Die Zeit verging und dieses Projekt, das Ueli Steck im Jahr 2017 vermutlich als erster in dieser Form realisierte, geriet aus dem Fokus. Doch dann, im Frühling dieses Jahres, blühte die Idee erneut in meinem Kopf auf. Das Feuer begann in mir zu lodern und ich war voller Motivation. Nun benötigte ich nur noch einen starken Seilpartner. Mit Adi hatte ich bereits eine schnelle Zeit an der Spaghettitour realisiert, daher war er die erste Wahl für dieses Projekt. Adi, der eh immer fit ist und gerade die sieben höchsten Gipfel der sieben Alpenländer in einer neuen Bestzeit bestiegen hatte, war ideal vorbereitet und auch schnell begeistert für dieses Projekt.
Der Startpunkt liegt am Bahnhof Grindelwald Grund und führt über die Ostegghütte auf den Mittellegigrat zum Eiger hoch, über die Eigerjöcher sowie den Mönch Ostgrat auf den Mönch und über den Westgrat hinunter zum Jungfraujoch. Ab hier wählten wir eine andere Route wie damals Ueli. Dieser lies den ersten Teil des Jungfrau Ostgrates aus und stieg über das klassische Couloir auf den Grat, was in keiner Weise falsch ist. Meine Idee war es, zusätzlich den ersten Teil des Ostgrates zu klettern, da sich dort eine der schwierigsten Stellen der Tour befindet und es die Linie noch perfekter machen würde. Auf der Jungfrau steigt man dann über den Rottalgrat bis zur Bushaltestelle Stechelberg Rüti ab.
Wir hatten keine Ahnung, wie lange wir für diese Tour benötigen werden. Ueli war damals alleine unterwegs und kam dadurch zügiger vorwärts als wir das zu zweit sein können, denn wir wollten uns in den schwierigen Passagen sichern und nicht ein höheres Risiko eingehen, um schneller zu sein. Zusätzlich haben wir noch ein schwieriges Stück Gratkletterei mehr zu bewältigen. Nach langem durchrechnen setzen wir den Start auf 1:00 Uhr. So sollten wir hoffentlich am Mittellegigrat nicht all zu fest in den Stau kommen.
Mit Tempo ins Alpingelände
Die ersten Meter vom Bahnhof rennen wir noch, dann wechseln wir auf einen schnellen Stechschritt. Den ersten Abschnitt bis in die Ostegghütte mag ich nicht. Ich kenne ihn gut und er ist im Gegensatz zum Rest der Tour unspektakulär. Ich bewege mich einfach lieber im alpinen Gelände als auf Wanderwegen im Wald. Ab der Ostegghütte gilt es, konzentriert zu sein. Man kann hier schnell mit einem Versteiger viel Zeit verlieren. Dies ist auch der Abschnitt, wo ich am nervösesten war. Unterwegs wechseln wir nur wenige Worte. Es sind mehr nur Hinweise oder kleine Fragen sowie: „Achtung der Stein da ist lose“ oder „Passt das Tempo?“ Nur beim Hick müssen wir uns kurz für zwei Seillängen sichern, dann wird das Gelände wieder einfacher und wir verstauen das Seil bereits wieder.
In der Ferne können wir das Licht der Mittellegihütte erkennen. Es scheint nicht näher zu kommen, aber dann plötzlich stehen wir vor der Hütte, wo wir auf unser Kamerateam und die ersten anderen Bergsteiger stossen. Schnell etwas trinken, ein paar Gels einpacken und weiter gehts. Die Seilschaften am Mittellegigrat haben wir innert 20 Minuten überholt und stehen kurze Zeit später auf dem Gipfel des Eigers. Im Abstieg über die Eigerjöcher müssen wir mehrmals die Steigeisen anziehen, um blanke Eisfelder zu queren.
Den Mönch überschreiten wir in Windeseile. Nur im Abstieg vom Gipfel müssen wir ganz vorsichtig sein. Der Grat ist fast komplett ausgeapert und ein Sturz wäre hier fatal. Im Jungfraujoch machen wir einen längeren Halt von ungefähr fünf Minuten. Dann gehen wir bereits über die Mathildespitze in Richtung Jungfrau Ostgrat. Hier gehen wir angeseilt bis auf die Wengener Jungfrau. Das ist der spannendste und vielleicht auch der schönste Abschnitt. Wir spüren langsam die einsetzende Müdigkeit und die schweren Beine. Der Abstieg über den Rottalgrat ist nicht ganz einfach und fordert uns nochmals. Erst kurz oberhalb der Rottalhütte verstauen wir dann den Klettergurt und wechseln das Outfit zu T-Shirt und kurzen Hosen und beginnen in Richtung Tal zu rennen. Das ist auch der Moment, wo wir endlich aus dem Absturzgelände raus sind und ein Stolperer hätte hier keine tödlichen Folgen mehr.
Der verblüffte Blick auf die Uhr
Man merkt schon, wie die Psyche und Konzentrationsfähigkeit in den letzten Stunden abgenommen haben. Ist ja auch normal über diesen Zeitraum. Im Abstieg nach Stechelberg geben wir nochmals Gas. Jetzt nur keinen Misstritt machen. Und dann erreichen wir endlich das Ziel. Wir stoppen die Zeit, fallen uns in die Arme und erst dann sehen wir, wie schnell wir waren. Lediglich 13 Stunden und 8 Minuten hatten wir für die 30,46 Kilometer lange Strecke benötigt, wobei wir dabei 4780 Höhenmeter zurücklegten. Die aufgestellte Zeit ist 3 Stunden und 2 Minuten schneller als der ursprüngliche Rekord von Ueli Steck.
Den Anreiz für dieses Projekt war jedoch nicht, den Rekord von Ueli zu schlagen, sondern eine etwas idealere Linie zu klettern. Dass wir aber schneller als Ueli waren, hätte ich nie gedacht. Man muss aber sachlich bleiben und auch erwähnen, als es Ueli bei seinem Projekt nie um die Zeit ging – er wollte die Route einfach nur machen. Auch hatte er in der Mittellegihütte, im Jungfraujoch und in der Rottalhütte jeweils eine längere Pause gemacht. Was bei so einem Projekt wirklich zählt, ist das Erlebnis. Wir hatten beide einen super Tag und konnten unsere Leistung abrufen. Als Seilschaft funktionierten wir wie ein eingespieltes Team und konnten uns effizient am Berg bewegen. Ein unvergesslicher Tag, an dem Vieles zusammenspielte.
Fotos © Mammut Sports Group AG, Carlos Blanchard
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