Unsere zweitägige Tour begann gemütlich mit einer Fahrt in der Luftseilbahn an der Bernina Diavolezza Talstation (2093 m). In unter sieben Minuten schwebten wir zu dem in 2978 m Höhe liegenden Berghaus Diavolezza. Dabei handelt es sich nicht um eine gewöhnliche Berghütte inmitten einer kargen Berglandschaft, sondern um ein mit allerlei Luxus ausgestattetes Berghaus auf einem Joch mit Blick auf die mächtigen Bündner Berge Piz Bernina und Piz Palü sowie die auslaufenden Gletscherzungen des Pers- und Morteratschgletschers.
Nachdem wir unser Quartier bezogen hatten, wanderten wir vom Berghauses Diavolezza zum nahe gelegenen Munt Pers und genossen von dort die fesselnde Aussicht direkt auf den Piz Palü mit seinen drei Gipfeln und den vier nordseitig eingelagerten Hängegletschern, die von drei sich ebenmässig aus dem Persgletscher erhebenden Pfeilern getrennt werden. Immer grösser wurde unsere Vorfreunde auf die morgige Tour. Als wir vom Munt Pers zurückkehrten, trafen wir im Berghaus unseren Bergführer Roman Hinder. Beim Genuss des fabelhaften Vier-Gänge Menüs am Abend gingen wir gemeinsam die für den nächsten Tag geplante Tour auf den Piz Palü über den Normalweg durch.
Ein früher Start im Morgengrauen
Der nächste Tag begann frühmorgens um 3 Uhr mit einem ordentlichen, für meinen Magen etwas ungewöhnlich frühen Frühstück und wir starteten dann im Lichte unserer Stirnlampen um 3:45 Uhr zu unserer Tour auf den Piz Palü. Zunächst wanderten wir entlang der Bergstation vorbei am eingepackten Schnee der Skipisten zum Piz Trovat. Wir schlängelten uns östlich einmal um den Piz Trovat, um schliesslich am Fuorcla d’Arlas am Persgletscher unsere Steigeisen anzulegen. Weiter ging es dann als Seilschaft über den noch mit Schnee bedeckten, eigentlich aber sehr zerklüfteten Persgletscher. Die Verhältnisse waren sehr gut. Der Firn war noch gefroren und bot guten Halt beim Gehen. Vorbei ging es am Fusse des Piz Cambrenas zur atemberaubenden Abbruchkannte. Wir stiegen durch die grossen Gletscherbrüche, die uns aus dem Staunen nicht mehr herauskommen liessen.
Vor uns befand sich über Jahrzehnte aufgetürmtes Eis zum Greifen nahe. Wir erreichten den Schnapsboden, wo wir uns Zeit für eine erste kleine Pause nahmen.
Aufstieg durch die Wolken
Weiter ging es in Richtung der Schulter des Ostgrates. Der Weg auf dem Gletscher wurde nach oben hin immer steiler und leider auch immer wolkiger, sodass wir oben angekommen ganz im Weiss standen. Wir stiegen am kurzen Seil gesichert in luftiger Höhe über den schmalen Firngrat auf den Ostgipfel. Der steile und ausgesetzten Grat, an dem es an beiden Seiten steil in die Tiefe geht, kam uns dabei aufgrund der eingeschränkten Sicht weniger bedrohlich vor, da wir links und rechts von uns nicht weit sehen konnten. Vom Ostgipfel aus ging es über einen weiteren schmalen Firngrat auf den 18m höheren Hauptgipfel. Auf dem Hauptgipfel angekommen vergewisserten wir uns aufgrund der fehlenden Sicht nochmals mittels GPS, dass wir auch wirklich auf dem Gipfel des 3900m hohen Piz Palü standen. So erreichten wir ca. 157 Jahre nach dem englischen Erstbesteiger Kenelm Edward Digby mit seinem Führer Peter Jenny den Hauptgipfel des Piz Palü.
