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«Händler sollen Hersteller dazu animieren, nachhaltigere Produkte zu entwickeln»

Josua Lay, Mittwoch, 16. März 2022

Hersteller, Lieferanten, Detailhändler und nicht zuletzt Konsumentinnen und Konsumenten: Der Bergsport ist nicht nur durch schöne Gipfelerlebnisse, sondern auch durch eine Fülle an Ausrüstung geprägt. Und gerade bei diesen wird der Ruf nach verantwortungsvoller Herstellung und Nutzung immer lauter. Wir haben mit Prof. Dr. Claus-Heinrich Daub, Dozent für nachhaltige Unternehmensführung an der Fachhochschule Nordwestschweiz über die Verantwortung von Firmen, Greenwashing und den langen Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung gesprochen.

Der Weltklimarat IPCC hat unlängst einen aktuellen, umfassenden Klimareport publiziert. Die Aussichten sind düster. Verantwortlich dafür sind unter anderem wirtschaftliche Faktoren und der Konsum. Worin siehst du praktische Hebel, die einen positiven Einfluss auf die nachhaltige Entwicklung hätten und mit geringem Aufwand betrieben werden könnten?  

Es gibt zwei grosse Bereiche, die unterschieden werden müssen: einerseits geht es um systemische Veränderungen und andererseits um Änderungen des individuellen Konsumverhaltens.

Was verstehst du unter systemischen Veränderungen?

System im Sinne eines grösseren Ganzen. Das können z.B. nachhaltigere Städte oder nachhaltige Energiesysteme sein, d.h. unter anderem die verstärkte Nutzung regenerativer Energiequellen, innovative Technologien der Energieerzeugung und -speicherung oder intelligentes Netzmanagement.

Was können sich die von dir beschriebenen Konsumenten ändern?

Potenzial dazu gibt es vor allem in drei Bereichen. Der erste ist die Ernährung, die im direkten Zusammenhang mit der Landwirtschaft steht. Der zweite ist das Wohnen – Heizen, Stromverbrauch und so weiter. Der dritte Bereich ist die individuelle Mobilität.

Bächli Bergsport ist ein Detailhändler. Wir verkaufen Ausrüstung für den Bergsport, andere bieten Mode an – auch das ist Teil des Konsumverhaltens. Wie beurteilst du diesen Bereich?

Interessanterweise erscheint der Verbrauch von Textilien auf den ersten Blick wenig relevant. Er macht nur ein paar wenige Prozent des gesamten individuellen Fussabdrucks aus. Und das trotz der Berge an Fast-Fashion-Klamotten, die schlussendlich häufig irgendwo in Entwicklungsländern landen.

Und auf den zweiten Blick?

Da sind die Auswirkungen von Bekleidung enorm. Das hängt vor allem damit zusammen, dass man mit dem Thema Menschen wesentlich leichter erreicht als mit Abstraktem wie dem Beheizen einer Wohnung, zumal man darauf als Mieterin oder Mieter ohnehin keinen Einfluss hat. Wo, welche und wieviel Kleidung gekauft wird, kann jede und jeder Einzelne von uns steuern.

Wir kaufen Ware von Lieferanten und Herstellern. Worin siehst du deren Aufgabe, um eine nachhaltige Entwicklung zu fördern?

Sie müssen sich vor allem mit dem Thema Kreislaufwirtschaft auseinandersetzen. «Reuse & Repair» sind hier zwei Stichworte. Produkte sollten so entwickelt werden, dass nicht allein auf Modeaspekte, sondern auch auf Langlebigkeit, Reparaturfähigkeit sowie Zweitverwendung fokussiert wird. Was Rohstoffe betrifft ist zudem eine Pflicht, das Thema der «Entgiftung» anzugehen.

Was verstehst du darunter?

Es geht vor allem um Materialien, die umweltverträglicher sind, weil bei ihrer Produktion auf bestimmte Chemikalien verzichtet wird. Gegebenenfalls müssen Hersteller und Nutzende dann auch bereit sein, gewisse Einschränkungen zu tolerieren – gerade im Bereich der technischen Eigenschaften. Das gelingt am besten in Zusammenarbeit mit den Kundinnen und Kunden.

Wie kann so eine Zusammenarbeit entstehen?

Das grosse Stichwort lautet «Open Innovation». Ich kann Unternehmen nur empfehlen, ihre Kunden nicht nur für klassische Produkttest einzuladen, sondern einen Schritt weiterzugehen. Warum nicht gemeinsam mit der Kundschaft einen Tag lang gemeinsam analysieren, was im Bereich der Kreislaufwirtschaft verbessert werden könnte und was seitens der Kundinnen und Kunden gewünscht wird? Man hört ihnen zu, man nimmt sie ernst und man nutzt sie als Informationsquelle. Daraus können spannende neue Ideen entstehen.

Gibt es weitere Beispiele, wo es sich lohnt, der Kundschaft vermehrt zuzuhören?

