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Zwischen Himmel und Meer

Alexandra Schweikart & Simon Schöpf, Freitag, 29. Oktober 2021

Leisten statt Liegestuhl, Schlüsselstellen statt Sonnenbrand: Wer in den Süden zum Klettern reist, wird überrascht sein, welch (Fels-)Vielfalt sich zwischen Meeresbrise, schroffer Küste und kulinarischen Genüssen verbirgt. Drei Ziele, die definitiv auf jeder Bucket List stehen sollten.

Cinque Terre - Klettern im Nationalpark

Im Jahr 1997 wurden die fünf historischen bunten Fischerdörfchen Monterosso, Vernazza, Corniglia, Manarola und Riomaggiore – die sogenannten Cinque (Fünf) Terre – am Küstenstreifen der italienischen Riviera von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Unweit dieser romantischen Küstendörfer, inmitten des gleichnamigen Nationalparks, liegt das Klettergebiet Muzzerone. An der steilen Küste zwischen Porto Venere und Cinque Terre kommen Genusskletterer voll auf ihre Kosten: Das Felsmassiv lockt mit rund 90 Routen im Schwierigkeitsgrad 5c und leichter. Aber auch ambitionierte Kletterer werden mit knapp 300 Routen bis zum Grad 8b garantiert fündig. An den hellen Kalkfelsen haben sich kleine scharfe Griffe und Tropflöcher gebildet, viele Routen sind senkrecht und technisch anspruchsvoll. Mit guter Fusstechnik kann man hier auftrumpfen! Doch genauso werden Ausdauerrouten in Überhängen und sogar Sinterklettereien geboten, beispielsweise im Sektor Polveriera. In der Theorie lässt sich in Muzzerone das ganze Jahr über klettern – durch die südwestliche Ausrichtung der Klippen hat sich das Gebiet aber eher zum Herbst-, Winter- und Frühlingsgebiet entwickelt. In den Monaten Juni, Juli und August verbringt man die Tage lieber am Meer und klettert allenfalls in den späten, schattigen Abendstunden. Manch motivierte Kletterer zieht es sogar nach Sonnenuntergang mit Stirnlampe an die Felswand.



Steile Wand, keine Pause: Davide Battistella in «No Siesta» (8b) im Sektor Atlantide in Muzzerone.


Badestellen gibt es überall, vor allem der Strand in Monterosso lädt zu einem Ruhetag ein. Im glasklaren Wasser wird geschwommen, geschnorchelt und sogar an den Felsen über dem Wasser gebouldert. Wer barfuss klettern möchte, sei vor Seeigeln gewarnt: Sie wohnen entlang der Felsenklippen. Doch auch die Kulinarik kommt nicht zu kurz: Meisterliches Glacé und knusprige Pizza gibt es an jeder Ecke. Um die Schlemmereien wieder abzutrainieren, nutzt man, neben dem Klettern, die wunderschönen Wanderwege entlang der Steilküste von Ort zu Ort (blau markierter Weg). Hinter jeder Kurve wartet ein toller Ausblick – also Zeit zum Staunen und Fotografieren mitbringen! Und wer noch nicht weiss, wo der «Treppensteigermuskel» sitzt, wird ihn am Tag nach der Tour kennenlernen: Die Wege entlang der Küste führen in einem Auf und Ab oft über Hunderte Treppenstufen. Steigende Zahlen an Touristen haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass eine Gebühr für manche Wanderwege erhoben wurde. Per Bus, Zug oder Boot geht es nach der Wanderung zurück zum Ausgangsort.



Der Felsriegel von Muzzerone, dahinter die Inseln Palmaria und Tino im Ligurischen Meer.


Wissenswertes
Muzzerone liegt 15 km von La Spezia entfernt. Wer das Auto stehen lassen möchte, fährt mit der Bahn über Mailand nach La Spezia, von dort mit der Buslinie 11 oder mit der Fähre nach Porto Venere.  Zu Fuss erreicht man das Klettergebiet über den Panoramaweg (Weg Nr. 1 oder 1a in 30 Minuten). Übernachten kann man in Porto Venere oder im idyllischen Refugio Muzzerone, welches nur wenige Gehminuten vom Meer und den Felsen entfernt ist. Das Rifugio dient gleichzeitig als Stützpunkt der Bergrettung von La Spezia.


