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Blut, Schweiss und Tränen: Jonas Schild klettert Bain de Sang (9a)

Jonas Schild, Montag, 19. Juli 2021

Das Klettergebiet St. Loup liegt zwischen Yverdon und Lausanne in einem malerischen Tälchen bei Pompables. Geklettert wird dort bereits seit über 40 Jahren. Das Gebiet ist bekannt für seine technisch anspruchsvolle Kletterei mit magerem Trittangebot und für einige Meilensteine der Klettergeschichte. Wie der Name der Route - Bain de Sang, zu Deutsch Blutbad - bereits verrät, ist hier voller Körpereinsatz gefragt. Das ist meine Geschichte über die Begehung dieser einzigartigen Route.

Es war nicht gerade Liebe auf den ersten Blick. Ich kann mich noch gut an meinen ersten Klettertag in diesem Gebiet erinnern. Ein kalter, nebliger Novembertag. Darum dauerte es auch einige Jahre, bis ich St. Loup eine zweite Chance gab. Diesmal lief es deutlich besser und so kam es, dass ich vermehrt dort anzutreffen war. Ich merkte sofort, dass mir dieser Stil liegt. Als ich einige Klassiker gemacht hatte, war für mich klar, einen Blick auf die geschichtsträchtige Bain de Sang zu werfen.

Der erste Versuch im Frühling 2020 war wenig motivierend. Nach über einer Stunde kam ich mit allen Tricks des Hochmogelns irgendwie zum Stand. Ganz wohl fühlte ich mich dabei nicht, das Hakenmaterial war wirklich veraltet. Nach ein paar Versuchen im Toprope hatte ich für die meisten Stellen eine Lösung gefunden. Dabei blieb es vorerst, da ich die Route erst sanieren wollte.

Im Herbst 2020 kam ich zurück. Nach nur wenigen Tagen konnte ich zu meiner völligen Überraschung die Route im Toprope klettern. Danach war für mich klar: Sanieren und im Vorstieg klettern. Nachdem ich das Material ersetzt hatte, war die Route lange Zeit nass. Im November konnte ich mit ersten Versuchen im Vorstieg starten. Die ersten Meter der Route sind nicht besonders schwierig aber sehr plattig. Fast das ganze Körpergewicht lastet auf den Füssen. Dann folgt der erste Boulder.


Zangen, Löcher und Fingerkraft

Von einer sehr schlechten Zwei-Finger-Zange zieht man weit hoch in einen Untergriff. Die Hauptschwierigkeit dabei ist, sich in diesen Untergriff hochzuschieben. Wirklich speziell, es ist nicht der Zug oder der schlechte Griff, der die Schwierigkeit hier ausmacht, sondern das Hochbringen des linken Fusses. Danach kommen anhaltend schwierige Züge an sehr schlechten Seit-Griffen, die in ein grosses Loch führen. Dort kann man den Fuss einklemmen und praktisch ohne sich mit den Händen zu halten ausruhen.

Weiter geht es mit mittelschweren Zügen, welche zu einer Stelle mit zwei sehr schlechten Ein-Finger-Löcher führen. Von diesen muss man sich hoch in einen Seit-Griff spannen. Hier beginnt die eigentliche Schlüsselstelle der Route. Von einer kleinen, scharfen Delle, welche namensgebend für die Tour ist, zieht man sehr weit links hoch an einen Griff, welchen man mit Zeigfinger und Daumen klemmt. Eigentlich dieselbe Griffposition, wie wenn man sich die Nase zuhält. Eine unkonventionelle Technik, welche ich bis dahin noch nie anwenden musste. Wie beim unteren Boulder ist nun die Hauptschwierigkeit, aus dieser Position mit rechts und mit links hochzustehen.

Ist dies geschafft, kann man sich rechts in einen verhältnismässig guten Griff retten. Danach folgt moderate Kletterei zum Stand. Hier ist anzumerken, dass dies meine Variante ist. Gerade bei solch technischen Routen haben alle Kletterer und Kletterinnen für die einzelnen Stellen eine etwas andere Lösung.

