Ein Familienunternehmen in siebter Generation, das verwaltet sich doch von alleine? Von wegen. Der Outdoor- und Ski-Ausrüster Schöffel hat sich stets gewandelt, um vorne zu bleiben.
Wir schreiben das Jahr 1804. Friedrich Schiller vollendet gerade seinen «Wilhelm Tell», ohne je selbst in der Schweiz gewesen zu sein, und im bayerischen Schwabmünchen erhält Georg Schöffel die Lizenz zum Strumpfhandel. Weil sein Sohn Josef fünf Jahre später in der Schlacht von Abensberg auch noch dem Kronprinzen das Leben rettet und zum Dank eine lebenslange Leibrente erhält, kann die junge Firma Schöffel auf einem soliden Fundament bauen. Eineinhalb Jahrhunderte lang wird mit Strickwaren gehandelt, doch als Ludwig Schöffel aus dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr heimkehrt, stehen die Zeichen auf Veränderung. Hubert Schöffel, Jahrgang 1930 und begeisterter Berggänger, dreht das Unternehmen auf links. 1961 kauft er eine alte Lederhosenfabrik auf, erstmals in der Firmengeschichte handelt man nicht nur mit Waren, sondern stellt sie selbst her. Der Absatz der Strassenhosen läuft jedoch schleppend, Schöffel muss sogar Kurzarbeit anordnen. Gleichzeitig beginnt das Wirtschaftswunder zu wirken: Die Fünf-Tage-Woche setzt sich durch, Wochenenden gehören ab sofort den Familien, der Wanderausflug wird massentauglich. Hubert Schöffel erkennt die Zeichen der Zeit und setzt ab 1967 voll auf Outdoor-Bekleidung, die damals noch nicht so hiess. Eine Wanderhose mit elastischem Bund, ein Schlupfblouson, der unter den Münchner Studenten zum It-Piece wird und schliesslich, in den 80er-Jahren, die erste Gore-Tex-Jacke. Hubert Schöffel setzt als Erster in Deutschland auf das wind- und wasserdichte, atmungsaktive Laminat und ordert ohne einen einzigen Auftrag Material für 2000 Jacken – am Ende geht das Spiel auf. Es sind Meilensteine in der Bergsportausrüstung und Sargnägel für Lederhose, Wolljanker und Kniestrümpfe.
Tradition verpflichtet
So schwer es ist, zwanzig Jahrzehnte Firmengeschichte auf ein paar Zeilen zu komprimieren – eines wird im Falle Schöffels deutlich: Ein Familienunternehmen in siebter Generation ist kein Tanker, den man einmal auf Kurs bringt und dann laufen lässt. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Und wer durch Schöffels Firmensitz in Schwabmünchen geht, der sieht neben Hubert Schöffels beeindruckender Kunstsammlung in der Chefetage vor allem ein altes Rohwarenlager, das 2015 komplett entkernt und zum loftartigen Kreativzentrum umgebaut wurde. Denn wie fast jeder grosse Textilhersteller fertigt auch Schöffel nicht mehr in Mitteleuropa, sondern fast ausschliesslich in Asien. Von den gut 180 Näherinnen sind heute noch rund 20 Arbeitsplätze übrig, verteilt auf Reparatur und Prototypen- Fertigung. Im neuen, 600 Quadratmeter grossen «Development Center», das mit viel Licht, hohen Decken und gläsernen Meetingräumen zum Kreieren einladen soll, sind die Wände über und über mit Stoffmustern, Moodboards und Kollektionsentwürfen gepflastert. An den 30 Schreibtischen arbeiten Marktforscher und Produktentwickler nicht getrennt, sondern im direkten Austausch. Genau deshalb ist für Henrik Vogel, Leiter des Innovationsmanagements bei Schöffel, hier das «Epizentrum» der Firma. Der 39-jährige promovierte Betriebswirt und Bergretter war, wie auch der CEO von Schöffel Schweiz, Peter Jud, massgeblich am jüngsten Wurf von Schöffel beteiligt: einer Bekleidungslinie für Skitourengeher, die zum Winter 2019 neu entwickelt wurde. Im Schöffel-Produkt-Kosmos, der intern in Bereiche, Segmente und Kapseln unterteilt wird, gilt die Skitourenkollektion laut PR-Referentin Katrin Lörch als «Leuchtturmkapsel». Schöffels jahrzehntelange Expertise in Sachen Skibekleidung kommt nun also auch abseits der Pisten zum Tragen – zum nächsten Winter soll eine Allmountain-Kollektion folgen. Denn die Zeiten, in denen Schöffel sich auf Wanderausrüstung für die kaufkräftige, aber eben auch spitze Zielgruppe der 40- bis 60-Jährigen fokussierte (so Peter Schöffel in einem Zeitungsinterview Ende 2017), sind vorbei. Eine «spürbare Verjüngung in Kampagnen und Produkten», sagt Katrin Lörch, habe es in den letzten Jahren gegeben, Zielgruppen würden generell nicht mehr nach Alter klassifiziert.