Ich beobachte seit einigen Jahren – gerade auch im Bergsportbereich – dass Produkte, die eigentlich für Profis und Spezialistinnen gedacht sind, vermehrt auch an Durchschnittskonsumierende verkauft werden. Man suggeriert ihnen, dass auch sie unbedingt diese Super-High-Tech-Jacke oder jenen Schlafsack für Temperaturen unter minus 20 Grad benötigen. Dabei wäre es die Aufgabe der Hersteller und Händler, den Kundinnen und Kunden die für sie optimalen Produkte anzubieten. Optimum heisst hier dann eben optimale Bedürfnisbefriedigung und nicht das technische Optimum, das ein teures High-End-Produkt bietet.

Wir haben allgemein über den Detailhandel gesprochen. Wo siehst du aus deiner Sicht einen grossen Ansatzpunkt bei Händlern, wie wir es beispielsweise sind?

Um das zu beantworten, lohnt sich ein Blick in die Geschichte des grössten Detailhändlers in der Schweiz. Als Coop 1993 die Marke Naturaplan einführte, hat das Unternehmen zweifellos eine Pionierleistung zur Förderung nachhaltiger Lebensmittel vollbracht. Es war aber von Anfang an klar, dass es nie ein «Bio-Laden» werden, sondern immer ein «klassischer» Detailhändler bleiben würde. Übertragen auf Bächli Bergsport heisst das: Selbst wenn man bei Euch künftig immer Equipment aus Bio-Baumwolle oder aus rezykliertem Kunststoff kaufen könnte – was durchaus erfreulich wäre, würdet ihr immer ein Bergsportladen bleiben, der selbstverständlich auch weiterhin konventionelle Produkte anbietet.

Wenn aber Euer Anspruch ist, das Optimum für jede einzelne Bergsport-Aktivität anzubieten und gleichzeitig nachhaltig zu wirtschaften, werdet ihr künftig bei der Auswahl Eurer Produzenten für euer Sortiment vermehrt diejenigen auswählen müssen, die einerseits Qualität liefern und andererseits eine umwelt- und sozialverträgliche Philosophie verfolgen. Ihr müsst eure Partner letztendlich nach klaren Kriterien auswählen, in denen Nachhaltigkeitsaspekte angemessen berücksichtigt sind. Als Händler seid ihr in einer Schlüsselposition zwischen den Produzierenden und den Kunden und aus ethischer Sicht seid Ihr angehalten, diese Position im Sinne der Nachhaltigkeit zu nutzen. Ihr könnt so Hersteller dazu animieren, nachhaltigere Produkte zu entwickeln, die Ihr dann euren Kundinnen und Kunden anbietet.

Mit dem alleinigen Anbieten von nachhaltigen Produkten werden wir einer verpflichtenden und ethischen Aufgabe nur bedingt gerecht, oder?

Ja, das stimmt. Eine weitergehende Möglichkeit zur Förderung nachhaltigen Konsumierens bietet sich im Laden selbst: Hier könnt ihr beeinflussen und entscheiden, was die Kundschaft letztlich auswählt. Ob es gelingt, sie zu einem nachhaltigeren Verhalten anzuhalten, ist letztlich eine Frage der Verkaufsphilosophie und der Anreizsysteme: Stehen hauptsächlich der erzielte Umsatz und Gewinn im Vordergrund oder werden Verkäuferinnen und Verkäufer auch daran gemessen, welchen Anteil an nachhaltigeren Produkten sie an die Frau und den Mann bringen?

Geht nicht beides? Schliesslich muss ein Detailhändler wie Bächli Bergsport trotz aller Nachhaltigkeitsbestreben Umsatz generieren.

Ob ein zunehmender Fokus auf den Verkauf nachhaltigerer Produkte langfristig negative Auswirkungen auf Umsatz und Gewinn haben wird, wage ich zu bezweifeln. Unternehmen verschaffen sich dadurch Glaubwürdigkeit und eine bessere Reputation. Kundinnen und Kunden gehen lieber zu einem Händler, bei dem sie wissen, dass ihnen nicht einfach irgendetwas angedreht wird und dem sie vertrauen, dass er ihnen etwas verkauft, das der Natur möglichst wenig Schaden zufügt.

Bei Herstellern ist es ähnlich. Manche, die einen sehr nachhaltigen Weg eingeschlagen haben und anfangs dafür belächelt wurden, haben mittlerweile höchste Werte an Glaubwürdigkeit erreicht. Die Themen und das Bewusstsein rund um Klimawandel, Kreislaufwirtschaft und so weiter nehmen immer weiter zu. Wer jetzt in ein nachhaltiges Unternehmensverhalten investiert, wird für die Zukunft gewappnet sein.

Wenn sich Unternehmen der Nachhaltigkeit verpflichten, kommt leider schnell der Begriff Greenwashing ins Spiel. Woran können Konsumenten solche Strategien erkennen und diesen aus dem Weg gehen?