Auf dem Gipfel des Piz Palü
Aufgrund der fehlenden Aussicht auf die umliegenden Berge und dem pfeifenden Wind machten wir uns rasch wieder an den Abstieg entlang der Aufstiegsroute. Zurück an der Abbruchkante befanden wir uns wieder unterhalb der Wolkendecke und konnten den Blick in die Ferne geniessen. Der Firn wurde allmählich weicher, aber wir erreichten ohne Probleme den Gletscherrand und konnten unser Steigeisen und Pickel wieder im Rucksack verstauen. Die Diavolezza erreichten wir wieder gegen 12:10 Uhr und liessen bei einem deftigen Hamburger nochmals stolz den Blick auf den Piz Palü schweifen. Es war ein erhabenes Gefühl, diesen grossartigen Berg bestiegen zu haben.
Abschliessend warfen wir noch einen letzten Blick zurück auf diese imposante Berglandschaft, bevor wir wieder mit der Luftseilbahn ins Tal zurück schwebten. Ein herzliches Dankeschön geht an unseren Bergführer Roman Hinder, welcher uns sicher auf den Piz Palü geführt hatte, sowie an Sirocco Tee und Bächli Bergsport, die uns mit der Verlosung diese fantastische Tour ermöglichten.
Geschichtsstunde: Die Sage der schönen Teufelin oder wie die Diavolezza zu ihrem Namen kam
Diavolezza bedeutet auf rätoromanisch "Teufelin" und entstammt ursprünglich einer alten Erzählung. Die lokale Geschichte ist hier beschrieben und ist wie folgt von Generation zu Generation mündlich überliefert: "Vor vielen Jahren wohnte beim „Munt Pers“ (zu Deutsch: verlorener Berg) ein weibliches Wesen von unmenschlicher Schönheit. Dort, wo - eingefasst von Felsentürmen und grossen Geröllhalden - ein tiefblauer See die Sonne widerspiegelte. Hier pflegte das herrliche Weib, so wie es Gott - oder wer auch immer - geschaffen hatte, ein erfrischendes Bad zu nehmen. Und hier wollte es das Schicksal, dass es einige wenige Male von jungen Jägern flüchtig erblickt wurde. Kurze, fliehenden Momente reichten aus, um die Jäger ganz vernarrt und unvorsichtig werden zu lassen.
Einige folgten der verlockenden Schönheit, die stets von einer Gämsherde bewacht war, über die Felsen bis hinüber zu ihrem Felsenschloss. Was dann dort geschah, weiss bis heute niemand. Denn ein Jäger nach dem anderen verschwand und verlor sich am Munt Pers. Keiner kam zurück. Auch „Aratsch“ nicht, ein stattlicher Jüngling aus dem Dorf. Überall wurde vergeblich nach ihm gesucht und schliesslich musste man annehmen, er sei in die Gletscherbrüche am Pers gefallen oder irgendwo abgestürzt.
Dann geschah Erstaunliches: Wer sich damals bei Einbruch der Nacht in der Region des Bernina-Massivs aufhielt, hörte - vom Winde getragen - eine Klagestimme folgende drei Worte ausrufen: „mort ais Aratsch, mort ais Aratsch…“, was so viel heisst wie „Aratsch ist tot“ und der Ursprung des Namens Morteratsch ist. War es die hübsche Teufelin „Diavolezza“, die wegen ihrer unfassbaren Schönheit mehrere Jünglinge in den Tod gerissen hatte? Beklagte sie den Tod Aratschs? Der Sage nach ja. So überliefert sie weiter, dass Diavolezza keine Ruhe fand - bis der Gletscher vorrückte und die ganze Alp bis hinunter ins Tal mit Eis und Geröll zugedeckt war. Danach wurde sie nie mehr gehört oder gesehen. Was nicht unbedingt bedeutet, dass sie nicht mehr dort ist..."
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