Paklenica - in der Schlucht des Winnetou

Paklenica bedeutet übersetzt so viel wie «kleine Hölle». Eigentlich bemerkenswert unpassend, denn klein ist der Nationalpark mit 96 Quadratkilometern schon mal nicht, und mit seiner wilden Schönheit für Naturliebhaber mehr Himmel als Hölle. Der Paklenica Nationalpark liegt im südlichen Teil des Velebit-Gebirges in Kroatien und besteht bereits seit 1949. Schon am Eingang des Nationalparks wird klar, warum sich hier das grösste, bekannteste und zugleich wohl auch schönste kroatische Klettergebiet befindet: Die aschgrauen Wände neigen sich einem fast schon bedrohlich entgegen, eine Schlucht wie aus dem Bilderbuch. Man ist sogar geneigt, einen Vergleich zur Verdon-Schlucht in Frankreich zu ziehen – das ist wohl das grösste Kompliment, das man einer Schlucht so machen kann.


Die Fels-Vielfalt ist unübertroffen: Im Nationalpark lässt sich von der kompakten Platte über den Sinter-Überhang bis hin zum Wasserrillen-Wunderland so ziemlich jede Spielform finden, die Kalkgestein so hergibt. Das Kletter-Potenzial ist schier unendlich, Klassiker wie «The Show Must Go On» (6c, 280 m), «Domzalski» (6a, 120 m) oder «Velebitaški» (6a+, 350 m) sind weit über die Landesgrenzen bekannt. Doch wer in Paklenica klettern will, der sollte eines mit im Gepäck haben: viel Hornhaut! Der Kalk ist hier nämlich von phänomenaler Rauheit, die Finger werden schreien. Und wer in die grossen Wände steigt, wird bald merken: Auch 5cs können verdammt anspruchsvoll sein! Insgesamt gibt es in Paklenica über 400 Kletterrouten, vom kurzen Boulder bis zur Techno-Bigwall, langweilig dürfte einem so schnell nicht werden.



Von kompakten Platten über Sinter-Überhänge bis zu Wasserrillen: Klettern im Nationalpark Paklenica


Was erwähnt werden muss, wenn man von Paklenica spricht: Winnetou. Die Schlucht, die als eine der Filmkulissen der berühmten Karl-May-Filme diente, scheint mit ihrer Wildheit offensichtlich für Cowboy- und Indianerspiele gemacht zu sein. Diese theatrale Berühmtheit schlägt sich natürlich in den Besucherzahlen nieder: Im Sommer wird man alles andere als alleine sein. Aufgrund der leichten Zugänglichkeit und der anfängerfreundlichen Absicherung der Klettergärten sowie der gut ausgebauten Wanderwege ist der Nationalpark demnach nicht nur Pilgerstätte für Indianer-, sondern genauso für Naturliebhaber. Einen Strich durch die Idyll-Rechnung kann einem allerdings eine äusserst launische Diva machen: die Bora, ein oft stürmischer Fallwind zwischen Triest und der kroatischen Adriaküste, die mit Böen von bis zu 250 km/h zu den stärksten Winden der Welt gehört. Heisst: Es kann schon mal kühl werden.



Und an Ruhetagen? Die kroatische Wildnis auf den Spuren Winnetous durchqueren


Trotz Bora sind die Übergangszeiten wohl die beste Zeit für Paklenica: Wenn im Frühling die vom Winter ausgedorrte Gegend langsam wieder in sattes Grün taucht, wenn die Temperaturen auch untertags noch ideal für Klettertouren sind, wenn die Apartments und Campingplätze in Starigrad noch fast alle leer stehen: Dann ist die perfekte Zeit für Paklenica gekommen! Für die imposante Nordwand des Anica Kuk wird es eventuell noch zu kühl sein, aber an einem der vielen lohnenden Klettergärten findet sich überall ein sonnig-lauschiges Plätzchen. Und dann wäre da noch der Strand: Gibt es etwas Schöneres, als nach einem zehrenden Klettertag dem Sonnenuntergang am offenem Meer entgegenzuträumen und die rosaroten Schäfchenwolken als Rauchzeichen zu interpretieren, ein kleines bisschen wie Winnetou? Nein, gibt es nicht.


