt die Hälfte der Griffe aus und greift mit seinem unglaublichen Radius einfach nach oben. An Bouldern zeigt sich dies besonders eindrücklich, wenn er vom Start quasi in direkter Manier das Top krallt. Sehr zum Unmut aller anderen, die sich mit kurzen Armen durch eine Route quälen.


Anmerkung: Ob weiblich oder männlich, auch wenn in dieser Liste durchgehend der maskuline Terminus verwendet wurde, so sind selbstverständlich stets alle Geschlechter gemeint.  

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