Da stehen wir nun bei leichtem Nebel
im Hang, vor uns wartet diese lange Traverse
und der Hang darüber ist mächtig
und steil. Doch wie steil ist steil? Wo ist die abschüssigste
Stelle und wo stehen wir eigentlich
ganz genau während der Diskussion, ob wir den
Hang jetzt queren oder es doch lieber lassen?
Orientierung ist das A und O. Vor allem dann,
wenn es im alpinen Gelände kritisch wird. Also
Karte raus und mit klammen Fingern den kleinen
Hangneigungsmesser darübergelegt. Obwohl
die Auflösung mit 1:25'000 hoch ist – unser
Standort bleibt bei diesen Verhältnissen
eher Schätzung denn Gewissheit.
«Navigieren ist am Berg lebenswichtig», sagt
Bergführer Michael Wicky von der Bergsportschule
Bergpunkt. Genauer Standort, dazu
Reduktionsmethode und die Einschätzung von
Risiko und Lawinengefahr – «mit Karte und
Kompass ist das purer Stress.» Wicky und viele
seiner Bergführerkollegen wurden daher in den
vergangenen Jahren Fan eines Geräts, das aus
dem Alltag sowieso nicht mehr wegzudenken
ist: dem Smartphone. «Viele Leute haben noch
nicht begriffen, wie einfach und hilfreich es
ist, in den Bergen mit einem Smartphone zu
arbeiten», sagt er. Selbst Einsteigern falle die
Orientierung im Gelände relativ leicht. Denn die
Bedienung des Telefons ist meist intuitiver als
bei einem GPS, die Karten lassen sich vergrössern
und dank farbiger Hangneigungskarten
können Steilheit und Gefahrenbereiche recht
einfach abgeschätzt werden. «Was viele nicht
wissen: An 99 Prozent der Standorte im Gebirge
ist das Handy-GPS auf 10 Meter genau. Auch an
Orten, wo man nicht telefonieren kann», erklärt
Wicky. Zumindest gilt das für so zivilisatorisch
erschlossene Gebiete wie die Alpen.
SMARTPHONE STATT PAPIERKARTE
Am WSL Institut für Schnee- und Lawinenforschung
SLF in Davos beobachtet man diesen
Trend genau. «Wir haben festgestellt, dass sich
die gesamte Tourenplanung in den vergangenen
fünf Jahren radikal geändert hat», sagt Stephan
Harvey. Kaum einer nimmt noch Papierkarte und Hangneigungsmesser zur Hand. Die Tourenplanung
heute läuft digital, im Internet und
auf dem Smartphone, auf Online-Plattformen
oder mit Touren-Apps. Wie beispielsweise auf
der SLF-eigenen Plattform «White Risk». Das
verfügt über eine interaktive Informations- und
E-Learning-Plattform sowie ein Touren-Tool.
Seit vergangenem Winter sogar mit hochaufgelösten
Topo-Karten von Österreich und Frankreich.
Relativ leicht lässt sich so die eigene
Skitour zusammenklicken und anschliessend
Karten und GPS-Tracks aufs Smartphone übertragen.
Das geht auch bei anderen Plattformen.
Ein Plus von White Risk ist der direkte Zugriff
auf das Lawinenbulletin, die enge Verknüpfung
von Tourenplanung und Lern einheiten zu Lawinenwissen
und nicht zuletzt die hohe fachliche
Kompetenz der Entwickler.
Das Informationsangebot des Internets ist breit
und es fordert – ähnlich wie am Berg – eine
gehörige Portion Eigenverantwortung. «Im Web
kann sich heute jeder zigfach informieren, kann
irgendwelche Sachen runterladen: Tourentipps,
GPS-Tracks, Wetter, Karten …», sagt Harvey.
Ein Problem sei jedoch die mangelnde Überprüfbarkeit
und die fehlende fachliche Kontrolle.
«Wenn auf einer Tourenwebsite von Topverhältnissen
auf einer bekannten Tour berichtet
wird, dann sind am Wochenende 100 oder mehr
Leute dort, obwohl die Verhältnisse vielleicht
gar nicht so gut sind.»
Orientierung und Zusatzinfos: Mit der
richtigen App zeigt das Smartphone nicht
nur den genauen Standort, sondern auch
die Neigung der umgebenden Hänge.
COMPUTER VS. REALITÄT
Eine spannende Weiterentwicklung zur reinen
Tourenplattform bietet beispielsweise
skitourenguru.ch. Für gut 900 Skitouren in
der Schweiz berechnet die Website automatisiert
und zwei Mal täglich das Lawinenrisiko
auf Grundlage von Geländemodell, Lawinenbulletin
und Grafischer Reduktionsmethode
(GRM). «Skitourenguru automatisiert einen Teil
der Abläufe, die auch wir so für die Planung
empfehlen», erklärt Harvey. Der Vorteil: Der
menschliche Fehler entfällt, der Computer
rechnet; mit wenig Aufwand bekommt man eine Auswahl an passenden Touren. Auch Bergführer
Wicky findet das Tool spannend, vor allem
«weil es die Planung zu Hause noch besser
unterstützt. Direkt vor Ort muss man dann auf
die tatsächlichen Gegebenheiten schauen.»
In der Einfachheit der Anwendung sieht Lawinen-Experte
Harvey allerdings auch ein Risiko
für den Nutzer: «Die Tourenplanung sollte nicht
abgekürzt werden und Touren sollten möglichst
selbstständig eingezeichnet werden.» Zudem
hat das Bulletin seine Ungenauigkeit, das
Wetter sowieso. «Diese Ungenauigkeiten und
die tatsächlichen Verhältnisse im Hang kann
das Tool so nicht abbilden.» Mittlerweile gebe
es auch Apps, «die spucken dir direkt ein Risiko
am Smartphone aus. Aber das ist im Moment
viel zu trivial gelöst», warnt Harvey. «Ich finde
es heikel, wenn mir die App an meinem GPSPunkt
sagt, wie gefährlich der Hang ist, ohne
die lokalen Verhältnisse mit einzubeziehen.»
Trotzdem: Für Bergführer Michael Wicky und
seinen Kollegen ist das Smartphone auf Skitour
nicht mehr wegzudenken. «Keine Angst vor
neuen Medien», lautet sein Appell. Und wer
dem digitalen Helfer nicht traut, packt einfach
die Papierkarte mit in den Rucksack – als
physisches Back-up.
***
Lernen Sie mit dem Smartphone umzugehen
Das Smartphone lässt Papierkarte, Kompass
und Höhenmesser ganz schön alt aussehen.
Mit der richtigen Einstellung zeigt es den
eigenen Standort in der digitalen Karte an,
erlaubt das Ablesen der Hangneigung benachbarter
Hänge und erleichtert dadurch
die Beurteilung der Lawinengefahr. Wie sich
das Smartphone auf Wintertouren optimal
nutzen lässt, lesen Sie im Expert «Lawinensicherheit
» und lernen Sie in einem Vortrag
der bergpunkt-Bergführer.
Zu diesem Beitrag sind noch keine Kommentare vorhanden.
Kommentar schreiben