Meine Eltern sind beide passionierte Wanderer. Das war schon immer so und als kleines Kind bekam ich dies zu spüren – im negativen Sinne. Jeder Ausflug in den Wald, jeder Spaziergang entlang des Sees, jedes Entlanglaufen irgendwelcher Feldwege: Mein Bruder und ich waren dabei. Einen Sinn sah ich in der Lauferei keinen. Warum auch? Die Idee des Draussenseins und obendrein im Nichts umherwandern war mir fremd, zumal ich so oder so stets in der Natur herumtobte. Wandern war für mich ein Unding. Bis zu dem einen Tag am Säntis.
Mein Vater stammt aus dem Appenzell. Die Nähe zum wunderschönen Alpstein war also gegeben. Mein Grossvater wiederum war ein echter Berggänger, der Mitte des letzten Jahrhunderts auf mehreren 4000ern stand. Trotz der Leistungen: Der Heimberg war etwas Besonderes. Der Säntis. Mein Grossvater und mein Vater waren unzählige Male auf dessen Gipfel – von allen erdenklichen Himmelsrichtungne und Routen aus.
Ich war sechs Jahre alt, da bekam ich ein besonderes Geburtstagsgeschenk: Eine Säntisbesteigung von der Schwägalp aus mit Übernachtung auf der Tirwieshütte. Gesagt, getan, alsbald stand ich mit meinem Vater an der Talstation der Säntisbahn bei der Schwägalp. Was für eine Wand! Da sollen wir hochlaufen? In einer Zweierseilschaft zogen wir dann los. Für mich war der Aufstieg ein Abenteuer, wie ich es bis anhin noch nie erlebt habe. Für meinen Vater war es Routine – aber die Tatsache, dass ich dabei war, hat ihn sehr berührt und stolz gemacht, wie er mir Jahre später erzählte. Es war eine Staffelübergabe von der einen zur nächsten Generation.
Hochgekommen bin ich anscheinend ganz ok. Die kurzen Beine machten aber eine Übernachtung nötig, worüber ich schmunzeln muss, denn die Route mache ich heutzutage in rund zwei Stunden. Die Tirwieshütte war demnach auch meine allererste Nacht in einer Alphütte. Kalt war es, daran mag ich mich erinnern. Aber wunderschön.
Das Highlight kam zum Schluss: Die Himmelleiter gen Gipfel. Ich fühlte mich wie Reinhold Messner auf einer Himalaya-Expedition. Absolut grossartig. Viel ist von der Erinnerung nicht mehr übrig, aber dieser Teil hat sich fest in mein Hirn gebrannt. Ich voraus, mein Vater hinter mir. Stets am Seil im dichten Nebel.
Mittlerweile bin ich fast 30 Jahre älter. Ich bin in den Alpen rumgekommen, stand auf vielen Gipfeln. Der Säntis ist und bleibt aber mein Lieblingsberg. Nicht nur, weil er wunderschön ist, sondern weil er in mir Erinnerungen weckt. Erinnerungen an diese Tour mit sechs Jahren, die mein Leben und meine Liebe zu den Bergen prägte. Und in vielerlei anderer Hinsicht ist der Säntis für mich etwas ganz Besonderes: Die Asche meiner Grosseltern ist an ihm verstreut und vor einigen Jahren habe ich an ihm meine erste Splitboard-Tour überhaupt gemacht.
Und jedes Mal, wenn ich von der Schwägalp in Richtung Gipfel losziehe, fühle ich mich wie damals, als ich als kleiner Knirps die steilen Wege hochkraxelte. Dann ziehe ich los, mit einem Lächeln im Gesicht.
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