«Heute verbinden sich ältere und jüngere Generationen über die Leidenschaft, nach draussen zu gehen», so Lörch. In den Schöffel-Lookbooks dominieren junge Gesichter, seit drei Jahren verkauft Schöffel eine «Outleisure»-Kollektion, also modische und zugleich funktionelle Freizeitbekleidung. Und wie in den 80er-Jahren, als man frühzeitig auf Gore-Tex setzte, bleibt Schöffel auch technisch am Ball. PrimaLoft Next Evolve-Isolierung, S.Café-Garne aus Polyester und geruchshemmendem Kaffeesatz – in den neuen Kollektionen findet sich die ganze Klaviatur aktueller Textiltrends. Naturgemäss liegt in solch einer Verjüngungskur mit frischen Kollektionskapseln auch die Gefahr, sich zu verzetteln. Zwischen Schöffels TV-Spots einerseits, deren eingängiger Claim «Ich bin raus» nicht zuletzt auf die Natursehnsüchte urbaner Schichten abzielt, und dem langjährigen Engagement als Ausrüster diverser Ski-Nationalmannschaften andererseits, besteht inzwischen doch eine ordentliche Spannweite an Image-Möglichkeiten. Lörch steckt das Feld über die Leistung ab: «Wir sind nicht die Höher-Schneller-Weiter-Ausrüster. In welcher Zeit unsere Kunden auf den Berg gehen, ist uns egal», und fügt mit einem Schmunzeln hinzu: «Das karierte Hemd wird bei Schöffel nie ganz aussterben.» «10 Prozent mehr Silicon Valley» wünschte sich Hubert Schöffels Sohn Peter, der seit 30 Jahren die Geschicke der Firma leitet, zum Firmenjubiläum 2017. Nicht nur die Stelle des Innovationsmanagers schuf er neu, auch die Leitung der Abteilungen Produktentwicklung, Marketing und Vertrieb hat Schöffel binnen eines Jahres neu besetzt. «Der Wandel bei Schöffel ist spürbar, es wurde enorm in Digitalisierung investiert», sagt Katrin Lörch.
Kreation statt Produktion
Bei all dem Wandel beweist Schöffel vor allem in einem Punkt Konstanz: Die Firma bleibt zu 100 Prozent ein Familienunternehmen. «Generationenvertrag statt Quartalsbericht », sagt Peter Schöffel gerne. Mit 200 Mitarbeitern und 100 Millionen Euro Umsatz pro Jahr ist Schöffel unter den führenden deutschen Herstellern von funktioneller Outdoor- und Skibekleidung. Grösser ist nur die Marke mit der Hundepfote, die nach turbulenten Jahren inzwischen einem Golfausrüster aus den USA gehört. «Verkaufen will ich auch nicht. Mir geht es ausschliesslich um die Erhaltung unserer Werte, unserer Tradition und den Generationenauftrag. Weniger ist mehr, ist einer meiner Grundsätze. Deshalb lassen wir auch die Finger von Rucksäcken oder Schuhen«, bekannte Peter Schöffel Anfang 2019 in einem Familieninterview mit dem Stern. Apropos Familie: Die Staffelübergabe der Gesamtleitung ist bereits angestossen. Peter Schöffels Tochter Johanna arbeitet neben ihrem Studium bereits in der Personalabteilung, Sohn Jakob gilt mit 21 Jahren bereits als designierter Nachfolger. Man darf gespannt sein, welchen Wandel die achte Generation plant.