Wissenswertes
Von Zürich über den Luftweg nach Rijeka, Kroatien. Vor Ort ist ein Mietauto ratsam, entlang der Adriaküste geht es von Rijeka über Senj und Karlobag bis Starigrad-Paklenica, ca. 180 Kilometer. Im Herbst lassen sich problemlos Unterkünfte genauso wie Campingplätze finden, zur Hochsaison sind die Campingplätze direkt am Meer meist schon voll. Ferienwohnungen entlang der Küste sind im Herbst zu empfehlen, wenn die Tage kürzer werden – zumal die «Apartmani» zu dieser Zeit recht preiswert sind.


Calanques - Fjordlandschaft im Mittelmeer

Calanque heisst so viel wie «kleine Felsbucht» und beschreibt eine Art Fjord im Mittelmeer. Sprechen Kletterer aber von «DEN» Calanques meinen sie die tief eingeschnittenen Felsbuchten zwischen Marseille und Cassis an der Mittelmeerküste. Dieses Gebiet gehört zum Departement Bouches-du-Rhône und ist bekannt für seinen berüchtigten Mistral-Wind, der mit seinen starken Fallwinden das Wandern und Klettern schnell unmöglich machen kann. An den südlich ausgerichteten Wänden ist man davor jedoch selbst in den Wintermonaten geschützt. Auch einige seltene Felsenpflänzchen wie der Marseille-Tragant haben sich mit diesem Klima arrangiert.



Leichte Brise? Knapp über der Gischt wird das Sichern in der «Eperon Ouest» (5c) durchaus spannend.


Der knorrige Wald aus Kiefern, wilden Olivenbäumen und Eichen ist hier hingegen ständig bedroht – vor allem durch Waldbrände. Daher gilt in den Sommermonaten auf einigen Wegen ein Wanderverbot, um jegliche Gefahr durch Zigarettenstummel und dergleichen auszuschliessen. Kletterer kommen sowieso lieber im Hebst und Frühling in die Calanque. Im Sommer kann die Sonne zusammen mit der reflektierenden Wasseroberfläche die Kletterschuhsohlen nämlich zum Schmelzen bringen, sodass man die Zeit lieber in den smaragdgrünen Buchten zum Baden verbringt. Klettertechnisch zählen die Calanques zum Besten, was Südfrankreich zu bieten hat: technische Platten, steile Überhänge, Einseillängen-Extremklettereien, genauso wie Mehrseillängen-Genussrouten. Nord-, Süd-, Ost- oder Westausrichtung: In den Calanques gibt es alles. Das Massiv ist in sechs Hauptgebiete unterteilt: Marseilleveyre, Les Goudes, Sormiou, Morgiou, Luminy und Gardiole. Über 2500 Routen mit Bohrhaken sind hier über die Jahre entstanden, hinzu kommen noch etwa 1000 traditionelle Routen zum selber Absichern. Das Spiel beginnt bei etwa 5a und endet momentan mit 9a. Hauptaugenmerk bei den Sportkletterrouten liegt dabei auf 6b bis 7b. Die Sektoren Oasis und Paroi Jaune beherbergen schwierige Einseillängen zwischen 6c und 8a. Bei Mistral-Winden ist der nach Süden ausgerichtete Sektor Paroi des Toits ideal geschützt; auch an sonnigen Wintertagen (60 Routen von 5c bis 8b).  Berühmt sind die Calanques ebenfalls für ihre wunderschönen Plaisir-Mehrseillängenrouten mit bis zu 14 Seillängen im Sektor En-Vau hoch über dem Meer. Ein Must-Do für alle Genusskletterer führt auf die Grande Candelle: sechs Seillängen bis 6a namens «Arête de Marseille» (Marseille-Kante) mit durchwegs guter Absicherung. Eine gute Beschäftigung für Tage, an denen man keine Höhenmeter machen möchte: In einigen Buchten kann man Traversen klettern, bis zu 15 Seillängen knapp über dem Meeresspiegel.


Wissenswertes
Achtung: Zurzeit sind einige Klettergebiete aus Haftungsgründen gesperrt, vorab unbedingt nochmals informieren! Anreise: Von Marseille fährt man auf der D559 Richtung Cassis und biegt von dieser Strasse zu den einzelnen Sektoren ab. Wildcampen ist im gesamten Nationalpark Calanques verboten; es gibt aber einige Gîtes d’étape oder Campingplätze in der Umgebung. In und um Marseille sollte man nichts im Auto liegen lassen – Gelegenheit macht bekanntlich Diebe.


Fotos: Andreas Lattner, Martina Martera/Bersante/Versante Sud, Davide Battistella/Versante Sud

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