Das ist unglaublich schwierig. Greenwashing als Begriff ist noch nicht einmal klar definiert und wissenschaftlich hoch umstritten. Nehmen wir das Beispiel eines Unternehmens, das ein «grünes Produkt» lanciert hat und dieses kräftig bewirbt, ansonsten aber konventionelle Produkte anbietet, bei deren Herstellung es auch bisweilen zu Menschenrechtsverstössen in der Lieferkette kommt. Ob das als Greenwashing zu gelten hat, kann man objektiv kaum entscheiden. Das müssen schon die Kundinnen und Kunden selbst tun und sich die Frage stellen, ob sie ein solches Geschäftsmodell gut finden oder nicht. Das hat viel mit den eigenen Vorstellungen von Nachhaltigkeit zu tun.

Wann werden Unternehmen glaubwürdig?

Unternehmen werden vor allem dadurch glaubwürdig, dass sie einen transparenten, nachvollziehbaren und ambitionierten Plan haben und sich von konkreten, mess- und überprüfbaren Zielen leiten lassen. Ein Beispiel könnte sein: Bis zum Jahr 2035 wollen wir entlang der gesamten Wertschöpfungskette klimaneutral sein. Wenn man das Thema Nachhaltigkeit im Unternehmen nicht strategisch angeht und in die Managementprozesse einbaut, ist das zwar kein Greenwashing, beschränkt sich aber häufig auf Absichtserklärungen und Herumgerede.

Bergsport hat einen naturnahen Bezug – doch ist er auch naturfreundlich?

Es kommt darauf an. Nehmen wir zwei Beispiele: zum einen die total angefressenen Bergsportlerinnen und Bergsportler, die unbedingt weltweit viele Gipfel erklimmen wollen, und zum anderen die Genusskletterer, die hie und da mal eine lokale Wand bezwingen. Da gibt es schon Unterschiede. Bergsport wird ja nicht im eigenen Garten betrieben, man muss auf jeden Fall anreisen; komplett umweltneutral ist es also nie. Die Gretchen-Frage lautet aber: Muss es unbedingt der Flug zu einer Bergtour in den Anden oder dem Himalaya sein oder reicht der Trip in die Alpen mit dem ÖV?

Sind Mitglieder internationaler Bergsteigprojekte und Expeditionen in dem Fall nicht ökologisch unterwegs?

Nein, absolut nicht. Sie betreiben einen Leistungssport mit einem hohen Ressourcenverbrauch. Das ist nicht verwerflich, muss aber klar gesagt werden.

Auch hier: Wie können Detailhändler dieser Situation begegnen?

Indem gezeigt wird, dass umweltverträgliches Handeln möglich ist und sanft darauf hingewiesen wird, welche Alternativen es allenfalls gäbe. Das wird die «Angefressenen» nicht von ihren Touren abhalten, doch bei etlichen können derartige Hinweise durchaus fruchten und sie zu einem Umdenken anregen.

Gehen aktuelle Bestreben von Herstellern und Händlern in eine richtige Richtung?

Ja, definitiv. Die Frage ist allerdings, ob es schnell genug geht. Wir leben in einer Zeit, in welcher wir gegen Ende des Jahrhunderts eine Erderwärmung von 2,6 Grad Celsius erleben werden, selbst wenn alle derzeit versprochenen Massnahmen dagegen umgesetzt werden. Das Fenster für das 1,5-Grad-Celsius-Ziel des Pariser Abkommens wird in rund siebeneinhalb Jahren geschlossen sein. Dann bleibt uns noch die Hoffnung, die Erwärmung auf 2 Grad begrenzen zu können. Und wenn dann erkennbar wird, dass auch das scheitern könnte, wird der Zeitpunkt kommen, an dem wir alle radikaler handeln müssen. Vor diesem Hintergrund rate ich Herstellern und Händlern daher aus strategischen Gründen, möglichst rasch nachhaltigere Geschäftsmodelle zu entwickeln und umzusetzen. Lieber heute proaktiv agieren, als morgen den Trends nachlaufen oder dem zunehmenden gesellschaftlichen und regulatorischen Druck mit dann garantiert teureren Massnahmen begegnen.

Wo könnte man schneller agieren?

In allen Bereichen. Man muss sich letztlich fragen, ob man mitschwimmen oder sich an die Spitze stellen will.

Und wo siehst du die Position von Bächli Bergsport?

Ein klassisches, schweizerisches Unternehmen mit hohen Qualitätsansprüchen, das sich an ein äusserst kritisches Publikum von Spezialistinnen und Profis wendet – Ihr wärt prädestiniert, in Eurer Branche vorauszudenken und vornewegzugehen.


Hat auch Bächli Bergsport einen Plan?

Wir fördern eine nachhaltige Entwicklung der Bergsportbranche in einem stetigen Prozess. Als Schlüsselstelle zwischen Herstellern und unserer anspruchsvollen Kundschaft betreffen uns weitreichende Themen.

Sei es die Umwelt- und Sozialverträglichkeit von Bergsportprodukten oder die Kunden-Sensibilisierung von Konsum und Nutzen ebendieser. Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit internen Unternehmensaktivitäten wie beispielsweise Schulungen von Verkaufsmitarbeitenden oder der alltäglichen Ressourcenschonung von Verbrauchsmaterial und dergleichen.

Einen ersten Vorgeschmack unserer Aktivitäten findet ihr auf unserer Website.

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