Im Gespräch mit Peter Jud, Country Manager Schöffel Schweiz AG
Herr Jud, Sie waren Teil des Projektteams, das die erste Skitourenkollektion von Schöffel konzipieren durfte. Wie geht man so etwas an?
Wir haben eine grosse Kundenumfrage gemacht und erkannt, dass uns viele Menschen als Skitourenmarke sehen. Obwohl wir ja bis dato gar keine Skitourenbekleidung hergestellt haben. Peter Schöffel hat dann ein kleines Team zusammengestellt und gesagt: «Hey, habt ihr Lust, zusammen eine Skitourenkollektion zu entwickeln? » Alle, die in diesem agilen Team drin waren, sind selbst Skitourengänger. Vor den Brainstormings haben wir gemeinsam am Berg mit unseren Lieblingsteilen biwakiert, was eine ganz neue Dynamik ergab: Wie kann man das LVS am Körper tragen, ohne dass es stört? Wie harmoniert eine Hose mit den offenen Schuhschnallen? Wie muss der Highlift einer Jacke sein, damit es dir beim Gehen nicht ständig die Ärmel hochzieht? Warum gibt es kaum Midlayer, die man bis zur Nase schliessen und trotzdem noch durchatmen kann? Aus eigener Erfahrung designen, darum ging es bei diesem Projekt. Nicht für Spitzenprofis, sondern für Menschen wie du und ich.
Warum hat man die Skitourenkollektion nicht früher entwickelt?
Der Sport boomt ja nicht erst seit gestern. Ich glaube, es ist der richtige Zeitpunkt. Wir sehen Skitourengehen nicht als Trendsportart. Es ist etabliert, und in Davos, wo ich zu Hause bin, etwas, was man schon das ganze Leben macht. Es ist nicht so, dass wir diese Kollektion entwickelt haben, weil Skitourengehen boomt. Wir haben entdeckt, dass Leute mit Jacken, die eigentlich für Trekking und Hiking gemacht sind, Skitouren gehen, was in Ordnung ist. Aber wir wollten eine spezifische Skitourenausrüstung machen, die wirklich alle Features bietet, die man braucht.
Die Zeiten, in denen sich die Firma, wie Peter Schöffel öfters kundtat, auf die 40- bis 60-jährige Kundschaft fokussierte, sind aber passé?
Ich bin Jahrgang 1968. Ich werde nicht mehr an einer Olympiade teilnehmen, will ich auch nicht. Ich bin aber noch im Saft, und ich will schwitzen. Mein Schwiegervater ist 80, und ein super Skitourengänger. Aber der will doch nicht mit alten Klamotten rumlaufen! Man kann Anwendergruppen nicht mehr nur mit einem Alter belegen. Ich kann nachvollziehen, was Peter Schöffel sagt. Wir wollen Kleidung herstellen, die funktionell ist, passt und gut ausschaut. Und das, sorry, ist ziemlich altersunabhängig.
Was zeichnet Bächli Bergsport aus Ihrer Sicht aus?
Bächli ist einer der Outdoor-Händler in Europa. Sie haben eine brutal grosse Auswahl, aber gleichzeitig sehr konzentriert auf den Bergsport. Und Bächli ist ein Innovationstreiber, das sieht man nicht nur am Online-Shop. Das Personal hat ein sehr hohes Knowhow, weiss, was gut ist. Wie Schöffel ist Bächli auch ein familiengeführtes Unternehmen, da sind schon einige Parallelen. Wir sind keine Schreibtischtäter, sondern machen selber, was wir verkaufen. Es kommt nicht darauf an, wie gut man Ski fährt. Sondern dass man Spass am Skitourengehen hat. Wenn man das rüberbringt, kann man auch erfolgreich Bekleidung verkaufen.
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