Zurück zu meinem Versuch. Dieser lief ziemlich gut und ich stürzte zuoberst beim Zug an den lustigen Griff, welcher mit Daumen und Zeigfinger geklemmt wird. Nach einer Stunde Pause stieg ich wieder ein. Der untere Boulder ging nochmals besser als zuvor. Bei der Ruheposition im Loch war ich mir sicher: Diesmal funktioniert es.


Tschüss Ringband

Mit unglaublicher Willenskraft kletterte ich weiter. Bei der Stelle mit den Ein-Finger-Löchern plötzlich ein lauter Knall in meinem linken Ringfinger. Dieser wurde sogar von Kletternden 50 Meter weiter links gehört. Kein Schmerz aber ein komisches Gefühl. Kurz kam der Gedanke weiter zu klettern. Doch schnell wurde mir bewusst, was dies bedeutet. Klarer Fall eines gerissenen Ringbandes.

Ich liess los und noch bevor ich wieder auf dem Boden ankam, war mir klar, dass ich eine längere Pause einlegen werden muss. Ein gutes Beispiel, was passiert, wenn man etwas zu enthusiastisch klettert. Hätte ich das Ein-Finger-Loch etwas passiver genommen, wäre der Unfall wahrscheinlich nicht passiert.

Eigentlich wusste ich ja von vergangenen Projekten, dass es nicht gut ist, sich zu fest auf eine Route zu fokussieren. Die Balance zwischen starkem Willen, den man durchaus braucht, um schwierig zu klettern, und einer gewissen Lockerheit ist meistens schwierig zu finden. Nach einem Winter mit viel Skifahren, Eisklettern und Uni war ich diesen Frühling alles andere als fit - dachte ich zumindest.

Nach einigen Tagen am Fels merkte ich, dass ich über den Winter trotz wenig klettern meine Fitness behalten konnte. Darum traute ich mich bald schon wieder in Bain de Sang. Gerade am ersten Tag machte ich den bisher besten Versuch. Schon wieder dachte ich: Beim nächsten Versuch geht’s. Schlauer als im Herbst entschied ich mich deshalb, etwas Anderes zu klettern und die Sache locker anzugehen. Die nächsten Tage in St. Loup machte ich hin und wieder einen Versuch in der Route, probierte aber auch viele andere Routen zu klettern. Ohne Erwartungen und mit viel Freude am Klettern an diesem wunderbaren Ort.


Persönlicher Erfolg und Klettergeschichte

Der Plan ging auf und am 5. Mai konnte ich die Route ohne Sturz klettern. An diesem Tag war das Wetterglück ganz auf meiner Seite. Starker Wind führte dazu, dass der Grip am Fels einfach perfekt war. Was für eine Freude nach so viel Auf und Ab das Projekt doch noch geschafft zu haben.

Für mich hat diese Begehung einen ganz speziellen Stellenwert. Einerseits der Stil dieser Route. Normalerweise sind Routen in diesem Schwierigkeitsgrad stark überhängend. Bain de Sang ist über weite Strecken nicht einmal senkrecht. Dafür sind die Tritte und Griffe umso schlechter.

Andererseits die Geschichte hinter der Route. Sie wurde 1993 von Fred Nicole erstbegangen und war damals die erste 9a der Schweiz und die dritte Weltweit. Fred hat den Klettersport stark geprägt. So konnte er 1996 den ersten Boulder im Schwierigkeitsgrad 8B+ klettern und hat etliche Boulder bis 8C eröffnet. Ich denke es gibt nicht viele Menschen, die diesen Sport so stark vorangetrieben haben wie er es tat.

Ein weiteres geschichtliches Merkmal von Bain de Sang ist die Begehung der Spanierin Josune Bereziartu im Jahr 2002. Sie erreichte damals als erste Frau weltweit den 9. französischen Schwierigkeitsgrad. Heute ist der Schwierigkeitsgrad der Route etwas umstritten und viele Wiederholer fanden, die Route sei nicht ganz so schwierig. Ich teile diese Meinung, muss aber sagen, dass es sehr schwierig ist, solche Routen zu bewerten, da es praktisch keinen Vergleich mit anderen Linien in diesem Stil und Grad gibt.

Unabhängig von der Schwierigkeit wird mir diese Begehung für immer in Erinnerung bleiben, und ich freue mich bereits jetzt, an diesen schönen Ort zurückzukehren, um weitere anspruchsvolle Routen zu versuchen.

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